> > Keine Kompromisse, keine "Anbiederung" (Quellen zur "Erklärung" und zum Kongress der Zeugen Jehovas in Berlin-Wilmersdorf, 25. Juni 1933)
Wrobel, Johannes: Die
Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung - Jehovas
Zeugen unter dem NS-Regime" - Eine Stellungnahme,
Selters / Taunus 1997:
[Seite 1]
Die
Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung
Jehovas
Zeugen unter dem NS-Regime
Eine
Stellungnahme
1.0 Einführung.
4.0 Wortbeiträge mit "religiösem"
Bezug.
5.0 Der "erzählende" Narrator (Sprecher).
6.0 Länge und Sequenzen der Dokumentation.
7.0 Die Erwähnung der Großkirchen.
8.0 Korrekte historische Fakten. Die Schweizer
Erklärung von 1943.
9.0 Erich Frost und Konrad Franke.
10.0 Der Berliner Kongreß am 25. Juni 1933.
11.0 Kein Antisemitismus.
12.0 Aufwertung der Opfer.
13.0 Positive Stellungnahmen von Außenstehenden.
14.0 Fazit.
Anhang: Literatur zum Thema "Jehovas
Zeugen".
1.1 Die
in diesem Film dokumentierten Erinnerungen von über 20
Zeitzeugen (Zeugen Jehovas, meist KZ-Überlebende) und die
sachlichen Kommentare von 10 Historikern (keine Zeugen Jehovas)
bilden eine ergiebige und zeitgeschichtlich wertvolle
Informationsquelle bezüglich der Verfolgung einer religiösen
Minderheit unter dem NS-Regime, über die noch immer wenig
bekannt ist. Die Dokumentation, die sich an das gewählte Thema
hält, ohne abzuschweifen, enthält die wesentlichen historischen
Besonderheiten und Fakten zu dieser Thematik.
1.2. Die
Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung ist von
Holocaust-Forschungseinrichtungen gelobt und empfohlen worden.
(Siehe Punkt 13.0.) Bei den Kritikern der Zeugen Jehovas
schneidet der Film dagegen erwartungsgemäß schlecht ab.
Vertreter der beiden Großkirchen und andere Kritiker haben der
Dokumentation eine "missionarische Intention" und
"Propaganda"-Absichten unterstellt (Mainzer
Bistumsnachrichten, Nr. 16, 7. Mai 1997; Pfarrer Joachim
Keden [evangelisch], Pfarrer Horst Neusius [katholisch], Renate
Heers und andere in einem Gutachten für das Landesmedienzentrum
Rheinland-Pfalz, ohne Datum [Frühjahr 1997]). Sie wird eine
"professionell gemachte Videodokumentation" und
gleichzeitig ein "Propagandafilm" genannt (Hans-Jürgen
Twisselmann im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle
für Weltanschauungsfragen, Mai 1997, S. 141, 142).
[Seite
2]
2.1 Der
Anstoß für die filmische Aufarbeitung der Verfolgungsschicksale
von Zeugen Jehovas kam von außen. Nach dem internationalen
Seminar "Die Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem
NS-Regime" am US Holocaust Memorial Museum in Washington D.
C. am 29. September 1994 wünschten Historiker und Dozenten mehr
Informationen zu dieser Thematik von der Watchtower Society (die
religiöse, nichtkommerzielle Körperschaft der Zeugen Jehovas in
den Vereinigten Staaten; vgl. Vorspann der Videodokumentation).
Im
November und Dezember 1995 wurden Betacam-Aufnahmen an den
Gedenkstätten Brandenburg, Sachsenhausen, Ravensbrück,
Wewelsburg und Neuengamme gemacht, dort auch einige der
Zeitzeugen und Historiker (Dr. Detlef Garbe; Wulff Brebeck und
Kirsten John; Dr. Sigrid Jacobeit) interviewt. Im Frühjahr 1996
kamen weitere Interviews und Aufnahmen in den Vereinigten Staaten
und Kanada hinzu (Dr. Susannah Heschel und Prof. Dr. John
Conway).
2.2 Von
Januar bis März 1996 wurde bei der Watchtower Society in
Brooklyn (New York) am Skript gearbeitet. Dabei wurde streng
darauf geachtet, daß das Video seinen Dokumentationscharakter
bewahrt und zur Information der Öffentlichkeit dient. Auf
religiöse Verkündigung, ein Charakteristikum der Zeugen Jehovas
(selbst im Konzentrationslager wurden Gläubige hinzugewonnen),
wurde bewußt verzichtet.
Der
Film dient zwar der Darstellung der eigenen Opfergruppe oder der
"Selbstdarstellung", doch ändert dies nichts am
Charakter des Dokumentarberichts (d. h. tatsächliche
Begebenheiten werden realistisch und beweiskräftig dargelegt). Standhaft
trotz Verfolgung Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime
(der englische Titel lautet Jehovahs Witnesses Stand
Firm Against Nazi Assault) erzählt die Geschichte aus der
Sicht der Opfer und Historiker. Die Aussagen der Zeitzeugen
("Oral History") wurden mit Kommentaren von Historikern
(die hier die traditionelle Geschichtsschreibung vertreten),
zeitgenössischen Filmclips und reproduzierten Originaldokumenten
(authentische Wiedergabe der Vergangenheit) verknüpft und durch
einen "erzählenden" Narrator (Sprecher) in den
historischen Zusammenhang gestellt. Damit sollte Standhaft
trotz Verfolgung sogar wissenschaftlichen Ansprüchen
genügen, auch wenn der Film auf eine "kritische
Distanz" den Opfern und Historikern gegenüber verzichtet.
Der
dokumentarische Wert des Films wird durch die vielen Zeitzeugen,
die zur Vergangenheit befragt wurden, erhöht. Auffallend ist,
daß die Überlebenden ohne Trauer, Zorn oder Verbitterung
zurückschauen, was ohne Zweifel auf ihre religiöse
Überzeugung, die positiv und bejahend ist und keine Rache kennt,
zurückzuführen ist. Die Erinnerungen von NS-Opfern sind immer
subjektiv, und Jehovas Zeugen bilden dabei keine Ausnahme. Der
"subjektiven Wahrheit" der Zeitzeugen, die der Film der
Wachtturm-Gesellschaft widerspiegelt, sollte mit Toleranz und
Respekt und nicht mit Mißtrauen begegnet werden. Elisabeth
Brümann-Güdther stellt fest:
"Nach
millionenfachen Versuchen in Geschichte und Gegenwart, Menschen
ihrer Identität zu berauben (wozu auch ihre Biographie gehört),
ist für Historiker der Respekt vor der subjektiven Wahrheit des
Erzählten oberstes Gebot. Diese Einsicht, so wichtig sie ist,
war zugleich auch schmerzhaft, [Seite 3] denn sie
offenbarte, daß jedes Suchen nach der historischen Wahrheit
immer nur Annäherung an sie sein kann. 'Wie es wirklich
gewesen, läßt sich zur Gänze nie beweisen. Beweise gibt es
immer nur für kleine Wirklichkeitsausschnitte in der
Vergangenheit, deren Zusammenhänge sich immer nur mehr oder
minder wahrscheinlich machen lassen. Schon deshalb sind die
Auseinandersetzungen über historische Interpretationen never
ending debates', beschreibt Niethammer den Sachverhalt, für
den Stanislawa Czaijkowska-Bafia diese Worte fand: 'Wenn ich
über diese Zeit spreche, so tue ich dies über mein
individuelles Leid. Ich weiß, daß dies dann eine Wahrheit ist,
denn eine andere Person mag anders denken'" (Ravensbrückerinnen,
1995, S. 24).
2.3 Das
inhaltliche Konzept, die Verfolgung der Zeugen Jehovas als
ideologischen Kampf, als Schlacht, psychologischen Krieg oder
Kraftprobe zwischen den Nationalsozialisten und ihnen
darzustellen, wurde der Fachliteratur entnommen. Diese Sichtweise
gründet sich auf den wissenschaftlichen Aufsatz
"Jehovahs Witnesses under Nazism" von Dr.
Christine King in dem Werk A Mosaic of Victims. Non-Jews
Persecuted and Murdered by the Nazis von Dr. Michael
Berenbaum (Herausgeber), New York University, 1990, Seite
188-192. So stützt sich die englische Überschrift von Teil IV,
"Nazi Assault. Battle Lines Drawn" (Das NS-Regime
greift an. Klare Fronten) auf Seite 190 dieses Aufsatzes, wo es
heißt: "Battle lines were drawn early in 1933 and remained
in force until 1945." Weitere Beispiele lauten wie folgt
(Hervorhebungen hinzugefügt):
"Suspicion
and harassment turned into bitter persecution as the Witnesses
refused to surrender, and the two sides were thrown into a
pitched battle with dramatic results for each" (S.
189).
"The
Witnesses ... resisted national socialism with a fury the Nazis
did not understand and could not have anticipated. The Nazis had
created their own Leviathan and had catapulted this harmless
group into an eschatological battle, in which torture and
martyrdom merely reinforced the Witnesses and gave them
strength."
"In
their battle against Jehovahs Witnesses, the Nazis
had taken on an enemy they did not understand. Their normal arsenal
of weapons strengthened instead of weakened the resolve of
the Witnesses."
"The
public face of the struggle was an embarrassment to Nazi
authorities" (S. 191).
"An
ideological battle ensued between two 'total'
organizations, one very large, one very small, both with
all-encompassing eschatological world-views. Once the battle
lines were drawn, neither side could or would surrender. The
moral victors were the Witnesses, who emerged with one-quarter of
their number dead and many others emotionally and physically
battered, but with a belief system intact" (S. 192).
Anmerkung
zu "'total' organizations": Wie der
Nationalsozialismus, so forderte das Christentum der Zeugen
Jehovas den "totalen" oder ganzen Menschen (nicht zu
verwechseln mit "totalitär"), denn sie verstanden das
Wort des Christus in Matthäus, Kapitel 22, Vers 37 (dort zitiert
in Anlehnung an den hebräischen Text aus 5. Mose, Kapitel 6,
Vers 5, wo das Tetragrammaton JHWH oder der göttliche Name statt
"Herr" erscheint) wörtlich: "Du sollst Jehova,
deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner
ganzen Seele und mit deinem ganzen Sinn" (Neue-Welt-Übersetzung
der Heiligen Schrift, 1986).
2.4 Die
Standhaftigkeit der inhaftierten Zeugen Jehovas, die mit nur
einer Unterschrift ihre Freiheit erkaufen konnten, wird nicht
übertrieben dargestellt oder heroisiert. (Das Heroisieren liegt
Zeugen Jehovas aufgrund ihrer religiösen Überzeugung ohnehin
fern.) Der Hinweis "Nur wenige unterschrieben" ist
historisch korrekt. Dr. Detlef Garbe stellt fest, daß von den
140 bis 150 Zeugen Jehovas im KZ Neuengamme nur 2 unterschrieben,
von den 200 Zeugen Jehovas im KZ Mauthausen nur 6, von den
600 Zeugen Jehovas im KZ Ravensbrück nur 5. Es liegen
"etwas [Seite 4] größere Zahlen für Buchenwald ...
und Sachsenhausen" vor, allerdings bei vielen Zurücknahmen
der Abschwörungserklärung (Dr. Garbe, Zwischen Widerstand
und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich",
1994, S. 417, Anm. 413).
3.1 Die
Zeugen Jehovas, die in der Videodokumentation ihre Erinnerungen
und Erlebnisse schildern, sind Zeitzeugen (Überlebende der
NS-Verfolgung) und 3 Beobachter (Zeitgenossen) aus England und
Dänemark. Der dokumentarische Wert der Wortbeiträge, die
Zahlen, Fakten und Besonderheiten zum Verfolgungsschicksal der
Zeugen Jehovas enthalten, ist "meßbar" keiner
der Wortbeiträge der 10 Historiker und über 20 Zeitzeugen hat
"missionarischen" Charakter.
Der
Dokumentarcharakter des Films ist aus dem Inhalt und der
Zusammensetzung der Wortbeiträge ersichtlich. Insgesamt kommen
Zeugen und Nicht-Zeugen 118mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge,
die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Die
Nicht-Zeugen kommen 44mal (38 Prozent), die Zeugen Jehovas 74mal
(62 Prozent) zu Wort.
3.2 Bei
den Nicht-Zeugen handelt es sich um Frau de Gaulle aus Frankreich
(KZ Ravensbrück) und die Wissenschaftler Dr. Detlef Garbe
(Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Prof. Dr. Christine
King (Staffordshire University, Großbritannien), Joachim
Görlitz (Dokumentationsstelle Brandenburg), Dr. Sigrid Jacobeit
(Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück), Wulff E.
Brebeck (Leiter des Kreismuseums und der Gedenkstätte
Wewelsburg), Dr. Susannah Heschel (Case Western Reserve
University, USA) und Prof. Dr. John Conway (University of
British-Columbia, Kanada).
Bei
den Zeitzeugen und Beobachtern, die Zeugen Jehovas sind, handelt
es sich um folgende Personen: Heinrich Dickmann (KZ Esterwegen,
Sachsenhausen, Wewelsburg, Buchenwald und Ravensbrück), Anni
Gustavsson (KZ Ravensbrück), Else Hansen (dänische Zeugin, die
die Häftlinge aus dem KZ Stutthof unmittelbar nach der Landung
auf der Insel Mön im Mai 1945 traf), Otto Hartstang (KZ
Esterwegen, Sachsenhausen), Käthe Hildebrandt (1933
Mitarbeiterin im Magdeburger Zweigbüro der Watch Tower Society),
Max Hollweg (KZ Buchenwald, Wewelsburg), Maria Hombach
(Gefängnishaft in Stuttgart), Witali Kostanda (trifft als
ukrainischer Zwangsarbeiter Jehovas Zeugen im KZ
Hamburg-Neuengamme; überlebt Untergang der "Cap
Arcona"), Annemarie Kusserow (Zuchthaus und KZ
Hamburg-Fuhlsbüttel), Paul Gerhard Kusserow (in ein
NS-Erziehungsheim verschleppt), Waltraud Kusserow (Gefängnis und
Lager Oberems), Max Liebster (traf als Jude in den KZ
Sachsenhausen, Hamburg-Neuengamme und Auschwitz Zeugen Jehovas),
Simone Liebster (als 12jährige von der Gestapo verschleppt),
Elfriede Löhr (KZ Lichtenburg und Ravensbrück), Erna Ludolph
(KZ Hamburg-Fuhlsbüttel, Lichtenburg, Ravensbrück), Heinrich
Markert (Gestapo-Verhöre), Josef Niklasch (Emslandlager
Börgermoor, Zuchthaus Brandenburg-Görden), Gertrud Pötzinger
(Zuchthaus und KZ Ravensbrück), Wilbrück) und die Wissenschaftler Dr. Detlef Garbe
(Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Prof. Dr. Christine
King (Staffordshire University, Großbritannien), Joachim
Görlitz (Dokumentationsstelle Brandenburg), Dr. Sigrid Jacobeit
(Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück), Wulff E.
Brebeck (Leiter des Kreismuseums und der Gedenkstätte
Wewelsburg), Dr. Susannah Heschel (Case Western Reserve
University, USA) und Prof. Dr. John Conway (University of
British-Columbia, Kanada).
Bei
den Zeitzeugen und Beobachtern, die Zeugen Jehovas sind, handelt
es sich um folgende Personen: Heinrich Dickmann (KZ Esterwegen,
Sachsenhausen, Wewelsburg, Buchenwald und Ravensbrück), Anni
Gustavsson (KZ Ravensbrück), Else Hansen (dänische Zeugin, die
die Häftlinge aus dem KZ Stutthof unmittelbar nach der Landung
auf der Insel Mön im Mai 1945 traf), Otto Hartstang (KZ
Esterwegen, Sachsenhausen), Käthe Hildebrandt (1933
Mitarbeiterin im Magdeburger Zweigbüro der Watch Tower Society),
Max Hollweg (KZ Buchenwald, Wewelsburg), Maria Hombach
(Gefängnishaft in Stuttgart), Witali Kostanda (trifft als
ukrainischer Zwangsarbeiter Jehovas Zeugen im KZ
Hamburg-Neuengamme; überlebt Untergang der "Cap
Arcona"), Annemarie Kusserow (Zuchthaus und KZ
Hamburg-Fuhlsbüttel), Paul Gerhard Kusserow (in ein
NS-Erziehungsheim verschleppt), Waltraud Kusserow (Gefängnis und
Lager Oberems), Max Liebster (traf als Jude in den KZ
Sachsenhausen, Hamburg-Neuengamme und Auschwitz Zeugen Jehovas),
Simone Liebster (als 12jährige von der Gestapo verschleppt),
Elfriede Löhr (KZ Lichtenburg und Ravensbrück), Erna Ludolph
(KZ Hamburg-Fuhlsbüttel, Lichtenburg, Ravensbrück), Heinrich
Markert (Gestapo-Verhöre), Josef Niklasch (Emslandlager
Börgermoor, Zuchthaus Brandenburg-Görden), Gertrud Pötzinger
(Zuchthaus und KZ Ravensbrück), Willi Pohl (KZ
Hamburg-Fuhlsbüttel), Josef Rehwald (KZ Sachsenhausen,
Wewelsburg, Ravensbrück), Horst Schmidt (zum Tode verurteilt im
Zuchthaus Brandenburg-Görden), Albert D. Schroeder (Leiter [Seite
5] des Londoner Büros der Watch Tower Society,
193742), Hermine Schmidt (KZ Stutthof), Joseph Schoen
(österreichischer Zeuge Jehovas; Haft von 1940 bis 1945; war auf
dem Todesmarsch nach Dachau), Margaret West (dänische Zeugin
Jehovas und Augenzeugin vom Zustand der Häftlinge aus dem KZ
Stutthof, die im Mai 1945 auf der dänischen Insel Mön
landeten), Franz Wohlfahrt (österreichischer Zeuge Jehovas; am
Schluß der Videodokumentation rezitiert er ein Abschiedsgedicht;
er schrieb es im Lager Rollwald, während er seine Hinrichtung
erwartete).
3.3 Hier
folgen einige der zeitgeschichtlich wissenswerten Informationen,
die durch die Videodokumentation vermittelt werden und die das
Besondere an der Verfolgung der Zeugen Jehovas zeigen
(Hervorhebungen hinzugefügt):
Dr.
Christine King: "Sie wurden von Anfang an verfolgt,
weil sie sich weigerten, auch nur die geringsten Bestandteile des
Nationalsozialismus zu akzeptieren."
Dr.
Detlef Garbe: "Die Unterlagen zeigen, daß im Frühjahr 1933
von kirchlicher Seite bei staatlichen Stellen das Verbot
der Zeugen Jehovas angeregt worden ist."
"Ungefähr
fünf bis zehn Prozent der Konzentrationslagerhäftlinge
waren in der Vorkriegszeit Zeugen Jehovas. ... Über die
Konzentrationslager hinaus fanden sich Zeugen Jehovas in nahezu
oder vermutlich wohl in allen Gefängnissen."
Wulff
Brebeck: "Ab 1937 bekamen die Zeugen Jehovas ein violettes
Dreieck als Zeichen zugeschrieben. ... Die Zeugen
Jehovas sind die einzige Religionsgemeinschaft, die eine eigene
Häftlingskategorie gebildet hat."
Dr.
Sigrid Jacobeit: "Die Bibelforscherinnen waren die
allerersten, mit die allerersten Frauen, die aus den ganz
frühen Lagern, nämlich aus dem KZ Moringen am Solling und dann
vor allen Dingen aus der Lichtenburg bei Torgau, hierher [in das
KZ Ravensbrück] gekommen sind."
Narrator:
"Von 1937 an wurden alle Zeugen Jehovas, die aus dem
Gefängnis entlassen wurden, direkt in ein Konzentrationslager
überführt. Am Jahresende befanden sich 6 000 Zeugen in
Gefängnissen und Lagern des NS-Regimes."
Geneviève
de Gaulle: "Ich hatte große Achtung vor ihnen, denn sie
hätten ja von heute auf morgen freikommen können, wenn sie
durch eine Unterschrift ihrem Glauben abgeschworen
hätten."
Annemarie
Kusserow: "Aber im Konzentrationslager Ravensbrück und in
Sachsenhausen durften Bibelforscher, wie sie sich damals nannten,
nicht den gewöhnlichen Briefverkehr tun. Da waren drei
oder vier Reihen. Da durften sie schreiben: 'Mir geht es gut'
usw. und Grüße."
Der
Narrator über die beiden reichsweiten Flugblattaktionen 1936 und
1937: "Gemäß Dr. Elke Imberger war diese Aktion 'eine
besonders spektakuläre ... Form der öffentlichen
Verkündigungstätigkeit'." "Dr. Wolfgang
Benz zufolge trugen diese beiden Aktionen dazu bei, 'die
Bevölkerung über den verbrecherischen Charakter des NS-Staats
aufzuklären'."
Dr.
Christine King: "Ich kenne keinen Überlebenden, der sich
nicht an die Zeugen erinnert, und alle drücken sich ähnlich
aus: eine sehr kleine Gruppe, die aber deutlich hervorsticht. Sie
sprechen von dem lila Winkel auf der Häftlingskleidung
darüber, wie sie ihr Essen teilten und sich umeinander
kümmerten und daß sie bereit waren, mit anderen Häftlingen
zu sprechen, ihnen zu helfen und beizustehen. Das hat sich
offenbar fest eingeprägt."
Max
Liebster, ein Häftling (damals Nicht-Zeuge), über die besondere
Isolation der Zeugen innerhalb des Lagers: "Sie wurden
hinter Stacheldraht isoliert, und der Lagerkommandant
verkündete oft, daß jeder, der mit Jehovas Zeugen sprechen
würde, zur Strafe 25 Schläge bekäme."
Der
Narrator über Kriegsdienstverweigerer: "Horst Schmidt war
unter den über 250 Zeugen Jehovas, die zum Tode
verurteilt wurden."
4.1 Wenn
KZ-Überlebende, Todeskandidaten und andere Zeitzeugen das
Erlebte aus ihrer Sicht wiedergeben, wobei in einigen wenigen
Fällen Merkmale ihrer [Seite 6] religiösen
Zugehörigkeit hervortreten, dann kann das nicht als ein
"Bekehrungsversuch" am Zuschauer gewertet werden.
Für
viele Zuschauer, die keine Zeugen Jehovas sind, stellen die
seltenen "religiösen" Kommentare von Zeitzeugen
sicherlich einen religionswissenschaftlich informativen Beitrag
zum Verstehen Andersdenkender dar.
4.2 Unter
den 118 Wortbeiträgen der Historiker und Zeitzeugen finden sich
nur 11 Stellen (9,9 Prozent) mit religiösen Begriffen (z. B.
Gott oder das Gebet) oder mit Bemerkungen, die
Glaubensstandpunkte (z. B. Bibelstudium und
Kriegsdienstverweigerung) der Zeugen berühren. Hinzu kommt eine
Stelle, in der der Narrator (Sprecher) Gott und Rettung erwähnt:
Narrator:
"Die Zeugen konnten einem Menschen nicht das geben, was nach
ihrer Überzeugung Gott zusteht. So löste ein einfacher
Gruß Heil Hitler! einen unbarmherzigen
Kampf aus. Die Zeugen weigerten sich, 'Heil Hitler' zu sagen, da
dies 'Rettung kommt von Hitler' bedeutete."
Auf
den Hinweis, daß Zeugen Jehovas nur von Christus Heil oder
Rettung erwarteten, wurde hier bewußt verzichtet.
4.3 Zusätzlich
sind in 3 eingeschobenen Zitaten Hinweise auf Glaubensstandpunkte
der Zeugen Jehovas zu finden:
Kirchenpräsident
Martin Niemöller (Zitat): "[Die] Ernsten Bibelforscher
[sind] ... zu Hunderten und Tausenden ins Konzentrationslager und
in den Tod gegangen ..., weil sie den Kriegsdienst ablehnten
und sich weigerten, auf Menschen zu schießen."
Der
Lagerkommandant von Sachsenhausen vor der Erschießung von August
Dickmann am 15. September 1939 (Zitat): "Der Häftling
August Dickmann fühlt sich nicht als ein Bürger des Deutschen
Reiches, sondern als Bürger des Königreiches Gottes."
Rundfunkansprache
von J. F. Rutherford (Präsident der Watch Tower Society;
Filmclip vom 2. Oktober 1938): "Das deutsche Volk liebt
den Frieden. Der Teufel hat dort als seinen Vertreter
Hitler zur Macht erhoben einen gestörten, grausamen,
bösartigen Menschen, der die Freiheiten des Volkes gänzlich
mißachtet. Von seinen Helfern unterstützt, herrscht er mit
eiserner Faust. Auf unmenschliche Art verfolgt er die Juden, weil
sie einst Jehovas Bundesvolk waren und den Namen
Jehovas trugen, und weil Christus Jesus ein Jude
war."
4.4 Die
4 Zitate der Historiker mit "religiösem" Inhalt lauten
wie folgt:
Kirsten
John: "Was besonders gefährlich für sie wurde, war, daß
sie den Kriegsdienst verweigerten. Denn das bedeutete nach
dem Kriegsbeginn 1939, daß sie auch zum Tode verurteilt werden
konnten. ... Ausgehend von diesem Glaubensgrundsatz, daß Jehovas
Zeugen 'Gott mehr gehorchen' wollen 'als den Menschen', befolgen
sie das Neutralitätsgebot."
Dr.
Detlef Garbe: "Sie machten dadurch von sich reden, daß sie
den Kriegsdienst verweigerten, daß sie sich nicht zum
Vaterland so bekannten, wie die Nationalsozialisten meinten, sich
ein Deutscher dazu bekennen müßte." "Das ging
so weit, daß innerhalb der Lager sich einzelne Mitgefangene zu
dem Glauben der Zeugen Jehovas bekannten, ja, es gibt selbst
Fälle von Taufen, die in den Konzentrationslagern
heimlich durchgeführt wurden."
Dr.
Christine King: "Von Anfang an nahmen Jehovas Zeugen eine
klare Position oder Haltung ein, und sie bewahrten ihren Standpunkt
politischer Neutralität."
4.5 Die
7 Zitate der Zeitzeugen mit "religiösem" Inhalt lauten
wie folgt:
Simone
Liebster (als Kind von den Nazis verschleppt): "Wir haben
zusammen ein Königreichslied gesungen und dann gebetet.
Ich erinnere mich, daß Mutti zu Jehova sagte: 'Behüte
meine Kleine, laß sie treu bleiben.'"
Josef
Rehwald (KZ-Überlebender): "Brüder von Buchenwald, die ja
auch noch zu diesem Arbeitskommando zukamen, hatten 'Speise' mit
oder Literatur, Wachtturm-Artikel. Wir haben dann heimlich
im Schlafsaal diese Artikel studiert. Das hat uns sehr viel Kraft
gegeben."
[Seite
7]
Erna
Ludolph (KZ-Überlebende): "Und dann kam Himmler und hat
sich seine Opfer angesehen: 'Euch gehts schlecht, uns
gehts gut! Habt ihr noch nicht eingesehen, euer Gott
hat euch doch verlassen! Wir könnten doch machen, was wir
wollen!' Und dann wurde ihm geantwortet: 'Der Gott, dem
wir dienen, der kann uns auch erretten! Und tut er es nicht, euch
dienen wir nicht!'" -- "Die Einheit der Schwestern
und der Brüder, das hat uns so viel Kraft gegeben. Das war
unser Bestreben, auszuharren unter allen Umständen. Wir haben
nie um Freilassung gebeten. Wir haben gebeten, Kraft zu bekommen,
um auszuharren. Alles andere war unwichtig. Es ging, für Jehovas
Namen einzutreten."
Josef
Niklasch (Zeitzeuge) zitiert einen Zuchthauswärter in
Brandenburg, wo Hinrichtungen stattfanden: "'Also, andere
Gefangene, die wehren sich!' Manche haben sogar geschrien, die
konnt man schreien hören. 'Aber', sagt er, 'ihre Leute,
die gehen zum Schafott hin bis zum letzten Augenblick
erzählen sie von Gottes Königreich.'" -- "Ich
kann nur eins sagen, ja. Als Zeuge Jehovas waren wir auch keine
Helden. Wir konnten also nicht sagen: Alles, was jetzt kommt, das
werd ich jetzt auf mich nehmen! ... Nun, wenn ich zu Jehova
gebetet habe, da war ja nicht die Bitte jetzt: Ich will
schnell nach Hause! Die Tore sollen sich öffnen! Sondern die
Bitte war immer, daß Jehova mir die Kraft gibt, damit ich
in jeder Situation, die noch kommen mag, ausharren kann."
Franz
Wohlfahrt (Todeskandidat), Gedicht aus dem KZ: "Ich bleibe
fest in meinem Glauben, wenn die Welt auch höhnt und schreit.
Ich bleibe fest in meinem Hoffen auf eine schönere, bessere
Zeit. Ich bleibe fest in meinem Lieben, wenn auch die Welt mit
Hass mirs lohnt. Ich bleibe fest in meiner Treue, wenn auch
die Welt der Untreu' front. Von Gottes Wort fließt die
Kraft der Starken, die auch aus Schwachen Kämpfer macht. Ich
bleibe fest durch Gottes Gnade, ich bleib es nicht
aus eigner Kraft. Ich bleibe fest, gilts auch mein
Leben, und geb' ich meines Odems Rest, ihr sollt vom letzten
Hauch noch hören: Ich bleibe fest, ich bleibe fest, ich bleibe
fest."
5.1 In
der englischen Version der Videodokumentation ist John Barr, ein
Vorstandsmitglied der Watch Tower Society, gleichzeitig der
Narrator, der durch die gesamte Dokumentation führt. Er sagt
einleitend: "It is a story that must be told." Er
"erzählt" diese Geschichte mit Hilfe von Zeitzeugen
und Historikern sowie authentischer Dokumente und Filmclips.
Nicht
trockener Nachrichtensprecherstil, sondern Erzählstil und gute,
einfühlsame Betonung zeichnen den englischen Sprecher aus, was
nicht mit Pathos verwechselt werden sollte. Der deutsche Sprecher
folgt bei seiner Betonung der englischen Standardversion. Beide
Sprecher sind selbst Zeugen Jehovas, die die Geschichte ihrer
Glaubensbrüder und die dramatischen Zeitereignisse mit Betonung,
Wärme und Gefühl sowie mit Modulation vortragen. (Modulation
und gute Betonung findet sich auch bei den Sprechern der
Filmdokumentation der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, Hitlers
Helfer. Heinrich Himmler Der Vollstrecker.)
Der
Narrator verbindet die Zitate der Historiker und Zeitzeugen
durchweg durch inhaltlich sachliche Kommentare.
6.1 Der
Inhalt der Videodokumentation wurde in sieben in sich
geschlossene Sequenzen unterteilt, die durch Titel abgesetzt
sind. Dadurch ist es möglich, die Videodokumentation in Teilen
zu zeigen, wo das ratsam erscheint, und es braucht nicht die
volle Länge von 78 Minuten der Standardversion (full-length
scholars [Seite 8] edition) vorgeführt zu werden.
Außerdem ist eine 28-Minuten-Version (classroom edition) für
Schulen in Arbeit.
6.2 Die
Teile des ungekürzten Films und die Verteilung der Textbeiträge
zwischen Historikern und Zeitzeugen (die häufigen Zitate von
Historikern unterstreichen, daß es sich bei diesem Film um eine
Dokumentation handelt) sehen wie folgt aus:
Einführung
(1:30 Min.): Der Engländer John Barr, Vorstandsmitglied der
Watch Tower Society. Inhalt: Die Zahl der verfolgten Zeugen
Jehovas war im Vergleich zu der der Juden, Polen und anderen
NS-Opfer verhältnismäßig gering, doch haben Jehovas Zeugen
eine bemerkenswerte Verfolgungsgeschichte, und es ist an der
Zeit, sie zu berichten. Originalton:
John
Barr: "Diesen Häftlingsanzug trug einmal Helmut Knöller.
Er war ein Zeuge Jehovas. Wie er wurden Tausende von Zeugen
Jehovas wegen ihres Glaubens in die Gefängnisse und Lager des
NS-Regimes gesperrt eine kleine Zahl im Vergleich zu den
Millionen, die durch die NS-Diktatur umkamen. Doch fast 2.000
Zeugen Jehovas verloren ihr Leben, davon mehr als 250 durch
Hinrichtung. Diese kleine Gruppe von Christen wurde von Beginn
des NS-Regimes an unbarmherzig verfolgt, aber niemals zum
Schweigen gebracht. Sie ließen die Welt wissen, daß nicht nur
sie, sondern auch Juden, Polen und andere in die Fänge der
Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten geraten waren.
Die Geschichte der Zeugen Jehovas wie sie standhaft für
ihren Glauben eintraten und mutig ihre Stimme erhoben
kennen heute nur wenige. Diese Geschichte darf nicht verschwiegen
werden."
Teil
I, Seminar (3 Min.): Historiker kommen 4mal und Zeugen
Jehovas einmal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch
einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Das Seminar
"Die Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime"
im US Holocaust Memorial Museum in Washington (D. C.) am 29. 9.
1994 bewies das große wissenschaftliche Interesse an der
Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas. Die Videodokumentation
trägt diesem Umstand Rechnung.
Teil
II, Deutschland vor 1933 (3 Min.): Historiker kommen
einmal und Zeitzeugen 2mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die
nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt:
Jehovas Zeugen etablieren sich in den 20er Jahren als
Religionsgemeinschaft in Deutschland und werden von Antisemiten
und Nationalsozialisten als Feinde betrachtet.
Teil
III, Deutschland 1933 (7 Min.): Historiker und Zeitzeugen
kommen jeweils 4mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht
durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Die
Machtergreifung gibt den Nationalsozialisten die Mittel in die
Hand, jeden Andersdenkenden mundtot zu machen auch Jehovas
Zeugen.
Teil
IV, Das NS-Regime greift an. Klare Fronten (14 Min.):
Historiker kommen 10mal, Zeitzeugen 13mal zu Wort (Zahl der
Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar
unterbrochen werden). Inhalt: Jehovas Zeugen weigern sich,
"auch nur die geringsten Bestandteile des
Nationalsozialismus" zu akzeptieren (Dr. C. King), z. B. den
Hitlergruß auszuüben. Die Folge: böse Worte, Prügel, Verlust
des Arbeitsplatzes, schließlich Haft; Kinder werden den Eltern
weggenommen und in NS-Erziehungsheime eingewiesen. Die Zeugen
gehören zu den ersten KZ-Häftlingen; der lila Winkel und der
eingeschränkte Briefverkehr der Häftlinge werden als
Besonderheit herausgegriffen. (Hinweis: Geneviève de Gaulle ist
keine Zeugin Jehovas.)
Teil
V, Jehovas Zeugen erheben die Stimme (22 Min.): Historiker
kommen 13mal, Zeitzeugen 22mal und ein Beobachter (Zeuge Jehovas
A. D. Schroeder, London) einmal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge,
die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden).
Inhalt: Frühe Wachtturm-Publikationen berichten über die
Untaten des NS-Regimes; Telegramm-Aktion an Hitler 1934 und
spektakuläre Flugblattaktionen in ganz Deutschland 1936 und
1937. Jehovas Zeugen lassen sich nicht mundtot machen,
praktizieren ihren Glauben im Untergrund und im KZ weiter. Sie
betrachten alle Menschen, auch die Juden, als gleichwertig; die
Verfolgung der Juden wird öffentlich verurteilt.
Teil
VI, NS-Verfolgung eskaliert. Todesurteile (16 Min.):
Historiker kommen 6mal, Zeitzeugen 19mal zu Wort (Zahl der
Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar
unterbrochen werden). Inhalt: Die Erschießung August Dickmanns,
des ersten Kriegsdienstverweigerers, am 15. September 1939
in Sachsenhausen. Die Kriegsjustiz verhängt nun Todesurteile. In
den KZ sind die Häftlinge mit dem lila Winkel besonderen
Schikanen ausgesetzt, weil sie den Krieg nicht [Seite 9] unterstützen.
In Wewelsburg versucht die SS vergeblich, 26 Zeugen Jehovas
(Kriegsdienstverweigerer) zu Tode zu schinden. Dieser dramatische
Teil ist der Höhepunkt der Videodokumentation.
Teil
VII, Jehovas Zeugen bleiben standhaft (10 Min.):
Historiker kommen einmal, Zeitzeugen 10mal zu Wort (Zahl der
Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar
unterbrochen werden). Inhalt: Vor Ende des Krieges setzen die
dramatischen "Todesmärsche" ein; Jehovas Zeugen sind
sich gegenseitig behilflich, um zu überleben. Die Dokumentation
schließt mit einem Gedicht von Franz Wohlfahrt (Österreich),
das er während seiner KZ-Haft schrieb.
6.3 Die
Länge von Dokumentarvideos im Vergleich:
Standhaft
trotz Verfolgung Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime.
Farbe, 78 Minuten.
Der
gelbe Stern. Dokumentation der Judenverfolgung 1933-45. Ab 12
Jahre, s/w, 85 Minuten.
Auschwitz
... 45. 60 Minuten.
Ruhelos.
Dokumentation über die Kinder, die von der SS-Organisation
"Lebensborn e. V." verschleppt wurden. ARD-Video,
Farbe, 102 Minuten.
Hitlers
Helfer. Heinrich Himmler Der Vollstrecker. Unter
vielen Wortbeiträgen schildert auch ein Zeuge Jehovas die
brutale Behandlung im KZ Wewelsburg. ZDF-Chronik, ab 12 Jahre, 53
Minuten.
Hitler.
Eine Karriere. ARD-Video, s/w, 155 Minuten.
Die
Gestapo. Die Geheimpolizei des III. Reiches. Alasdair Simpson
und Michael Campbell, 1991, 52 Minuten.
7.1 Die
Rolle der Großkirchen im Hitler-Deutschland wird nur am Rande
erwähnt. Die 5 Zitate von 3 Historikern nennen
historische Fakten und lauten wie folgt:
Prof.
Dr. John Conway: "1914 zogen sämtliche deutschen,
französischen, russischen und englischen Heere in den Krieg, und
alle ihre Kirchenleute verkündeten, Gott sei auf ihrer Seite.
Nichts schadete der Kirche mehr als dieser allseitige
Alleinanspruch auf göttliche Unterstützung. 1918 war der
Zynismus, die Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit der Kirche
so groß, daß die Mehrheit der Soldaten, die in den
Schützengräben gedient hatten, völlig ernüchtert
zurückkehrten und nicht mehr bereit waren, die moralische
Autorität einer Kirche zu akzeptieren, die sie so sehr
irregeführt hatte." "Als es daher im November
1938 zum Kristallnacht-Pogrom kam, was ein schockierender und
augenfälliger Beweis für den Antisemitismus der
Nationalsozialisten war, hüllten sich die Kirchen in
Schweigen."
Dr.
Detlef Garbe: "Die Kirchen haben 1933 das Verbot der Zeugen
Jehovas in ihrer großen Mehrzahl begrüßt. Die Unterlagen
zeigen, daß im Frühjahr 1933 von kirchlicher Seite bei
staatlichen Stellen das Verbot der Zeugen Jehovas angeregt worden
ist. Dieses Bemühen der Kirchen traf natürlich bei den
nationalsozialistischen Machthabern auf offene Ohren. Sie
beabsichtigten ohnehin, gegen die Zeugen Jehovas einzuschreiten.
Daß die Kirchen ihnen dabei zuarbeiteten, wurde von seiten der
nationalsozialistischen Machthaber sehr begrüßt. ... Es gibt
also auch Belege dafür, daß Zeugen Jehovas durch Pastoren
geholfen wurde. ... Es sind leider sehr, sehr wenige
Belege." "Es gab nicht wenige Vertreter der
Kirchen, die offen zum Judenhaß aufriefen. Eine vergleichbare
Situation ist bei den Zeugen Jehovas nicht festzustellen."
Prof.
Dr. Susannah Heschel: "Was, wenn sich die evangelische
Kirche wie die Zeugen Jehovas verhalten hätte? Oder die
Katholiken? Meiner Ansicht nach wäre die Geschichte völlig
anders verlaufen."
Gerhard
Besier und Gerhard Ringshausen: Bekenntnis, Widerstand,
Martyrium. Von Barmen 1934 bis Plötzensee 1944. Göttingen,
1996.
Karl
Dietrich Erdmann: Deutschland unter der Herrschaft des
Nationalsozialismus 19331939. Gebhard, Handbuch der
deutschen Geschichte, Band 20. München, 1980. Kapitel 13,
"Die Kirche im nationalsozialistischen Deutschland".
[Seite
10]
Monika
Kringels-Kemen und Ludwig Lehmhöfer: Katholische Kirche und
NS-Staat Aus der Vergangenheit lernen? Frankfurt/Main,
1981.
Kurt
Meier: Evangelische Kirche in Gesellschaft, Staat und Politik
19181945. Evangelische Verlagsanstalt, Ost-Berlin,
1987.
Eberhard
Röhm: Sterben für den Frieden. Spurensicherung: Hermann
Stöhr (1898 bis 1940) und die ökumenische Friedensbewegung. Stuttgart,
1985.
Eberhard
Röhm und Jörg Thierfelder: Juden Christen
Deutsche 19331945. Band 1: 19331935
ausgegrenzt. Stuttgart, 1990.
Jürgen
Schmädeke und Peter Steinbach: Der Widerstand gegen den
Nationalsozialismus. Die Deutsche Gesellschaft und der Widerstand
gegen Hitler. München, 1985.
Ludwig
Volk: Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Mainz,
1987.
8.1 Der
Film vermittelt historisch korrekte und gesicherte Informationen
über den Kongreß und die Resolution der Zeugen Jehovas vom 25.
Juni 1933 in Berlin-Wilmersdorf sowie über Erich Frost und
Konrad Franke, leitende Zeugen Jehovas der Nachkriegszeit, die in
den 60er und 70er Jahren von der DDR aus als
"Verräter" diskreditiert worden sind. (Darauf gehen
die Teile 9.0 und 10.0 näher ein.) Werfen wir zuerst einen Blick
auf die Schweizer Erklärung von 1943, die in der
Videodokumentation nicht erwähnt wird. Die Weglassung oder
"Verschweigung" wird von den unter Punkt 1.2 erwähnten
Kritikern als "geschichtsverfälschend" gewertet, die
"Erklärung" von 1933 angeblich
"verharmlost".
8.2 Die
im Film mehrfach von Historikern und Zeitzeugen erwähnte
Ablehnung militärischer Dienste und Arbeiten beruhte auf einer
persönlichen Gewissensentscheidung des einzelnen und wurde von
Jehovas Zeugen nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern
auch in der Schweiz praktiziert. In der Schweiz, wo die
Militärgerichte zahlreiche Fälle von Dienstverweigerung von
Zeugen Jehovas verhandeln mußten, veröffentlichte die
Wachtturm-Gesellschaft in der Zeitschrift Trost vom 1.
Oktober 1943 eine Erklärung, an deren Formulierung ihre
Rechtsanwälte (keine Zeugen Jehovas) mitgearbeitet hatten und
die wie folgt lautete:
"Wir
werden als eine Vereinigung hingestellt, die bezwecke oder deren
Tätigkeit darauf gerichtet sei, 'die militärische Disziplin zu
untergraben, insbesondere Dienstpflichtige zum Ungehorsam gegen
militärische Befehle, zur Dienstverletzung, zur
Dienstverweigerung oder zum Ausreißen zu bewegen oder zu
verleiten'. Eine solche Auffassung kann nur vertreten, wer Geist
und Wirken unserer Gemeinschaft völlig verkennt oder sie wider
besseres Wissen böswillig entstellt. Wir stellen ausdrücklich
fest, daß unsere Vereinigung weder gebietet noch empfiehlt, noch
sonst in irgendeiner Weise nahelegt, gegen militärische
Vorschriften zu handeln. Derartige Fragen werden weder in unseren
Versammlungen noch in den von der Vereinigung herausgegebenen
Schriften behandelt. Wir beschäftigen uns überhaupt nicht mit
solchen Fragen. Wir erblicken unsere Aufgabe darin, für Jehova
Gott Zeugnis abzulegen und den Menschen die biblische Wahrheit zu
verkündigen. Hunderte unserer Mitglieder und Glaubensfreunde
haben ihre militärischen Pflichten erfüllt und erfüllen sie
weiterhin. Wir haben uns nie angemaßt und werden uns nie
anmaßen, in diesem militärischen Pflichterfüllen eine
Zuwiderhandlung gegen die Grundsätze und Bestrebungen der
Vereinigung Jehovas Zeugen, wie sie in ihren Statuten
niedergelegt sind, zu erblicken. Wir bitten alle unsere
Mitglieder und Glaubensfreunde, bei der Verkündigung der
Botschaft vom Königreich Gottes (Matthäus 24:14) sich nach wie
vor streng auf die Verkündigung der biblischen Wahrheiten zu
beschränken und alles zu vermeiden, was Anlaß zu
Mißverständnissen geben oder gar als Aufforderung zum
Ungehorsam gegen militärische Vorschriften mißdeutet werden
könnte. Bern, den 15. September 1943. Vereinigung Jehovas Zeugen
der Schweiz. Der Präsident: Ad. Gammenthaler. Der Sekretär: D.
Wiedenmann."
[Seite
11]
Die
Schweizer Erklärung machte damals deutlich, daß Jehovas Zeugen
in der Schweiz nicht gegen das Militär kämpften. (Vgl. dazu die
Überschrift "Die Entlarvung der 'Bibelforscher'. Ihre
Wühlarbeit gegen die Wehrmacht einwandfrei erwiesen" in der
in Königsberg erscheinenden Elbinger Zeitung, Nr. 207 vom
4. September 1936.) Doch der Satz "Hunderte unserer
Mitglieder und Glaubensfreunde haben ihre militärischen
Pflichten erfüllt und erfüllen sie weiterhin" mit dem man
solche Mitverbundenen meinte, die noch keine getauften Zeugen
Jehovas waren und in der Militärfrage noch keine Stellung
bezogen hatten, war nur zum Teil richtig. Anläßlich des
Landeskongresses der Zeugen Jehovas in Zürich im Jahre 1947
wurde diese Angelegenheit richtiggestellt. Der Wachtturm
vom 15. Januar 1948, Seite 31 berichtet:
"Nicht
fest genug und unzweideutig genug haben sie [die Zeugen in der
Schweiz] in der breiten Öffentlichkeit Stellung bezogen, um sich
als wahre Bibelchristen auszuweisen. Das ist offenbar der Fall
gewesen in der Frage der Neutralität hinsichtlich der
Angelegenheiten und Streitigkeiten dieser Welt ... Zum Beispiel
nahm es das Schweizer Büro auf sich, in der Ausgabe von Trost
vom 1. Oktober 1943 (Schweizer Ausgabe von Consolation),
also während der zunehmenden Bedrängnis des letzten
Weltkrieges, als die politische Neutralität der Schweiz bedroht
zu sein schien, eine Erklärung zu veröffentlichen ...
Jetzt war die Zeit für die Schweizer Geschwister gekommen, vor
Gott und Christus ein Bekenntnis abzulegen, und als Antwort auf
Bruder Knorrs Einladung [N. H. Knorr löste am 13. Januar 1942
den am 8. Januar 1942 verstorbenen J. F. Rutherford als
Präsident der Watch Tower Society ab], sich zu äußern, erhoben
viele Geschwister die Hand, um alle Zuschauenden wissen zu
lassen, daß sie ihre stillschweigende Zustimmung zu dieser
Erklärung von 1943 zurückziehen und diese in keiner Weise mehr
zu unterstützen wünschen."
Da
die Schweizer Erklärung keine reale Situation beschreibt und die
Zeugen Jehovas in der Schweiz keine Ausnahme bildeten, was die
Militärfrage betraf, geht die Videodokumentation nicht darauf
ein.
9.1 Erich
Frost und Konrad Franke, die westdeutschen Leiter der
Wachtturm-Gesellschaft in der Nachkriegszeit, werden in der
Videodokumentation als loyale Zeugen Jehovas genannt, ohne daß
auf die diffamierende Behauptung des "Verrats"
eingegangen wird, wie sie von den ostdeutschen Kommunisten der
DDR (ab Juni 1961) anonym verbreitet und dann von der Zeitschrift
"Der Spiegel" (im Juli 1961) veröffentlicht worden
war. Grundlage für diese Angriffe auf Frost und Franke bilden
Gestapo-Verhörprotokolle, die vom Staatssicherheitsdienst der
DDR für Diffamierungs- und Erpressungszwecke übernommen worden
waren.
9.2 Weitere
Publizität erhielt die Diffamierung durch das Buch Die Zeugen Jehovas.
Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft von Manfred
Gebhard (Urania-Verlag Leipzig, Jena, Berlin), das 1970
zuerst in der DDR und kurz darauf (1971) in einer Lizenzausgabe
in Westdeutschland erschien. (Man bedenke, daß damals nicht
einmal Kochbücher gemeinsam in der DDR und BRD erscheinen
konnten.) Das Buch war in Wirklichkeit vom ostdeutschen
Staatssicherheitsdienst geschrieben und von kirchlichen Stellen
der DDR gefördert worden. (Vgl. Gerhard Besier und Stephan Wolf:
"Pfarrer, Christen und Katholiken". Das Ministerium
für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen. 2.
Aufl. Neunkirchner Verlag, 1992, S. 84, Anm. 380. [Neues Material
präsentiert Dr. Waldemar Hirch.]) Der Historiker Dr. Detlef
Garbe nennt das Buch von [Seite 12] Manfred Gebhard ein
"Auftragswerk" der DDR, in dem "den damaligen
ideologischen Vorgaben deutlich Rechnung getragen" wurde und
das sich durch "selektive Quellenauswahl" und durch
"entstellende Zitate" auszeichnet (Zwischen
Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten
Reich", 1994, S. 20, 21).
In
dieser DDR-"Dokumentation" wurden Frost und Franke als
"Handlanger der Gestapo" diffamiert, da ihre
Gestapo-Verhörprotokolle viele Namen und Einzelheiten aus dem
Untergrundwerk der Zeugen Jehovas enthalten.
9.3 Bei
der Bewertung von Gestapo-Verhörprotokollen darf nicht
unberücksichtigt bleiben, daß die Verhöre unter Anwendung von
Folter vorgenommen wurden. Die Gestapo "hatte das staatlich
verbriefte Recht, Geständnisse durch Folter zu erpressen"
(Rupert Butler, Illustrierte Geschichte der Gestapo, London,
1992, Klappentext). Über ihre Methoden heißt es:
"Die
Gestapo unterhielt ein riesiges Netz von Spionen, Agenten und
Informanten, und ihre Schergen legten eine außerordentliche
Aktensammlung über alles und jeden an. Die Gestapo-Operationen
zeichneten sich durch überraschende Schnelligkeit und strenge
Geheimhaltung aus. Ihre Verhörpraktiken waren äußerst brutal.
Die Gestapoagenten maßten sich das Recht zur Verhaftung,
Einkerkerung und Exekution an" (Videodokumentation Die
Gestapo. Die Geheimpolizei des III. Reiches. 1991).
Standhaft
trotz Verfolgung erwähnt, daß die Gestapo im Juni 1936 ein
Sonderkommando bildete, um Zeugen Jehovas zu jagen. Die Gestapo
arbeitete dabei mit dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS
(SD) zusammen und wurde außerdem von erfahrenen Kriminalbeamten
unterstützt, was bald zu Massenverhaftungen von Zeugen Jehovas
führte (Jens-Uwe Lahrtz: Zu den Strukturen und
Aufgabenfeldern von politischer Polizei und Geheimer
Staatspolizei in Sachsen 1933-1939. In: Sächsische
Justizgeschichte, Band 6. Dresden, 1996, S. 4954).
Im
Laufe der Zeit verfügte die Gestapo über eine Fülle von
Informationen über die verbotene Tätigkeit von Zeugen Jehovas,
die die Beamten ohne Zweifel bei den Verhören von Angehörigen
der Glaubensgemeinschaft geschickt einsetzten.
Klärungsbedürftig ist, inwieweit die protokollierenden
Polizeibeamten damals für die Detailgenauigkeit der
"Geständnisse" gesorgt haben und nicht ihre Opfer.
9.4 Sicherlich
steht heute niemandem ein Urteil über Opfer zu, deren Aussagen
von der Gestapo erpreßt oder konstruiert werden konnten. Die
Historikerin Dr. Elke Imberger stellt fest:
"Hier
wird deutlich, wie die Gestapo unter Folter erpreßte Aussagen
führender Bibelforscher benutzte, um IBV-Funktionsträger gegen
die Basis auszuspielen und weitere Angaben über die illegale
Organisation zu erzwingen. Zu den psychischen Druckmitteln in den
Verhören gehörten ebenso die Gegenüberstellung, ... aber auch
stundenlange Verhöre bis tief in die Nacht. Als
'Gestapo-Handlangerei', wie Manfred Gebhard es nennt, kann man
diese umfassenden Aussagen angesichts des physischen und
psychischen Drucks, den die vernehmenden Gestapobeamten auf die
Festgenommenen ausübten, nicht bezeichnen" (Widerstand
und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen
Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933-1945,
Neumünster, 1991, S. 349-351; Hervorhebungen hinzugefügt).
Erich
Frost schildert die damaligen Ereignisse im Wachtturm vom
1. Juli 1961, Seite 411 wie folgt:
"Die
Gestapo hatte Kenntnis von unserem Plan, uns an jenem Freitag
[27. März 1937] zur Gedächtnismahlfeier zu treffen, doch wußte
sie nicht, wo. Mehr als einmal schlug man mich, bis ich
bewußtlos war, überschüttete mich dann mit Wasser, um mich
wieder zum Bewußtsein zu bringen. Bald konnte ich nicht mehr
liegen und nicht mehr sitzen. Von Freitag bis Montag aß und
trank ich [Seite 13] kaum etwas, rief aber
unablässig Jehova um Hilfe an, damit ich um der Brüder willen
schweigen könnte. Als ich wieder vor die Gestapo-Meute geführt
wurde, dachte ich an Daniel in der Löwengrube. Ihr zorniger
Wortschwall verriet mir, was ich hören wollte: Die Brüder waren
nicht in das Netz geraten, das die Polizei gelegt hatte. Meine
Freude war unbeschreiblich."
Nach
dem 27. März 1937 gelangte die Gestapo offenbar an wichtige
Informationen über das Untergrundwerk der Zeugen Jehovas.
Am
2. April 1939 meldete Ludwig Cyranek (er wurde am 3. Juli
1941 hingerichtet) aus dem Untergrund an das Schweizer Büro der
Wachtturm-Gesellschaft in Bern:
"Betr.
Br. Erich Frost, z. Z. Oberlangen, Post Lathen, Lager
6/Emsland. ... Die Verfahrensweise der Gestapo, besonders in der
berüchtigten Hauptzentrale der Gestapo, dem Columbia Lager
Berlin, um Geständnisse zu erzwingen, liessen an Grausamkeit
nichts zu wünschen übrig. Auf bestialische Art und Weise wurde
der Gefangene meistens nachts vernommen. In einer Nacht wurde er
3 Mal von den Henkersknechten bewusstlos geschlagen, und jedesmal
wurde er durch kalte Wasserkuren wieder zum Bewusstsein gebracht.
Die
Gestapo veranlasste die Gegenüberstellung von Br. Frost mit
einer Frau in Stuttgart. Beim Anblick von Br. Frost entsetzte
sich diese Frau wegen des schrecklichen Aussehens des Gefangenen.
Einer der Gestapobeamten sagte daraufhin: 'Das ist ja ein Beweis,
dass Sie ihn kennen, wenn Sie so erschrecken. ' Die Frau
erwiderte: 'Diesen Mann habe ich noch niemals gesehen und bin
erschrocken über das furchtbare Aussehen von diesem Mann.'
Br.
Frost glaubt, dass die Gestapo irgendein Mittel gebraucht hat,
was ihm wahrscheinlich mit dem Essen verabreicht wurde, wodurch
ihm die Willenskraft und die Kontrolle über seine Gedanken
genommen wurden, weil er an den gemachten Aussagen, die ihm
später vorgelesen wurden, feststellte, dass er solche Aussagen
bei klarem Verstande unmöglich gemacht hätte. Nach den
furchtbaren Misshandlungen konnte er weder stehen noch sitzen,
und als er nach Tagen einen Spiegel zu Händen bekam, war er so
erschrocken über sein Aussehen, weil er sich selbst nicht
wiedererkannte. Seine Qualen, die er durchzumachen hatte, waren
dergestalt, dass er zu Jehova geschrieen hat, ihn durch den Tod
aus seiner peinvollen Lage zu befreien. ... Hamburg, den 2. April
1939. [gezeichnet] Ludwig Cyranek"
(Wachtturm-Geschichtsarchive, ZEB IV/4/15).
Noch
während des Krieges meldete das Jahrbuch der Zeugen Jehovas
1940 (Bern, Schweiz), offensichtlich mit Bezug auf
Erich Frost:
"Die
Berliner Gestapo zeigte sich grausam bis zum äußersten, um ihm
[einem verhafteten Zeugen Jehovas] Geständnisse abzupressen. Die
Verhöre fanden meist nachts statt und waren von einer viehischen
Roheit. In der einen Nacht schlugen ihn die Nazis dreimal
bewußtlos und übergossen ihn dann mit kaltem Wasser, damit er
wieder zu sich komme. Der Bruder meint, daß die Gestapo in seine
Nahrung schädliche Stoffe gemischt habe, damit er die Kontrolle
über sich verlor und Aussagen machte, von denen er später, als
sie ihm vorgehalten wurden, nicht wußte, sie jemals gemacht zu
haben" (S. 241; siehe auch Jahrbuch der Zeugen Jehovas
1974, S. 126).
Erich
Frost selbst nahm im März 1971 zu den Vorwürfen des Verrats in
einem bisher unveröffentlichten Lebensbericht, in dem er die
Arbeit im Untergrundwerk ausführlich schilderte, wie folgt
Stellung:
"Wir
zehn Brüder, mich eingeschlossen, die wir uns Treue und
bestmöglichste Verschwiegenheit in dem neu aufzunehmenden
Untergrundwerk gelobt hatten, bereiteten nun ganz neue Gebiete
vor, indem wir noch in Luzern [4.-7. September 1936]
zwei Landkarten von Deutschland kauften. Die eine, die
alle eingezeichneten Gebiete enthielt, behielt ich für mich, und
die andere Karte wurde genau nach den eingezeichneten
Gebietsgrenzen zerschnitten, und jeder der Brüder, wir nannten
uns damals Bezirksleiter zum besseren Verständnis unserer
Funktionen, erhielt einen solchen Ausschnitt, ohne weitere Listen
der Versammlung zu erhalten. Jeder verpflichtete sich, in seinem
Dienst sich ganz an die Grenzen seines Gebietes zu halten und die
dort wohnenden Geschwister mit dem Wachtturm und anderen
ermunternden Nachrichten der Wachtturm-Gesellschaft zu betreuen.
Auch wurde ein System ausgedacht, im Falle der Verhaftung eines
von uns schnellstmöglichst Nachricht zu geben, damit die Stelle
neu besetzt und so die Versorgung der Versammlungen ungestört
fortgeführt werden könne. Natürlich war diese
Untergrund-Organisation nicht vollkommen, aber es war das Beste,
was wir unter den damaligen Umständen hatten erfinden können.
[Seite 14]
Unser
monatlicher Haupttreffpunkt war Berlin, die größte Stadt in
unserem Lande, und jedesmal an einer anderen Stelle, gewöhnlich
einer U-Bahn-Haltestelle, von wo aus dann durch zwei sehr tapfere
und mutige Schwestern, Ilse Unterdörfer und Elfriede Löhr, die
Brüder unauffällig in Empfang genommen und zum Treffen,
gewöhnlich in einen der entlegenen Schrebergärten, eine Laube,
geführt wurden. Das ging eigentlich niemals 'schief'. Wir
konnten dort einige Stunden ungestört zusammen sein, über alles
Notwendige sprechen und sogar ein wenig ausruhen, auch für einen
Imbiß wurde durch die Schwestern gesorgt, bis dann jeder
einzelne wieder nach Bekanntgabe des nächsten Treffpunktes den
Weg oder die Reise in sein Arbeitsgebiet antrat. Jeder von uns
hatte einen Vertreter aber nur einen, den er in alles
über sein Gebiet einweihte, damit dieser bei Verhaftung an seine
Stelle treten und das Werk ungestört weitergeführt werden
konnte.
Bald
geschah es, daß der eine oder der andere an unserem Treffpunkt
ausblieb. Sein Vertreter kam statt dessen und gab uns Bericht von
der Verhaftung, und sehr oft erhielten wir sogar Kunde von dem,
was nach der Verhaftung eines solchen Bruders in Erfahrung
gebracht worden ist, was er ausgesagt hat, wer durch solche
Aussagen in Gefahr gekommen ist, welche Gelder beschlagnahmt
worden waren und auch was für uns besonders wichtig war
ob eine unserer Vervielfältigungsmaschinen ausgehoben
worden ist. Ein jeder von uns wußte ja nur zu genau, daß auch
einmal die Reihe an ihn kommen würde, und er konnte sich
lediglich darauf gefaßt machen, sehr hart behandelt, ja
gefoltert zu werden; und dann sollte er lediglich das aussagen,
was die Gestapo durch die vorangegangenen Brüder ohnehin wußte.
(Hier habe ich eine Einfügung, nicht zu meiner Rechtfertigung,
denn darauf kommt es gar nicht mehr an, nur zur Richtigstellung
für meine Brüder: Das deutsche Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel'
brachte in seiner Ausgabe 1961 Nr. 30 einen sehr gehässigen
Artikel gegen mich unter der Überschrift 'Väterchen Frost'. Ich
hätte wegen dieser Bezeichnung beinahe stolz sein können; denn
so etwas hatte es bei uns doch nicht gegeben, es ist ein
ausgesprochener russischer, wahrscheinlich sogar sowjetischer
Titel! Wir, die Wissenden über die Vorgänge, haben darüber
gelacht; doch natürlich ist es möglich, daß einige Schwache
unter den Zeugen Bedenken in sich aufbrachten und vielleicht
zurückfielen in die Welt. ... Ich hatte über diese
Anschuldigungen Bruder Knorr befragt, ob ich vielleicht etwas tun
sollte. Doch er sagte mir: 'Nein, laß das sein, Bruder Frost!
Was glaubst du, wie viele Anschuldigungen gegen mich gemacht
werden. Wir schenken solchen keine Aufmerksamkeit. We put them in
the file, d.h. wir legen sie ab, aber haben keine Zeit, sie zu
lesen.' Eine Privatklage hätte die Redakteure des Spiegel
in eine unangenehme Lage gebracht. Sie hatten sich bei diesem
Pamphlet-Artikel schuldig gemacht, Aufzeichnungen der für
menschenunwürdig erklärten Gestapo zur Anklage gegen
unbescholtene Bürger des Landes gebraucht zu haben. Denn ihre
Behauptungen waren unwahr, und ein Gericht hätte sie damals zu
einer hohen Geldstrafe verurteilt. Doch wir als Zeugen Jehovas
hatten Wichtigeres zu tun. ...)"
(Wachtturm-Geschichtsarchive, LB Frost, S. 54 ff.).
9.5
Die Integrität von Erich Frost, Konrad Franke und anderen
leitenden Zeugen Jehovas, die von Gegnern der Zeugen Jehovas des
"Verrats" an ihren Mitbrüdern beschuldigt werden, ist
von den eigenen Glaubensbrüdern niemals ernsthaft in Frage
gestellt worden, weder während noch nach der Verfolgungszeit. Es
spricht tatsächlich für sich selbst, wenn Akten der Täter und
der Gestapo, die vom Internationalen Militärgerichtshof in
Nürnberg zu einer "kriminellen Vereinigung" erklärt
wurde, benutzt werden, um unbescholtene Bürger zu
diskreditieren.
10.1 Die
oben erwähnte DDR-"Dokumentation"
von Manfred Gebhard verbreitete außer Diffamierungen von
leitenden Zeugen Jehovas auch Unwahrheiten über den angeblich
"antisemitischen und profaschistischen Kongreß der WTG
[Wachtturm-Gesellschaft] vom 25. Juni 1933 mit Rutherford und
Knorr in Berlin-Wilmersdorf". (Weder J. F. Rutherford noch
N. H. Knorr waren anwesend.)
[Seite
15]
Außerdem
wurden in "The Christian Quest" Unwahrheiten über den
Kongreß 1933 verbreitet, die von Gegnern der Zeugen Jehovas bis
heute kritiklos übernommen worden sind. Bei "The Christian
Quest" handelt es sich um eine ominöse Publikation (sie ist
bislang nicht als akademische Veröffentlichung nachgewiesen) von
ehemaligen Zeugen Jehovas, die gegen die Wachtturm-Gesellschaft
polemisieren.
10.2 Es
ist unwahr, daß die Wachtturm-Gesellschaft auf dem Berliner
Kongreß 1933 eine "Anbiederung" an Hitler versuchte
und erst nach diesem vermeintlich erfolglosen Versuch die
Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland einsetzte. Die Delegierten faßten eine
"Erklärung" oder Petition, was legitim und
verfassungsgemäß war. Darin bat man den Reichskanzler und
die Länderbehörden, die bereits bestehenden Verbote
(z. B. in Bayern am 13. April 1933, in Sachsen am 18. April
1933, in Thüringen am 26. April 1933 und in Baden am 15. Mai
1933) der Zeugen Jehovas aufgrund der Notverordnung vom 28.
Februar 1933 zum Schutz der "öffentlichen Sicherheit und
Ordnung" aufzuheben und eine Untersuchung der Sachlage durch
religiös unvoreingenommene Personen einzuleiten. Die
Wachtturm-Gesellschaft machte klar, daß Jehovas Zeugen als
friedliche und ordnungsliebende Bürger nicht gegen, sondern
vielmehr für die "öffentliche Sicherheit und Ordnung"
des Landes wirkten. Ihre religiösen Gegner hatten das Gegenteil
behauptet.
10.3 Das
Begleitschreiben der Resolution wurde mit gebotener Höflichkeit
und daher mit den Worten "Sehr verehrter Herr
Reichskanzler" begonnen. In der Dauerausstellung der
Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, wo die
"Erklärung" und der Begleitbrief an Hitler eingesehen
werden können, findet der Besucher seit Jahren eine korrekte
Kommentierung der Wachtturm-Dokumente, in der es heißt:
"Obwohl
sich die Petition an den Reichskanzler Hitler wendet, vermeidet
sie die schon zu dieser Zeit verbreitete Anrede 'Führer'. ...
Wie auch Vertreter der großen Konfessionen geben sich führende
Zeugen Jehovas zunächst der trügerischen Erwartung hin, Hitler
sachlich über ihre Ziele informieren zu können. Sie hoffen,
daß er die Verfolgung beendet. Keinen Zweifel lassen die Zeugen
Jehovas aber an ihrer inneren Verpflichtung, nur dem Wort Gottes
zu dienen" (Ausstellungstext, Abschrift).
10.4 An
diesem 25. Juni 1933 und auch später (z. B. im Goldenen
Zeitalter vom 1. Juni 1934, S. 4-7) haben Jehovas Zeugen,
vertreten durch die Wachtturm-Gesellschaft, Nationalsozialisten
oder Punkt 24 ihres Parteiprogramms zitiert, wo mit gewissen
Einschränkungen "die Freiheit aller religiösen
Bekenntnisse im Staat" gefordert wurde. Im Begleitschreiben
an Hitler haben sie damit an die Grundsätze oder
"Ideale" erinnert, die der Reichskanzler und seine
Parteianhänger öffentlich proklamiert hatten. Es war bekannt,
daß "den christlichen Glaubensgemeinschaften im D[eutschen]
Reich Bekenntnisfreiheit durch die R[eichs]V[erfassung]
v. 1919 zugesichert" war sowie "die Möglichkeit,
der Stimme des Gewissens zu folgen, ohne daran durch Gewalt,
Gesetze od. Maßregeln gehindert zu werden" (Meyers
Kleines Lexikon, Leipzig, 1933, Bd. 2, S. 853). In seinem
Buch Mein Kampf schrieb Hitler:
"Das
Verhältnis des Menschen zu seinem Gott ist heilig und muß
respektiert werden. Politische Macht und religiöse
Angelegenheiten müssen auseinandergehalten werden" (zitiert
nach dem oben genannten Goldenen Zeitalter vom 1. Juni
1934).
Mit
ihrem Schreiben vom 25. Juni 1933 an Hitler machte die
Wachtturm-Gesellschaft deutlich, daß Jehovas Zeugen religiöse
Rechte und die freie Religionsausübung in Deutschland
vorenthalten wurden und die bestehenden Verbotserlasse [Seite 16]
in Bayern, Sachsen und anderen Ländern des Reiches zu Unrecht
bestanden. Die Wachtturm-Gesellschaft führte diese Situation auf
eine einseitige Beeinflussung der Behörden durch ihre
religiösen Kritiker zurück und bat um eine unparteiische
Anhörung.
10.5 Wie
erwähnt, ist es unwahr, daß die Verfolgung der Zeugen Jehovas
in Deutschland erst nach dem Berliner Kongreß am 25. Juni 1933
einsetzte. Tatsache ist, daß der Verbotserlaß für Preußen,
das größte deutsche Land, das Datum vom 24. Juni 1933
trägt und daß die Verfolgung durch die Nationalsozialisten
schrittweise zunahm, wie das in der Videodokumentation gezeigt
wird.
Nach
unvollständigen Angaben wurden von 1933 bis 1945 rund 10.000
Zeugen Jehovas unmittelbar Opfer des Nationalsozialismus (d. h.
Verlust des Arbeitsplatzes oder der Rente, Kinder entführt,
Verurteilung zu Geld- oder Haftstrafen usw.). Rund 6.000 (über
445 aus Österreich) waren in Gefängnissen und
Konzentrationslagern inhaftiert, wobei etwa 2.000 (zirka 150
Österreicher) ihr Leben verloren, davon wiederum über 250
(mindestens 48 aus Österreich) durch Hinrichtung. [Stand 1997; siehe die aktuellen
Zahlen]
Bei
den zahllosen Verhören beriefen sich die Zeugen Jehovas auf ihr
eigenes Gewissen und die eigene christliche Überzeugung
nicht auf Anweisungen J. F. Rutherfords (des Präsidenten der
Watch Tower Society in Brooklyn, New York) oder auf die
Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg. Die Zeugen zitierten vor
Gericht auch nicht die Zeitschrift Der Wachtturm, sondern
die Bibel, wie erhalten gebliebene Zeitungsartikel aus dieser
Zeit bezeugen. Unter der Schlagzeile "Er wollte sogar den
Richter bekehren! Fünf Monate Gefängnis für einen falschen
Propheten" meldete eine Zeitung:
"Nach
dreimonatigem Aufenthalt im Konzentrationslager wurde er
[Heinrich Dickmann aus Dinslaken] nunmehr der 6. großen
Duisburger Strafkammer vorgeführt, die ihm Verstöße gegen das
Gesetz zur Erhaltung des inneren Friedens, gegen das Gesetz zum
Schutze von Volk und Staat und gegen die Verordnung des
preußischen Ministers des Innern vorwarf. D[ickmann] ließ sich
genau so ein wie alle seine Gesinnungsgenossen, die behaupteten,
nicht der Bibelforscher-Vereinigung anzugehören, sondern
lediglich die Bibel auf ihre eigene Art auszulegen. D[ickmann]
gab wohl zu, daß er mit Gleichgesinnten, die sich gleich ihm
'Zeugen Jehovas' nennen, sich zum Studium der Bibel
zusammengefunden habe. Es sei seine Pflicht, 'der Menschheit die
frohe Botschaft von der Erfüllung des Reiches Jehovas' zu
bringen. Auf eine diesbezügliche Frage des Vorsitzenden
erwiderte D[ickmann], daß die hl. Schrift das Töten verbiete
und er deshalb auch nicht in einen Krieg ziehen werde" (ohne
Titel und Datum [ca. 29. Oktober 1935],
Wachtturm-Geschichtsarchive, LB Dickmann, Heinrich; vgl. ebenda,
"'Nur Jehova verantwortlich!' Werbeaktion der Bibelforscher
führte zu Massenverhaftungen", Danziger Vorposten, 17.
September 1937).
"Berlin,
18. Juli. Ueber die Entscheidung eines Arbeitsgerichts, nach
welcher unbegründetes Fernbleiben von den
Betriebsfeierlichkeiten am 1. Mai als Entlassungsgrund gilt,
berichtet der 'Informationsdienst' der Deutschen Arbeitsfront
u. a.: Die Kläger, frühere Mitglieder der
Bibelforschervereinigung, waren am 1. Mai trotz Aufforderung
nicht zu der Verpflichtung des Vertrauensrates und zu den
übrigen Betriebsfeierlichkeiten im Betriebe erschienen. Ihnen
wurde daraufhin das Arbeitsverhältnis gekündigt. Vor Gericht
beriefen sie sich darauf, daß sie an der Feier am 1. Mai auf
Grund ihrer christlichen Ueberzeugung nicht hätten teilnehmen
können. Die Schrift gebiete ihnen, Gott allein die Ehre zu
geben, und es sei ihnen unmöglich, die führenden Staatsmänner
trotz Anerkennung ihrer Verdienste mit einer Ehre zu bedenken,
die nur Gott allein gebühre. Das Arbeitsgericht hat die Klage
auf Widerruf der Kündigung abgewiesen"
(Wachtturm-Geschichtsarchive, Zeitungsartikel, o. D, PER
18/7/35?).
Tausende
Zeugen Jehovas litten in Gefängnissen, Kerkern und
Konzentrationslagern, weil sie geistigen Widerstand aus eigener,
urchristlicher Überzeugung [Seite 17] leisteten. Die
folgende Bemerkung von religiösen Kritikern der Zeugen Jehovas
verfälscht das historische Bild von diesen Opfern des
Nationalsozialismus:
"Als
Rutherford merkte, daß die Anpassung nicht in dem gewünschten
Maß fruchtete, forderte er förmlich von den 'einfachen' Zeugen
Jehovas in Deutschland das Martyrium. Und die meisten Zeugen
Jehovas, gehorsamsgewohnt, schickten sich in diese Forderung
ihrer Leitung. Ein Teil der Verantwortung für den Leidensweg der
Zeugen Jehovas in Deutschland trägt also die
Wachtturmgesellschaft und ihre Leitung, die im sicheren Brooklyn
saß" (Mainzer Bistumsnachrichten, Nr. 16, 7. Mai
1997, S. 10).
10.6 Die
in der Videodokumentation gezeigten drei Innenfotos der
Kongreßstätte beweisen, daß bei diesem Anlaß am 25. Juni
1933 keine Hakenkreuzfahnen benutzt wurden, wie von Kritikern
fälschlich behauptet wird. (Aufgrund eines Erlasses des
Reichspräsidenten vom 12. März 1933 war es Pflicht, die
schwarzweißrote und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen. Es
ist unbekannt, ob außen an dem öffentlichen Kongreßgebäude
Fahnen hingen.)
10.7 Es
ist unzutreffend, daß auf dem Kongreß die Nationalhymne
gesungen wurde. Die Delegierten sangen das seit 1905 bekannte
Bibelforscherlied Nr. 64 "Zions herrliche
Hoffnung", dem die Melodie von Joseph Haydn (1797) zugrunde
lag. Den meisten Liedern in ihrem Liederbuch lagen damals
bekannte Melodien (Kirchen- und Volkslieder o. klassische
Melodien) zugrunde, was das Singen in den Bibelforscher-Gemeinden
erleichterte. Auch dem "Lied der Deutschen" (1841) von
A. H. Hoffmann von Fallersleben lag Haydns Melodie (Quartett
op. 76, Nr. 3) zugrunde. Am 11. August 1922
erklärte der Reichspräsident das Lied als
"Deutschlandlied" zur deutschen Nationalhymne. Die
Bibelforscher in Deutschland und in anderen Ländern sangen
jedoch vielerorts weiterhin das Lied 64, das mit ihrem
eigenen Text ein religiöses Lied blieb. Es wurde nachweislich
auch auf dem internationalen Kongreß der Bibelforscher in
Leipzig am 20. Mai 1929 gesungen. Auch auf dem Kongreß am
25. Juni 1933 sangen Jehovas Zeugen ihr Lied 64. Zu
dieser Zeit bestand die deutsche Nationalhymne bereits aus dem
Deutschlandlied und der ersten Strophe des
Horst-Wessel-Liedes der Nationalsozialisten (Meyers Kleines
Lexikon, Leipzig, 1933, Bd. 2, S. 1600). Am
25. Juni 1933 sangen Jehovas Zeugen nur religiöse
und keine politischen Lieder, auch nicht die deutsche
Nationalhymne.
10.8 Der
folgende Ausschnitt aus dem Skript der Videodokumentation
vermittelt ein korrektes Bild der damaligen Situation:
"Narrator:
In anderen Ländern des Reiches bleiben die Verbote [seit April
1933] jedoch bestehen. Daher planen Jehovas Zeugen [im Juni 1933]
eine Aktion, um der Reichsregierung klarzumachen, daß sie keine
Staatsfeinde sind.
Dr.
Christine King: Von Anfang an nahmen Jehovas Zeugen eine klare
Position oder Haltung ein, und sie bewahrten ihren Standpunkt
politischer Neutralität. ... In den ersten Monaten versuchte
man, den Behörden zu erklären, was das bedeutet und daß es
sich dabei nicht um eine politische Bedrohung handelt.
Narrator:
Stellvertretend für die 25.000 Zeugen in Deutschland versammeln
sich [am 25. 6. 1933] Delegierte aus dem ganzen Reich in Berlin,
um eine Resolution zu verabschieden.
Willi
Pohl: In dieser Erklärung legten wir dar, daß wir keinerlei
politische Ziele hätten, daß wir rein religiös tätig wären
und daß wir doch entsprechend den Erklärungen in dem
Parteiprogramm und auch von Regierungsvertretern die Freiheit des
Glaubens und der Religion in Anspruch nehmen möchten und daß
deshalb diese Lage der teilweisen Verbote untersucht werden
sollte und aufgehoben werden sollte.
[Seite 18]
Narrator:
Das Land wird mit mehr als 2 Millionen Exemplaren der Erklärung
überzogen. Konrad Franke beteiligt sich an der Verbreitung. Er
wird festgenommen und in das Arbeitslager Osthofen
gebracht."
10.9 In
einem höflichen Begleitschreiben an den Reichskanzler und die
Reichsregierung wurde der Inhalt der Kongreßresolution
zusammengefaßt. (Die totalitäre Diktatur war zu diesem frühen
Zeitpunkt noch nicht voll ausgebildet. Viele Weltpolitiker und
der Papst ließen sich von der Maske Hitlers täuschen und
verhandelten mit der Reichsregierung. 1936, als bereits Tausende
in Konzentrationslagern schmachteten, fanden vor den Augen der
Welt die Olympischen Spiele in Berlin statt.) In dem Schreiben
der Wachtturm-Gesellschaft werden Formulierungen gebraucht, die
heute Kritiker mißinterpretieren, ohne den Kontext und den
zeitgeschichtlichen Rahmen des Anlasses zu beachten. Dazu gehört
zum Beispiel folgender Absatz (Hervorhebungen hinzugefügt):
"Weiter
wurde auf dieser Konferenz der fünftausend Delegierten
wie in der Erklärung ausgedrückt festgestellt, dass die
Bibelforscher Deutschlands für dieselben hohen ethischen
Ziele und Ideale kämpfen, welche die nationale Regierung des
Deutschen Reiches bezüglich des Verhältnisses des Menschen zu
Gott proklamierte, nämlich: Ehrlichkeit des Geschöpfes
gegenüber dem Schöpfer!
Auf
der Konferenz wurde festgestellt, dass in dem Verhältnis der
Bibelforscher Deutschlands zur nationalen Regierung des Deutschen
Reiches keinerlei Gegensätze vorliegen, sondern dass im
Gegenteil bezüglich der rein religiösen,
unpolitischen Ziele und Bestrebungen der Bibelforscher
zu sagen ist, dass diese in völliger Übereinstimmung mit den
gleichlaufenden Zielen der nationalen Regierung des Deutschen
Reiches sind."
Bei
der Einordnung dieser Formulierungen darf folgendes nicht
übersehen werden:
Adressat
war die erst vor wenigen Monaten legal eingesetzte deutsche
Regierung.
Jehovas
Zeugen sind in keinem Staat der Erde und zu keiner Zeit der
Geschichte Verfassungs- oder Staatsfeinde, sondern
"friedliche, ordnungsliebende Bürger", wie es in ihrer
Berliner Petition einleitend hieß.
Wenn
auf dem Berliner Kongreß von 1933 gewisse Gemeinsamkeiten mit
der deutschen Regierung hervorgehoben oder die Partei an
proklamierte Grundsätze erinnert wurde, dann bezog sich
das ausschließlich auf gewisse ethische und religiöse Ideale,
wie sie die meisten Staaten der Erde anerkannten. Die
zeitgenössischen Wachtturm-Schriften beweisen, daß Jehovas
Zeugen "Ideale" wie Gerechtigkeit oder Verantwortung
gegenüber Gott, aber niemals den Nationalsozialismus als
Ideologie gutgeheißen haben. Mehrfach wird in der
"Erklärung" hervorgehoben, daß nur Gott durch sein
Reich also keine irdischen Mächte die Realisierung
dieser Ideale herbeiführen wird. Auch heißt es darin
ausdrücklich (Hervorhebungen hinzugefügt):
"Eine
sorgfältige Prüfung unserer Bücher und Schriften wird
deutlich zeigen, daß die hohen Ideale, die sich die nationale
Regierung zum Ziel gesetzt hat und die sie propagiert, auch in
unseren Veröffentlichungen dargelegt, gutgeheißen und
besonders hervorgehoben werden. Unsere Literatur beweist
ferner, daß Jehova Gott dafür sorgen wird, daß alle, die
Gerechtigkeit lieben und dem Allerhöchsten gehorchen, zur
bestimmten Zeit diese hohen Ziele erreichen werden. Anstatt
daß unsere Schriften und unsere Tätigkeit die
Grundsätze der nationalen Regierung gefährden, werden in ihnen
diese hohen Ideale sehr unterstützt. Darum hat auch Satan, der
Feind aller, die Gerechtigkeit lieben, versucht, unsere
Tätigkeit in Verruf zu bringen und sie in diesem Lande zu
verhindern. ... Aus all diesen Jahren [19021933] und bei
der weiten Verbreitung unserer Bücher und Schriften kann
wahrheitsgemäß kein einziges Beispiel angeführt werden dafür,
daß unsere [Seite 19] Tätigkeit oder unsere
Literatur jemals in irgendeiner Weise die Regierung oder die
öffentliche Ordnung und Sicherheit des Landes bedroht hätte.
... Die Hoffnung der Welt ist Gottes Königreich unter der
Herrschaft Christi, wofür Jesus seine Jünger lehrte,
ständig zu beten: 'Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im
Himmel so auch auf Erden. ' Jehova Gottes Macht ist über alles
erhaben, und es gibt keine Macht, die ihm erfolgreich widerstehen
kann. ... Nachdem sich die nationale Regierung zu den oben
erwähnten hohen Idealen bekannt hat, sind wir überzeugt, daß
die Führer nicht wissentlich das fortschrittliche Zeugniswerk
für den Namen Jehovas und seines Königreiches, das wir jetzt
hinausführen, bekämpfen wollen. Wenn unser Werk nur
Menschenwerk wäre, so würde es von selbst untergehen. Wenn es
jedoch Gottes Werk ist und auf seinen Befehl getan wird, so
bedeutet die Bekämpfung dieses Werkes einen Kampf gegen Gott.
Apostelgeschichte 5:39" ("Erklärung",
Flugblatt, vorletzte und letzte Seite).
Die
"Bücher und Schriften" sowie die
"Veröffentlichungen", die damals von der
Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg gedruckt wurden, stehen noch
heute für "eine sorgfältige Prüfung" zur Verfügung.
10.10 Damals
bestand unter einigen Zeugen Jehovas allerdings Unsicherheit
darüber, ob die "Erklärung" und der Begleitbrief von
J. F. Rutherford, dem Präsidenten der Watch Tower Society,
gutgeheißen wurden. Einige meinten zu
wissen, daß der Text vom Leiter des Magdeburger Zweigbüros
(ihnen erschien er ohnehin zu "lax") abgeändert worden
war, was in Wirklichkeit nur zwei Stellen der
"Erklärung" betraf. Andere waren enttäuscht, da
sie, wie auf Kongressen der Zeugen Jehovas normalerweise üblich,
anfeuernde biblische Ansprachen erwartet hatten, die Tagung aber
nur unter formalen, juristischen Vorzeichen stand. Somit blieb
einigen Zeitzeugen der Kongreß vom 25. Juni 1933, vor allem
da sich der damalige Leiter des Magdeburger Büros 1935 von
Jehovas Zeugen lossagte, in einseitig negativer Erinnerung. Ihre
subjektiven Eindrücke und Schlußfolgerungen fanden später
Eingang in den Bericht des Jahrbuchs der Zeugen
Jehovas 1974. Diese kircheninternen Unsicherheiten haben
Kritiker der Zeugen Jehovas dazu benutzt, die
Religionsgemeinschaft insgesamt zu diffamieren.
10.11 In
den Jahren 1933 bis 1945 kamen nicht einmal die Gegner der Zeugen
Jehovas auf den Gedanken, daß die "Erklärung" vom
Juni 1933 eine Gutheißung des Nationalsozialismus oder eine
Anbiederung an das NS-Regime gewesen war. In der von dem
Theologen [sic! Gemäß Impressum wurde das Werk "Mit
Druckerlaubnis des Erzbischöfl. Ordinariates Wien vom
28. November 1935. Z. 8998/4" herausgegeben, was auf
einen theologischen Hintergrund des Verfassers schließen ließ]
Dr. Hans Jonak von Freyenwald veröffentlichten polemischen
Schrift Die Zeugen Jehovas. Die politischen Ziele der
Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher, die 1936
mit Druckerlaubnis des Erzbischöflichen Ordinariats Wien in
Berlin erschien, wird in einer Literaturauflistung der
Wachtturm-Veröffentlichungen die "Erklärung" vom
Berliner Kongreß der Zeugen Jehovas wie folgt bezeichnet:
"'Erklärung',
Resolution der Ernsten Bibelforscher in Berlin vom 25. Juni 1933
gegen das Vorgehen der deutschen Regierung. In Millionenauflage
verbreitet" (S. 101).
11.1 Im
Begleitbrief an den Reichskanzler ist nicht von den Juden in
ihrer Gesamtheit, sondern von den "Handelsjuden des
Britisch-Amerikanischen Weltreiches" die Rede. Der Ausdruck
"Handelsjuden" (engl. commercial Jews), der seit dem
19. Jahrhundert in deutschen Wörterbüchern zu finden ist,
stellt hier keine NS-Terminologie dar und ist auf keinen Fall
antisemitisch gemeint. Den Zeugen [Seite 20] Jehovas
lag Antisemitismus (Judenhaß) und Rassenhaß nachweislich fern,
und der Jude wurde als "ebenso hochwertiger Mensch"
angesehen (Das Goldene Zeitalter, 14. April 1930,
S. 124).
11.2 Nach
Ansicht der Zeugen Jehovas arbeiteten Religion, Politik und
Finanz (oder Handel, wobei Personen jüdischer Herkunft
international dominierende Rollen spielten) zum Nachteil der
Völker eng zusammen. Indem die Zeugen diese Allianz kritisierten
und sich von jüdischen Finanzmagnaten distanzierten, widerlegten
sie die Behauptungen der Nationalsozialisten, sie würden mit
jüdischem Geld finanziert und planten die Weltherrschaft unter
der Führung der Juden. Bereits seit den 20er Jahren mußten sich
die Bibelforscher, die nicht kommerziell tätig waren, gegen
derartige Falschanklagen zur Wehr setzen. Nach der
Machtergreifung Hitlers setzten Antisemiten und
Nationalsozialisten diese Angriffe verstärkt fort.
11.3 Der
Theologe [sic! Gemäß Impressum wurde das Werk "Mit
Druckerlaubnis des Erzbischöfl. Ordinariates Wien vom
28. November 1935. Z. 8998/4" herausgegeben, was auf
einen theologischen Hintergrund des Verfassers schließen ließ]
Dr. Hans Jonak von Freyenwald schrieb im Januar 1936 in der
oben erwähnten Veröffentlichung Die Zeugen Jehovas. Die
politischen Ziele der Internationalen Vereinigung Ernster
Bibelforscher:
"Die
Bibelforscher aber tun ein übriges, indem sie die völlige
Beseitigung der heutigen christlichen Religionen und, über das
religiöse Gebiet noch hinaus, die Beseitigung aller christlichen
Staaten verlangen und an deren Stelle die Errichtung eines alle
Völker umfassenden theokratischen Weltreiches mit einer
ausschließlich aus jüdischen Volksgenossen zusammengesetzten
Regierung wünschen. Dieses Ziel verfolgen sie unter
ausdrücklicher Berufung auf angeblich göttliche, in der Bibel
niedergelegte Voraussagungen. ... Denn die Ernsten Bibelforscher
sind vorzugsweise, ja ausschließlich ein internationales
politisches Unternehmen, dessen religiöse Irrlehre nur Mittel
zum Zweck ist" (S. 5).
Polizei
und Justiz machten sich diese Sichtweise, die das von den Zeugen
Jehovas erwartete Gottesreich mit irdischen Belangen
verwechselte, zu eigen. Ein Darmstädter Landgerichtsdirektor,
von dem es hieß, daß er "auf Grund seiner Erfahrungen als
mehrjähriger Vorsitzender des Sondergerichts Darmstadt und
eingehender Studien der Schriften der 'Internationalen
Bibelforschervereinigung' ein ausgezeichneter Kenner der
staatsgefährlichen Irrlehre dieser Vereinigung" (!) war,
machte im Dezember 1936 in seinem Bericht über Konrad Franke
eine ähnliche Bemerkung über Jehovas Zeugen (Bibelforscher):
"Die
Organisation [wurde] auch in den übrigen Ländern des Reiches
verboten und aufgelöst, weil es sich mit der Zeit einwandfrei
herausgestellt hatte, daß es sich bei den Bibelforschern um eine
religiös getarnte jüdisch-marxistische Organisation handelt,
deren Hauptziel die Vernichtung aller bestehenden Staatsformen
und Regierungen und die Errichtung des Reiches Jehovas ist, in
dem die Juden als das auserwählte Volk die Herrscher sein
sollen" (Wachtturm-Geschichtsarchive, Geheimes
Staatspolizeiamt Darmstadt, Tgb. Nr. I A. [Blatt Nr. 42],
Anzeige gegen Max Konrad Franke, [fehlt]. Dezember
1936, Fk.).
11.4
"Die Staatsgefährlichkeit der Weltjudentruppe hat man in
Deutschland schon bald nach der Machtübernahme erkannt",
schrieb die Königsberger Zeitung vom 8. Januar 1938
in Verbindung mit einem Bibelforscherprozeß. Gegen den Vorwurf,
von Juden bezahlte Weltrevolutionäre und staatsgefährlich zu
sein, setzten sich Jehovas Zeugen vehement zur Wehr, sahen sie
doch darin einen Grund für ihre Verfolgung in Deutschland.
Schlagzeilen aus der damaligen Tagespresse spiegeln diese
Vorwürfe wieder:
"Der
jüdische Häuptling der 'Internationalen Bibelforscher'. Der
geheimnisvolle 'Richter' Rutherford Kommunisten und Neger
unter jüdischer Führung", Der Danziger Vorposten, 18. Juli
1935.
[Seite
21]
"Handlanger
des internationalen Judentums. 31 Bibelforscher vor
Gericht", Nationalzeitung, 8. Dezember 1936.
"Lumpen
in Alljudas Schutztruppe. Bibelforscherprozesse sind Akte der
Staatsnotwehr Königsberger Sondergericht tagte", Königsberger
Zeitung, 8. Januar 1938.
"Die
Prozesse gegen die 'Bibelforscher' in Hamburg beendet: Abraham
und Isaac als Minister im Jehova-Reich. Die unheilvolle Irrlehre
verherrlicht das Judentum 187 Angeklagte vor dem
Sondergericht Milde ist nicht mehr am Platze", Hamburger
Tageblatt, 14. Mai 1938.
"Die
'Ernsten Bibelforscher' Sendboten des jüdischen Bolschewismus.
Nationales Denken ist für sie eine 'Versündigung gegenüber
Jehova'", Westdeutscher Beobachter, 21. August
1938.
11.5 Ihre
zeitgenössischen Schriften belegen, daß Jehovas Zeugen die
Juden als gleichwertige Menschen ansahen und die Verfolgung von
Juden als "unentschuldbar" und als
"Rassenwahn" verurteilten (Trost [früher Das
Goldene Zeitalter], Bern, 15. November 1938, S. 12,
und 1. Januar 1940, S. 10). In der Videodokumentation Standhaft
trotz Verfolgung sagt der Historiker Dr. Detlef Garbe:
"Antisemitismus
macht sich an Merkmalen auch des Rassismus fest. Zeugen Jehovas lag
es fern, Juden wegen ihrer Herkunft als weniger wert anzusehen.
Für sie galt jeder Mensch gleich wert, als gleichwertig."
11.6 Die
Bemerkungen der Wachtturm-Gesellschaft von 1933 über Juden und
das Bestreben, auf die religiöse, unpolitische Tätigkeit,
Gesetzestreue (sofern nicht Gottes Gesetze wie "Du sollst
nicht töten" verletzt werden), Gerechtigkeitsliebe und
Friedfertigkeit der Zeugen Jehovas hinzuweisen, müssen somit in
ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang richtig eingeordnet und
verstanden werden.
12.1 Die
Aufklärung über die leidvolle Rolle einer Opfergruppe unter dem
NS-Regime führt unter den Zuschauern folgerichtig dazu, daß sie
den Angehörigen der Gruppe mit mehr Respekt und Toleranz
begegnen. Dieser Art Aufwertung, die auf Juden, Sinti und Roma,
Zeugen Jehovas und andere Opfergruppen gleichermaßen zutrifft,
sollte nicht mit Mißtrauen und Mißgunst begegnet werden.
In
der Vergangenheit, als die Geschichtsschreibung Oral History
(mündliche Befragung) noch als "unwissenschaftlich"
verwarf, waren viele Zeugen Jehovas, die Haft oder KZ überlebt
hatten, nicht bereit, den Historikern von ihren Erlebnissen zu
berichten. Elisabeth Brümann-Güdther bemerkt dazu mit Blick auf
Sinti und Roma und Jehovas Zeugen:
"Wer
heute noch (oder wieder) unter den Vorurteilen leidet, die ihn im
Dritten Reich in das KZ gebracht haben, ist vorsichtig damit,
sich öffentlich zu exponieren. Es müsse schon 'richtig'
geschehen, so die verständliche Erwartung, damit keine neuen
Vorurteile gegen die Gruppe entstehen, die das Opfer
vertritt" (Ravensbrückerinnen, 1995, S. 22).
Es
war ein Theologe, der zu dem Schluß kam, daß die Aufklärung
über ihr Verfolgungsschicksal dazu führen wird, daß "die
verfemten Ernsten Bibelforscher in einem etwas neuen Licht"
gesehen werden. Die Äußerung stammt aus dem Jahr 1938. Nachdem
die Wachtturm-Gesellschaft in der Schweiz mit dem Buch Kreuzzug
gegen das Christentum. Moderne Christenverfolgung. Eine
Dokumentation einen gut belegten Bericht über die Verfolgung
der Zeugen Jehovas unter dem [Seite 22] NS-Regime
der Öffentlichkeit vorgelegt hatte, schrieb der Schweizer
Theologe Theophile Bruppacher in einer Rezension:
"Ehre,
wem Ehre gebührt! Der künftige Kirchenhistoriker wird einmal
anerkennen müssen, daß nicht die großen Kirchen, sondern
einige von den verschrienen, belächelten Sektenleuten es gewesen
sind, welche als erste das Rasen des Nazidämons aufgefangen und
den glaubensmäßigen Widerstand gewagt haben. Sie leiden und
bluten, weil sie als Zeugen Jehovas und Anwärter des
Königreiches Christi die Hitlerverehrung, das Hakenkreuz, den
deutschen Gruß und den erzwungenen Gang zur Urne ablehnen."
Bruppacher
schließt mit den Worten:
"Wer
diese Schriftstücke ehrlich auf sich wirken läßt, der wird nun
die verfemten Ernsten Bibelforscher in einem etwas neuen Licht
sehen. Er wird den Stab nicht mehr schnell und selbstbewußt
über ihnen brechen und wird der eigenen Kirche ein Glütlein von
ihrer Überwindereinfalt wünschen" (Wochenzeitung Der
Aufbau, Zürich, 19. August 1938; Hervorhebungen
hinzugefügt).
Wenn
sich heute viele Zeugen Jehovas wünschen, daß man ihre
Religionsgemeinschaft nach dem Anschauen von Standhaft trotz
Verfolgung, um Bruppachers Worte zu gebrauchen, "in
einem etwas neuen Licht sehen" möge, dann
instrumentalisieren sie gewiß nicht die Geschichte für
missionarische Zwecke. "Ehre, wem Ehre gebührt!"
schrieb Bruppacher. In unserer Zeit ist es wichtiger denn je,
Andersdenkende zu verstehen und zu respektieren.
12.2 Viele
Kommentare von Politikern und Personen des öffentlichen Lebens
lassen Toleranz und Verständnis für das Anliegen der Zeugen
Jehovas erkennen. Die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport
des Landes Brandenburg ließ anläßlich der Weltpremiere an der
Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück am 6. November 1996 folgende
Grußworte ausrichten:
"Es
ist richtig und wichtig, daß wir uns heute der beispielgebenden
Standhaftigkeit der Zeugen Jehovas erinnern, denn es war richtig,
sich diesem Unrechtssystem unter allen Umständen zu verweigern.
Und dies gilt erst recht, wenn wir selbst für uns Gründe haben,
die Überzeugungen der Zeugen Jehovas nicht zu teilen."
Professor
Dr. Jürgen Dittberner, zu dieser Zeit Leiter der Stiftung
Brandenburgische Gedenkstätten, sagte anläßlich der
Weltpremiere:
"Wir
halten das Andenken dieser Menschen, die ihren Glauben nicht
verraten haben und dafür leiden, zum Teil sogar sterben mußten,
in allen Ehren."
Der
Ministerpräsident des Landes Brandenburg schrieb zu diesem
Anlaß an die Wachtturm-Gesellschaft:
"[Ich]
möchte Ihnen auf diesem Wege ... versichern, daß ich mit
großer Hochachtung der Zeugen Jehovas gedenke, die mutig
Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet haben und
anderen Häftlingen selbstlose Hilfe gewesen sind. Die
Landesregierung Brandenburg ist daran interessiert, daß das
Schicksal der Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern gut und
ausführlich dargestellt wird. ... Ihre Filmveranstaltung ist ein
wichtiger Schritt auf dem Weg, die Öffentlichkeit über die
Rolle Ihrer Religionsgemeinschaft unter dem NS-Regime zu
informieren."
13.1 Seit
der Weltpremiere am 6. November 1996 an der Mahn- und
Gedenkstätte Ravensbrück, an der viele Zeitzeugen und Vertreter
von Gedenkstätten und Ministerien teilgenommen haben, ist Standhaft
trotz Verfolgung bei öffentlichen Vorführungen an
zahlreichen Orten in Deutschland von Historikern und Personen des
öffentlichen Lebens als Dokumentation gewürdigt worden. Es ist
verfehlt, die Videodokumentation aufgrund einseitiger,
tendenziöser Kritik als "umstritten" zu [Seite 23]
bezeichnen. Dr. William L. Shulman, Holocaust
Resource Center, Queensborough Community College (USA) hat die
Videodokumentation wie folgt empfohlen:
"This
excellent film on the courageous role of the Jehovahs
Witnesses in protesting against the Nazi regime with great
sacrifice, often with their lives, belongs in every video
collection" (Newsletter, Association of Holocaust
Organizations [der 60 Holocaust-Forschungseinrichtungen
angehören], November 1996).
Übersetzung:
"Dieser ausgezeichnete Film über die mutige Rolle der
Zeugen Jehovas, die unter großen Opfern gegen das NS-Regime
protestierten und oft mit dem Leben dafür bezahlten, gehört in
jede Videothek."
13.2 Die
Zeitschrift Geschichte mit Pfiff/Journal Geschichte
(verlegt in Nürnberg, Chefredakteur Dr. Franz Metzger) vom
Juli 1997 meldet in der Rubrik "Neue Bücher/Videos"
(Hervorhebung hinzugefügt):
"Eine
Videodokumentation der Zeugen Jehovas, die auch noch kostenlos
angeboten wird dabei kann es sich doch nur um
missionarische Propaganda handeln? Nun, der Kern der Botschaft
ist nicht zu übersehen, doch übermittelt wird sie in Form eines
soliden und historisch unanfechtbaren Beitrags zu einem Aspekt
der Geschichte des NS-Staates, der sonst kaum Beachtung gefunden
hat: die 'Bibelforscher', wie man die Zeugen Jehovas damals
nannte, standen ganz oben auf der 'Abschußliste' der Nazis,
hatten sie doch nie ein Hehl aus ihrer radikalen Ablehnung der
NS-Ideologie gemacht. Sie waren mit die ersten, die die KZs
füllten wo sie sogar die 'Ehre' eines eigenen Abzeichens,
des violetten Dreiecks, erfuhren und nur selten wieder
verließen, obwohl sie sich mit einer einzigen Unterschrift die
Freiheit hätten erkaufen können. Noch kritischer wurde ihre
Lage mit Kriegsausbruch, als ihre Wehrdienstverweigerung direkt
vors Standgericht führen konnte. Von den 6000 inhaftierten
Bibelforschern haben so über 2000 das Nazi-Reich nicht
überlebt... Sie waren eine relativ kleine Gruppe unter den
Opfern des Regimes; doch haben auch sie Anspruch darauf, für
ihr gewaltloses Zeichen des Widerstandes gewürdigt zu werden,
wie es in dieser Dokumentation geschieht" (S. 38).
14.1 Die
Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung Jehovas
Zeugen unter dem NS-Regime schließt eine Informationslücke
über das Verfolgungsschicksal einer religiösen Minderheit unter
dem NS-Regime.
Die
inhaltlichen Einwände von "religiösen" und anderen
Kritikern gegen die Videodokumentation zielen auf Diskreditierung
ab und haben sich, was zum Beispiel die Resolution vom Berliner
Kongreß 1933 betrifft, als falsch und unseriös erwiesen. Es ist
zu begrüßen, wenn Dozenten, Lehrer und Politiker in der
weltanschaulichen Auseinandersetzung zwischen den
Religionsgemeinschaften nicht einseitig Stellung beziehen,
sondern sich unvoreingenommen ein Bild über die historischen
Fakten verschaffen.
Der
Film, der die Aussagen von Historikern und Zeitzeugen
dokumentiert, kann für den Gebrauch an Bildungseinrichtungen und
Gedenkstätten in Deutschland empfohlen werden, und zwar zur
Vorführung in voller Länge (78 Min.), sequenzweise oder in
der geplanten Kurzfassung (28 Min.). Vorführungen der
Videodokumentation finden bereits vielerorts in Deutschland, den
Vereinigten Staaten, Großbritannien und Rußland statt.
[Seite 24]
Marley
Cole: Jehovas Zeugen. Die Neue-Welt-Gesellschaft. Geschichte
und Organisation einer Religionsbewegung. Frankfurt/Main,
1956.
Michael
H. Kater: "Die Ernsten Bibelforscher im Dritten Reich",
S. 181-218. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte,
Stuttgart, 2. Heft/April 1969.
Detlef
Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas
im "Dritten Reich". Studien zur Zeitgeschichte,
Band 42. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte,
München, 1994.
Lexikon
der Hamburger Religionsgemeinschaften. Religionsvielfalt in der Stadt von AZ. Herausgegeben von der "Arbeitsstelle Kirche und Stadt", Seminar für Praktische Theologie, der Universität der Freien und Hansestadt Hamburg. Wolfgang Grünberg, Dennis L. Slabaugh, Ralf Meister-Karanikas. Hamburg, 1994, Stichwort "Jehovas Zeugen", S. 112-115.
Hermann Ruttmann: Vielfalt der Religionen am Beispiel der Glaubensgemeinschaften im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Herausgegeben vom Religionswissenschaftlichen Medien- und Informati ... [Error]