> > Keine Kompromisse, keine "Anbiederung" (Quellen zur "Erklärung" und zum Kongress der Zeugen Jehovas in Berlin-Wilmersdorf, 25. Juni 1933)


Wrobel, Johannes: Die Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung - Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime" - Eine Stellungnahme, Selters / Taunus 1997:

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Die Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung –

Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime

Eine Stellungnahme

 

Gliederung

 1.0  Einführung.

 2.0  Entstehung und Konzept.

 3.0  Inhalt und Mitwirkende.

 4.0  Wortbeiträge mit "religiösem" Bezug.

 5.0  Der "erzählende" Narrator (Sprecher).

 6.0  Länge und Sequenzen der Dokumentation.

 7.0  Die Erwähnung der Großkirchen.

 8.0  Korrekte historische Fakten. Die Schweizer Erklärung von 1943.

 9.0  Erich Frost und Konrad Franke.

10.0 Der Berliner Kongreß am 25. Juni 1933.

11.0 Kein Antisemitismus.

12.0 Aufwertung der Opfer.

13.0 Positive Stellungnahmen von Außenstehenden.

14.0 Fazit.


Anhang: Literatur zum Thema "Jehovas Zeugen".

 

 

1.0  Einführung

 

1.1  Die in diesem Film dokumentierten Erinnerungen von über 20 Zeitzeugen (Zeugen Jehovas, meist KZ-Überlebende) und die sachlichen Kommentare von 10 Historikern (keine Zeugen Jehovas) bilden eine ergiebige und zeitgeschichtlich wertvolle Informationsquelle bezüglich der Verfolgung einer religiösen Minderheit unter dem NS-Regime, über die noch immer wenig bekannt ist. Die Dokumentation, die sich an das gewählte Thema hält, ohne abzuschweifen, enthält die wesentlichen historischen Besonderheiten und Fakten zu dieser Thematik.

 

1.2.  Die Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung ist von Holocaust-Forschungseinrichtungen gelobt und empfohlen worden. (Siehe Punkt 13.0.) Bei den Kritikern der Zeugen Jehovas schneidet der Film dagegen erwartungsgemäß schlecht ab. Vertreter der beiden Großkirchen und andere Kritiker haben der Dokumentation eine "missionarische Intention" und "Propaganda"-Absichten unterstellt (Mainzer Bistumsnachrichten, Nr. 16, 7. Mai 1997; Pfarrer Joachim Keden [evangelisch], Pfarrer Horst Neusius [katholisch], Renate Heers und andere in einem Gutachten für das Landesmedienzentrum Rheinland-Pfalz, ohne Datum [Frühjahr 1997]). Sie wird eine "professionell gemachte Videodokumentation" und gleichzeitig ein "Propagandafilm" genannt (Hans-Jürgen Twisselmann im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Mai 1997, S. 141, 142).

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2.0  Entstehung und Konzept

 

2.1  Der Anstoß für die filmische Aufarbeitung der Verfolgungsschicksale von Zeugen Jehovas kam von außen. Nach dem internationalen Seminar "Die Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime" am US Holocaust Memorial Museum in Washington D. C. am 29. September 1994 wünschten Historiker und Dozenten mehr Informationen zu dieser Thematik von der Watchtower Society (die religiöse, nichtkommerzielle Körperschaft der Zeugen Jehovas in den Vereinigten Staaten; vgl. Vorspann der Videodokumentation).

Im November und Dezember 1995 wurden Betacam-Aufnahmen an den Gedenkstätten Brandenburg, Sachsenhausen, Ravensbrück, Wewelsburg und Neuengamme gemacht, dort auch einige der Zeitzeugen und Historiker (Dr. Detlef Garbe; Wulff Brebeck und Kirsten John; Dr. Sigrid Jacobeit) interviewt. Im Frühjahr 1996 kamen weitere Interviews und Aufnahmen in den Vereinigten Staaten und Kanada hinzu (Dr. Susannah Heschel und Prof. Dr. John Conway).

 

2.2  Von Januar bis März 1996 wurde bei der Watchtower Society in Brooklyn (New York) am Skript gearbeitet. Dabei wurde streng darauf geachtet, daß das Video seinen Dokumentationscharakter bewahrt und zur Information der Öffentlichkeit dient. Auf religiöse Verkündigung, ein Charakteristikum der Zeugen Jehovas (selbst im Konzentrationslager wurden Gläubige hinzugewonnen), wurde bewußt verzichtet.

Der Film dient zwar der Darstellung der eigenen Opfergruppe oder der "Selbstdarstellung", doch ändert dies nichts am Charakter des Dokumentarberichts (d. h. tatsächliche Begebenheiten werden realistisch und beweiskräftig dargelegt). Standhaft trotz Verfolgung Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime (der englische Titel lautet Jehovah’s Witnesses Stand Firm Against Nazi Assault) erzählt die Geschichte aus der Sicht der Opfer und Historiker. Die Aussagen der Zeitzeugen ("Oral History") wurden mit Kommentaren von Historikern (die hier die traditionelle Geschichtsschreibung vertreten), zeitgenössischen Filmclips und reproduzierten Originaldokumenten (authentische Wiedergabe der Vergangenheit) verknüpft und durch einen "erzählenden" Narrator (Sprecher) in den historischen Zusammenhang gestellt. Damit sollte Standhaft trotz Verfolgung sogar wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, auch wenn der Film auf eine "kritische Distanz" den Opfern und Historikern gegenüber verzichtet.

Der dokumentarische Wert des Films wird durch die vielen Zeitzeugen, die zur Vergangenheit befragt wurden, erhöht. Auffallend ist, daß die Überlebenden ohne Trauer, Zorn oder Verbitterung zurückschauen, was ohne Zweifel auf ihre religiöse Überzeugung, die positiv und bejahend ist und keine Rache kennt, zurückzuführen ist. Die Erinnerungen von NS-Opfern sind immer subjektiv, und Jehovas Zeugen bilden dabei keine Ausnahme. Der "subjektiven Wahrheit" der Zeitzeugen, die der Film der Wachtturm-Gesellschaft widerspiegelt, sollte mit Toleranz und Respekt und nicht mit Mißtrauen begegnet werden. Elisabeth Brümann-Güdther stellt fest:

"Nach millionenfachen Versuchen in Geschichte und Gegenwart, Menschen ihrer Identität zu berauben (wozu auch ihre Biographie gehört), ist für Historiker der Respekt vor der subjektiven Wahrheit des Erzählten oberstes Gebot. Diese Einsicht, so wichtig sie ist, war zugleich auch schmerzhaft, [Seite 3] denn sie offenbarte, daß jedes Suchen nach der historischen Wahrheit immer nur Annäherung an sie sein kann. 'Wie es wirklich gewesen, läßt sich zur Gänze nie beweisen. Beweise gibt es immer nur für kleine Wirklichkeitsausschnitte in der Vergangenheit, deren Zusammenhänge sich immer nur mehr oder minder wahrscheinlich machen lassen. Schon deshalb sind die Auseinandersetzungen über historische Interpretationen never ending debates', beschreibt Niethammer den Sachverhalt, für den Stanislawa Czaijkowska-Bafia diese Worte fand: 'Wenn ich über diese Zeit spreche, so tue ich dies über mein individuelles Leid. Ich weiß, daß dies dann eine Wahrheit ist, denn eine andere Person mag anders denken'" (Ravensbrückerinnen, 1995, S. 24).

 

2.3  Das inhaltliche Konzept, die Verfolgung der Zeugen Jehovas als ideologischen Kampf, als Schlacht, psychologischen Krieg oder Kraftprobe zwischen den Nationalsozialisten und ihnen darzustellen, wurde der Fachliteratur entnommen. Diese Sichtweise gründet sich auf den wissenschaftlichen Aufsatz "Jehovah’s Witnesses under Nazism" von Dr. Christine King in dem Werk A Mosaic of Victims. Non-Jews Persecuted and Murdered by the Nazis von Dr. Michael Berenbaum (Herausgeber), New York University, 1990, Seite 188-192. So stützt sich die englische Überschrift von Teil IV, "Nazi Assault. Battle Lines Drawn" (Das NS-Regime greift an. Klare Fronten) auf Seite 190 dieses Aufsatzes, wo es heißt: "Battle lines were drawn early in 1933 and remained in force until 1945." Weitere Beispiele lauten wie folgt (Hervorhebungen hinzugefügt):

"Suspicion and harassment turned into bitter persecution as the Witnesses refused to surrender, and the two sides were thrown into a pitched battle with dramatic results for each" (S. 189).

"The Witnesses ... resisted national socialism with a fury the Nazis did not understand and could not have anticipated. The Nazis had created their own Leviathan and had catapulted this harmless group into an eschatological battle, in which torture and martyrdom merely reinforced the Witnesses and gave them strength."

"In their battle against Jehovah’s Witnesses, the Nazis had taken on an enemy they did not understand. Their normal arsenal of weapons strengthened instead of weakened the resolve of the Witnesses."

"The public face of the struggle was an embarrassment to Nazi authorities" (S. 191).

"An ideological battle ensued between two 'total' organizations, one very large, one very small, both with all-encompassing eschatological world-views. Once the battle lines were drawn, neither side could or would surrender. The moral victors were the Witnesses, who emerged with one-quarter of their number dead and many others emotionally and physically battered, but with a belief system intact" (S. 192).

Anmerkung zu "'total' organizations": Wie der Nationalsozialismus, so forderte das Christentum der Zeugen Jehovas den "totalen" oder ganzen Menschen (nicht zu verwechseln mit "totalitär"), denn sie verstanden das Wort des Christus in Matthäus, Kapitel 22, Vers 37 (dort zitiert in Anlehnung an den hebräischen Text aus 5. Mose, Kapitel 6, Vers 5, wo das Tetragrammaton JHWH oder der göttliche Name statt "Herr" erscheint) wörtlich: "Du sollst Jehova, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Sinn" (Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift, 1986).

 

2.4  Die Standhaftigkeit der inhaftierten Zeugen Jehovas, die mit nur einer Unterschrift ihre Freiheit erkaufen konnten, wird nicht übertrieben dargestellt oder heroisiert. (Das Heroisieren liegt Zeugen Jehovas aufgrund ihrer religiösen Überzeugung ohnehin fern.) Der Hinweis "Nur wenige unterschrieben" ist historisch korrekt. Dr. Detlef Garbe stellt fest, daß von den 140 bis 150 Zeugen Jehovas im KZ Neuengamme nur 2 unterschrieben, von den 200 Zeugen Jehovas im KZ Mauthausen nur 6, von den 600 Zeugen Jehovas im KZ Ravensbrück nur 5. Es liegen "etwas [Seite 4] größere Zahlen für Buchenwald ... und Sachsenhausen" vor, allerdings bei vielen Zurücknahmen der Abschwörungserklärung (Dr. Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich", 1994, S. 417, Anm. 413).

 

3.0  Inhalt und Mitwirkende

 

3.1  Die Zeugen Jehovas, die in der Videodokumentation ihre Erinnerungen und Erlebnisse schildern, sind Zeitzeugen (Überlebende der NS-Verfolgung) und 3 Beobachter (Zeitgenossen) aus England und Dänemark. Der dokumentarische Wert der Wortbeiträge, die Zahlen, Fakten und Besonderheiten zum Verfolgungsschicksal der Zeugen Jehovas enthalten, ist "meßbar" – keiner der Wortbeiträge der 10 Historiker und über 20 Zeitzeugen hat "missionarischen" Charakter.

Der Dokumentarcharakter des Films ist aus dem Inhalt und der Zusammensetzung der Wortbeiträge ersichtlich. Insgesamt kommen Zeugen und Nicht-Zeugen 118mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Die Nicht-Zeugen kommen 44mal (38 Prozent), die Zeugen Jehovas 74mal (62 Prozent) zu Wort.

 

3.2  Bei den Nicht-Zeugen handelt es sich um Frau de Gaulle aus Frankreich (KZ Ravensbrück) und die Wissenschaftler Dr. Detlef Garbe (Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Prof. Dr. Christine King (Staffordshire University, Großbritannien), Joachim Görlitz (Dokumentationsstelle Brandenburg), Dr. Sigrid Jacobeit (Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück), Wulff E. Brebeck (Leiter des Kreismuseums und der Gedenkstätte Wewelsburg), Dr. Susannah Heschel (Case Western Reserve University, USA) und Prof. Dr. John Conway (University of British-Columbia, Kanada).

Bei den Zeitzeugen und Beobachtern, die Zeugen Jehovas sind, handelt es sich um folgende Personen: Heinrich Dickmann (KZ Esterwegen, Sachsenhausen, Wewelsburg, Buchenwald und Ravensbrück), Anni Gustavsson (KZ Ravensbrück), Else Hansen (dänische Zeugin, die die Häftlinge aus dem KZ Stutthof unmittelbar nach der Landung auf der Insel Mön im Mai 1945 traf), Otto Hartstang (KZ Esterwegen, Sachsenhausen), Käthe Hildebrandt (1933 Mitarbeiterin im Magdeburger Zweigbüro der Watch Tower Society), Max Hollweg (KZ Buchenwald, Wewelsburg), Maria Hombach (Gefängnishaft in Stuttgart), Witali Kostanda (trifft als ukrainischer Zwangsarbeiter Jehovas Zeugen im KZ Hamburg-Neuengamme; überlebt Untergang der "Cap Arcona"), Annemarie Kusserow (Zuchthaus und KZ Hamburg-Fuhlsbüttel), Paul Gerhard Kusserow (in ein NS-Erziehungsheim verschleppt), Waltraud Kusserow (Gefängnis und Lager Oberems), Max Liebster (traf als Jude in den KZ Sachsenhausen, Hamburg-Neuengamme und Auschwitz Zeugen Jehovas), Simone Liebster (als 12jährige von der Gestapo verschleppt), Elfriede Löhr (KZ Lichtenburg und Ravensbrück), Erna Ludolph (KZ Hamburg-Fuhlsbüttel, Lichtenburg, Ravensbrück), Heinrich Markert (Gestapo-Verhöre), Josef Niklasch (Emslandlager Börgermoor, Zuchthaus Brandenburg-Görden), Gertrud Pötzinger (Zuchthaus und KZ Ravensbrück), Wilbrück) und die Wissenschaftler Dr. Detlef Garbe (Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Prof. Dr. Christine King (Staffordshire University, Großbritannien), Joachim Görlitz (Dokumentationsstelle Brandenburg), Dr. Sigrid Jacobeit (Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück), Wulff E. Brebeck (Leiter des Kreismuseums und der Gedenkstätte Wewelsburg), Dr. Susannah Heschel (Case Western Reserve University, USA) und Prof. Dr. John Conway (University of British-Columbia, Kanada).

Bei den Zeitzeugen und Beobachtern, die Zeugen Jehovas sind, handelt es sich um folgende Personen: Heinrich Dickmann (KZ Esterwegen, Sachsenhausen, Wewelsburg, Buchenwald und Ravensbrück), Anni Gustavsson (KZ Ravensbrück), Else Hansen (dänische Zeugin, die die Häftlinge aus dem KZ Stutthof unmittelbar nach der Landung auf der Insel Mön im Mai 1945 traf), Otto Hartstang (KZ Esterwegen, Sachsenhausen), Käthe Hildebrandt (1933 Mitarbeiterin im Magdeburger Zweigbüro der Watch Tower Society), Max Hollweg (KZ Buchenwald, Wewelsburg), Maria Hombach (Gefängnishaft in Stuttgart), Witali Kostanda (trifft als ukrainischer Zwangsarbeiter Jehovas Zeugen im KZ Hamburg-Neuengamme; überlebt Untergang der "Cap Arcona"), Annemarie Kusserow (Zuchthaus und KZ Hamburg-Fuhlsbüttel), Paul Gerhard Kusserow (in ein NS-Erziehungsheim verschleppt), Waltraud Kusserow (Gefängnis und Lager Oberems), Max Liebster (traf als Jude in den KZ Sachsenhausen, Hamburg-Neuengamme und Auschwitz Zeugen Jehovas), Simone Liebster (als 12jährige von der Gestapo verschleppt), Elfriede Löhr (KZ Lichtenburg und Ravensbrück), Erna Ludolph (KZ Hamburg-Fuhlsbüttel, Lichtenburg, Ravensbrück), Heinrich Markert (Gestapo-Verhöre), Josef Niklasch (Emslandlager Börgermoor, Zuchthaus Brandenburg-Görden), Gertrud Pötzinger (Zuchthaus und KZ Ravensbrück), Willi Pohl (KZ Hamburg-Fuhlsbüttel), Josef Rehwald (KZ Sachsenhausen, Wewelsburg, Ravensbrück), Horst Schmidt (zum Tode verurteilt im Zuchthaus Brandenburg-Görden), Albert D. Schroeder (Leiter [Seite 5] des Londoner Büros der Watch Tower Society, 1937–42), Hermine Schmidt (KZ Stutthof), Joseph Schoen (österreichischer Zeuge Jehovas; Haft von 1940 bis 1945; war auf dem Todesmarsch nach Dachau), Margaret West (dänische Zeugin Jehovas und Augenzeugin vom Zustand der Häftlinge aus dem KZ Stutthof, die im Mai 1945 auf der dänischen Insel Mön landeten), Franz Wohlfahrt (österreichischer Zeuge Jehovas; am Schluß der Videodokumentation rezitiert er ein Abschiedsgedicht; er schrieb es im Lager Rollwald, während er seine Hinrichtung erwartete).

 

3.3  Hier folgen einige der zeitgeschichtlich wissenswerten Informationen, die durch die Videodokumentation vermittelt werden und die das Besondere an der Verfolgung der Zeugen Jehovas zeigen (Hervorhebungen hinzugefügt):

Dr. Christine King: "Sie wurden von Anfang an verfolgt, weil sie sich weigerten, auch nur die geringsten Bestandteile des Nationalsozialismus zu akzeptieren."

Dr. Detlef Garbe: "Die Unterlagen zeigen, daß im Frühjahr 1933 von kirchlicher Seite bei staatlichen Stellen das Verbot der Zeugen Jehovas angeregt worden ist."

"Ungefähr fünf bis zehn Prozent der Konzentrationslagerhäftlinge waren in der Vorkriegszeit Zeugen Jehovas. ... Über die Konzentrationslager hinaus fanden sich Zeugen Jehovas in nahezu oder vermutlich wohl in allen Gefängnissen."

Wulff Brebeck: "Ab 1937 bekamen die Zeugen Jehovas ein violettes Dreieck als Zeichen zugeschrieben. ... Die Zeugen Jehovas sind die einzige Religionsgemeinschaft, die eine eigene Häftlingskategorie gebildet hat."

Dr. Sigrid Jacobeit: "Die Bibelforscherinnen waren die allerersten, mit die allerersten Frauen, die aus den ganz frühen Lagern, nämlich aus dem KZ Moringen am Solling und dann vor allen Dingen aus der Lichtenburg bei Torgau, hierher [in das KZ Ravensbrück] gekommen sind."

Narrator: "Von 1937 an wurden alle Zeugen Jehovas, die aus dem Gefängnis entlassen wurden, direkt in ein Konzentrationslager überführt. Am Jahresende befanden sich 6 000 Zeugen in Gefängnissen und Lagern des NS-Regimes."

Geneviève de Gaulle: "Ich hatte große Achtung vor ihnen, denn sie hätten ja von heute auf morgen freikommen können, wenn sie durch eine Unterschrift ihrem Glauben abgeschworen hätten."

Annemarie Kusserow: "Aber im Konzentrationslager Ravensbrück und in Sachsenhausen durften Bibelforscher, wie sie sich damals nannten, nicht den gewöhnlichen Briefverkehr tun. Da waren drei oder vier Reihen. Da durften sie schreiben: 'Mir geht es gut' usw. und Grüße."

Der Narrator über die beiden reichsweiten Flugblattaktionen 1936 und 1937: "Gemäß Dr. Elke Imberger war diese Aktion 'eine besonders spektakuläre ... Form der öffentlichen Verkündigungstätigkeit'." – "Dr. Wolfgang Benz zufolge trugen diese beiden Aktionen dazu bei, 'die Bevölkerung über den verbrecherischen Charakter des NS-Staats aufzuklären'."

Dr. Christine King: "Ich kenne keinen Überlebenden, der sich nicht an die Zeugen erinnert, und alle drücken sich ähnlich aus: eine sehr kleine Gruppe, die aber deutlich hervorsticht. Sie sprechen von dem lila Winkel auf der Häftlingskleidung – darüber, wie sie ihr Essen teilten und sich umeinander kümmerten und daß sie bereit waren, mit anderen Häftlingen zu sprechen, ihnen zu helfen und beizustehen. Das hat sich offenbar fest eingeprägt."

Max Liebster, ein Häftling (damals Nicht-Zeuge), über die besondere Isolation der Zeugen innerhalb des Lagers: "Sie wurden hinter Stacheldraht isoliert, und der Lagerkommandant verkündete oft, daß jeder, der mit Jehovas Zeugen sprechen würde, zur Strafe 25 Schläge bekäme."

Der Narrator über Kriegsdienstverweigerer: "Horst Schmidt war unter den über 250 Zeugen Jehovas, die zum Tode verurteilt wurden."

 

4.0  Wortbeiträge mit "religiösem" Bezug

 

4.1  Wenn KZ-Überlebende, Todeskandidaten und andere Zeitzeugen das Erlebte aus ihrer Sicht wiedergeben, wobei in einigen wenigen Fällen Merkmale ihrer [Seite 6] religiösen Zugehörigkeit hervortreten, dann kann das nicht als ein "Bekehrungsversuch" am Zuschauer gewertet werden.

Für viele Zuschauer, die keine Zeugen Jehovas sind, stellen die seltenen "religiösen" Kommentare von Zeitzeugen sicherlich einen religionswissenschaftlich informativen Beitrag zum Verstehen Andersdenkender dar.

 

4.2  Unter den 118 Wortbeiträgen der Historiker und Zeitzeugen finden sich nur 11 Stellen (9,9 Prozent) mit religiösen Begriffen (z. B. Gott oder das Gebet) oder mit Bemerkungen, die Glaubensstandpunkte (z. B. Bibelstudium und Kriegsdienstverweigerung) der Zeugen berühren. Hinzu kommt eine Stelle, in der der Narrator (Sprecher) Gott und Rettung erwähnt:

Narrator: "Die Zeugen konnten einem Menschen nicht das geben, was nach ihrer Überzeugung Gott zusteht. So löste ein einfacher Gruß – ’Heil Hitler!’ – einen unbarmherzigen Kampf aus. Die Zeugen weigerten sich, 'Heil Hitler' zu sagen, da dies 'Rettung kommt von Hitler' bedeutete."

Auf den Hinweis, daß Zeugen Jehovas nur von Christus Heil oder Rettung erwarteten, wurde hier bewußt verzichtet.

 

4.3  Zusätzlich sind in 3 eingeschobenen Zitaten Hinweise auf Glaubensstandpunkte der Zeugen Jehovas zu finden:

Kirchenpräsident Martin Niemöller (Zitat): "[Die] Ernsten Bibelforscher [sind] ... zu Hunderten und Tausenden ins Konzentrationslager und in den Tod gegangen ..., weil sie den Kriegsdienst ablehnten und sich weigerten, auf Menschen zu schießen."

Der Lagerkommandant von Sachsenhausen vor der Erschießung von August Dickmann am 15. September 1939 (Zitat): "Der Häftling August Dickmann fühlt sich nicht als ein Bürger des Deutschen Reiches, sondern als Bürger des Königreiches Gottes."

Rundfunkansprache von J. F. Rutherford (Präsident der Watch Tower Society; Filmclip vom 2. Oktober 1938): "Das deutsche Volk liebt den Frieden. Der Teufel hat dort als seinen Vertreter Hitler zur Macht erhoben – einen gestörten, grausamen, bösartigen Menschen, der die Freiheiten des Volkes gänzlich mißachtet. Von seinen Helfern unterstützt, herrscht er mit eiserner Faust. Auf unmenschliche Art verfolgt er die Juden, weil sie einst Jehovas Bundesvolk waren und den Namen Jehovas trugen, und weil Christus Jesus ein Jude war."

 

4.4  Die 4 Zitate der Historiker mit "religiösem" Inhalt lauten wie folgt:

Kirsten John: "Was besonders gefährlich für sie wurde, war, daß sie den Kriegsdienst verweigerten. Denn das bedeutete nach dem Kriegsbeginn 1939, daß sie auch zum Tode verurteilt werden konnten. ... Ausgehend von diesem Glaubensgrundsatz, daß Jehovas Zeugen 'Gott mehr gehorchen' wollen 'als den Menschen', befolgen sie das Neutralitätsgebot."

Dr. Detlef Garbe: "Sie machten dadurch von sich reden, daß sie den Kriegsdienst verweigerten, daß sie sich nicht zum Vaterland so bekannten, wie die Nationalsozialisten meinten, sich ein Deutscher dazu bekennen müßte." – "Das ging so weit, daß innerhalb der Lager sich einzelne Mitgefangene zu dem Glauben der Zeugen Jehovas bekannten, ja, es gibt selbst Fälle von Taufen, die in den Konzentrationslagern heimlich durchgeführt wurden."

Dr. Christine King: "Von Anfang an nahmen Jehovas Zeugen eine klare Position oder Haltung ein, und sie bewahrten ihren Standpunkt politischer Neutralität."

 

4.5  Die 7 Zitate der Zeitzeugen mit "religiösem" Inhalt lauten wie folgt:

Simone Liebster (als Kind von den Nazis verschleppt): "Wir haben zusammen ein Königreichslied gesungen und dann gebetet. Ich erinnere mich, daß Mutti zu Jehova sagte: 'Behüte meine Kleine, laß sie treu bleiben.'"

Josef Rehwald (KZ-Überlebender): "Brüder von Buchenwald, die ja auch noch zu diesem Arbeitskommando zukamen, hatten 'Speise' mit oder Literatur, Wachtturm-Artikel. Wir haben dann heimlich im Schlafsaal diese Artikel studiert. Das hat uns sehr viel Kraft gegeben."

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Erna Ludolph (KZ-Überlebende): "Und dann kam Himmler und hat sich seine Opfer angesehen: 'Euch geht’s schlecht, uns geht’s gut! Habt ihr noch nicht eingesehen, euer Gott hat euch doch verlassen! Wir könnten doch machen, was wir wollen!' Und dann wurde ihm geantwortet: 'Der Gott, dem wir dienen, der kann uns auch erretten! Und tut er es nicht, euch dienen wir nicht!'" -- "Die Einheit der Schwestern und der Brüder, das hat uns so viel Kraft gegeben. Das war unser Bestreben, auszuharren unter allen Umständen. Wir haben nie um Freilassung gebeten. Wir haben gebeten, Kraft zu bekommen, um auszuharren. Alles andere war unwichtig. Es ging, für Jehovas Namen einzutreten."

Josef Niklasch (Zeitzeuge) zitiert einen Zuchthauswärter in Brandenburg, wo Hinrichtungen stattfanden: "'Also, andere Gefangene, die wehren sich!' Manche haben sogar geschrien, die konnt’ man schreien hören. 'Aber', sagt er, 'ihre Leute, die gehen zum Schafott hin — bis zum letzten Augenblick erzählen sie von Gottes Königreich.'" -- "Ich kann nur eins sagen, ja. Als Zeuge Jehovas waren wir auch keine Helden. Wir konnten also nicht sagen: Alles, was jetzt kommt, das werd’ ich jetzt auf mich nehmen! ... Nun, wenn ich zu Jehova gebetet habe, da war ja nicht die Bitte jetzt: Ich will schnell nach Hause! Die Tore sollen sich öffnen! Sondern die Bitte war immer, daß Jehova mir die Kraft gibt, damit ich in jeder Situation, die noch kommen mag, ausharren kann."

Franz Wohlfahrt (Todeskandidat), Gedicht aus dem KZ: "Ich bleibe fest in meinem Glauben, wenn die Welt auch höhnt und schreit. Ich bleibe fest in meinem Hoffen auf eine schönere, bessere Zeit. Ich bleibe fest in meinem Lieben, wenn auch die Welt mit Hass mir’s lohnt. Ich bleibe fest in meiner Treue, wenn auch die Welt der Untreu' front. Von Gottes Wort fließt die Kraft der Starken, die auch aus Schwachen Kämpfer macht. Ich bleibe fest durch Gottes Gnade, ich bleib’ es nicht aus eig’ner Kraft. Ich bleibe fest, gilt’s auch mein Leben, und geb' ich meines Odems Rest, ihr sollt vom letzten Hauch noch hören: Ich bleibe fest, ich bleibe fest, ich bleibe fest."

 

5.0  Der "erzählende" Narrator (Sprecher)

 

5.1  In der englischen Version der Videodokumentation ist John Barr, ein Vorstandsmitglied der Watch Tower Society, gleichzeitig der Narrator, der durch die gesamte Dokumentation führt. Er sagt einleitend: "It is a story that must be told." Er "erzählt" diese Geschichte mit Hilfe von Zeitzeugen und Historikern sowie authentischer Dokumente und Filmclips.

Nicht trockener Nachrichtensprecherstil, sondern Erzählstil und gute, einfühlsame Betonung zeichnen den englischen Sprecher aus, was nicht mit Pathos verwechselt werden sollte. Der deutsche Sprecher folgt bei seiner Betonung der englischen Standardversion. Beide Sprecher sind selbst Zeugen Jehovas, die die Geschichte ihrer Glaubensbrüder und die dramatischen Zeitereignisse mit Betonung, Wärme und Gefühl sowie mit Modulation vortragen. (Modulation und gute Betonung findet sich auch bei den Sprechern der Filmdokumentation der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, Hitlers Helfer. Heinrich Himmler – Der Vollstrecker.)

Der Narrator verbindet die Zitate der Historiker und Zeitzeugen durchweg durch inhaltlich sachliche Kommentare.

 

6.0  Länge und Sequenzen der Dokumentation

 

6.1  Der Inhalt der Videodokumentation wurde in sieben in sich geschlossene Sequenzen unterteilt, die durch Titel abgesetzt sind. Dadurch ist es möglich, die Videodokumentation in Teilen zu zeigen, wo das ratsam erscheint, und es braucht nicht die volle Länge von 78 Minuten der Standardversion (full-length scholar’s [Seite 8] edition) vorgeführt zu werden. Außerdem ist eine 28-Minuten-Version (classroom edition) für Schulen in Arbeit.

 

6.2  Die Teile des ungekürzten Films und die Verteilung der Textbeiträge zwischen Historikern und Zeitzeugen (die häufigen Zitate von Historikern unterstreichen, daß es sich bei diesem Film um eine Dokumentation handelt) sehen wie folgt aus:

Einführung (1:30 Min.): Der Engländer John Barr, Vorstandsmitglied der Watch Tower Society. Inhalt: Die Zahl der verfolgten Zeugen Jehovas war im Vergleich zu der der Juden, Polen und anderen NS-Opfer verhältnismäßig gering, doch haben Jehovas Zeugen eine bemerkenswerte Verfolgungsgeschichte, und es ist an der Zeit, sie zu berichten. Originalton:

John Barr: "Diesen Häftlingsanzug trug einmal Helmut Knöller. Er war ein Zeuge Jehovas. Wie er wurden Tausende von Zeugen Jehovas wegen ihres Glaubens in die Gefängnisse und Lager des NS-Regimes gesperrt – eine kleine Zahl im Vergleich zu den Millionen, die durch die NS-Diktatur umkamen. Doch fast 2.000 Zeugen Jehovas verloren ihr Leben, davon mehr als 250 durch Hinrichtung. Diese kleine Gruppe von Christen wurde von Beginn des NS-Regimes an unbarmherzig verfolgt, aber niemals zum Schweigen gebracht. Sie ließen die Welt wissen, daß nicht nur sie, sondern auch Juden, Polen und andere in die Fänge der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten geraten waren. Die Geschichte der Zeugen Jehovas – wie sie standhaft für ihren Glauben eintraten und mutig ihre Stimme erhoben – kennen heute nur wenige. Diese Geschichte darf nicht verschwiegen werden."

Teil I, Seminar (3 Min.): Historiker kommen 4mal und Zeugen Jehovas einmal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Das Seminar "Die Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime" im US Holocaust Memorial Museum in Washington (D. C.) am 29. 9. 1994 bewies das große wissenschaftliche Interesse an der Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas. Die Videodokumentation trägt diesem Umstand Rechnung.

Teil II, Deutschland vor 1933 (3 Min.): Historiker kommen einmal und Zeitzeugen 2mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Jehovas Zeugen etablieren sich in den 20er Jahren als Religionsgemeinschaft in Deutschland und werden von Antisemiten und Nationalsozialisten als Feinde betrachtet.

Teil III, Deutschland 1933 (7 Min.): Historiker und Zeitzeugen kommen jeweils 4mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Die Machtergreifung gibt den Nationalsozialisten die Mittel in die Hand, jeden Andersdenkenden mundtot zu machen – auch Jehovas Zeugen.

Teil IV, Das NS-Regime greift an. Klare Fronten (14 Min.): Historiker kommen 10mal, Zeitzeugen 13mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Jehovas Zeugen weigern sich, "auch nur die geringsten Bestandteile des Nationalsozialismus" zu akzeptieren (Dr. C. King), z. B. den Hitlergruß auszuüben. Die Folge: böse Worte, Prügel, Verlust des Arbeitsplatzes, schließlich Haft; Kinder werden den Eltern weggenommen und in NS-Erziehungsheime eingewiesen. Die Zeugen gehören zu den ersten KZ-Häftlingen; der lila Winkel und der eingeschränkte Briefverkehr der Häftlinge werden als Besonderheit herausgegriffen. (Hinweis: Geneviève de Gaulle ist keine Zeugin Jehovas.)

Teil V, Jehovas Zeugen erheben die Stimme (22 Min.): Historiker kommen 13mal, Zeitzeugen 22mal und ein Beobachter (Zeuge Jehovas A. D. Schroeder, London) einmal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Frühe Wachtturm-Publikationen berichten über die Untaten des NS-Regimes; Telegramm-Aktion an Hitler 1934 und spektakuläre Flugblattaktionen in ganz Deutschland 1936 und 1937. Jehovas Zeugen lassen sich nicht mundtot machen, praktizieren ihren Glauben im Untergrund und im KZ weiter. Sie betrachten alle Menschen, auch die Juden, als gleichwertig; die Verfolgung der Juden wird öffentlich verurteilt.

Teil VI, NS-Verfolgung eskaliert. Todesurteile (16 Min.): Historiker kommen 6mal, Zeitzeugen 19mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Die Erschießung August Dickmanns, des ersten Kriegsdienstverweigerers, am 15. September 1939 in Sachsenhausen. Die Kriegsjustiz verhängt nun Todesurteile. In den KZ sind die Häftlinge mit dem lila Winkel besonderen Schikanen ausgesetzt, weil sie den Krieg nicht [Seite 9] unterstützen. In Wewelsburg versucht die SS vergeblich, 26 Zeugen Jehovas (Kriegsdienstverweigerer) zu Tode zu schinden. Dieser dramatische Teil ist der Höhepunkt der Videodokumentation.

Teil VII, Jehovas Zeugen bleiben standhaft (10 Min.): Historiker kommen einmal, Zeitzeugen 10mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Inhalt: Vor Ende des Krieges setzen die dramatischen "Todesmärsche" ein; Jehovas Zeugen sind sich gegenseitig behilflich, um zu überleben. Die Dokumentation schließt mit einem Gedicht von Franz Wohlfahrt (Österreich), das er während seiner KZ-Haft schrieb.

 

6.3  Die Länge von Dokumentarvideos im Vergleich:

Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime. Farbe, 78 Minuten.

Der gelbe Stern. Dokumentation der Judenverfolgung 1933-45. Ab 12 Jahre, s/w, 85 Minuten.

Auschwitz ... ’45. 60 Minuten.

Ruhelos. Dokumentation über die Kinder, die von der SS-Organisation "Lebensborn e. V." verschleppt wurden. ARD-Video, Farbe, 102 Minuten.

Hitlers Helfer. Heinrich Himmler – Der Vollstrecker. Unter vielen Wortbeiträgen schildert auch ein Zeuge Jehovas die brutale Behandlung im KZ Wewelsburg. ZDF-Chronik, ab 12 Jahre, 53 Minuten.

Hitler. Eine Karriere. ARD-Video, s/w, 155 Minuten.

Die Gestapo. Die Geheimpolizei des III. Reiches. Alasdair Simpson und Michael Campbell, 1991, 52 Minuten.

 

7.0  Die Erwähnung der Großkirchen

 

7.1  Die Rolle der Großkirchen im Hitler-Deutschland wird nur am Rande erwähnt. Die 5 Zitate von 3 Historikern nennen historische Fakten und lauten wie folgt:

Prof. Dr. John Conway: "1914 zogen sämtliche deutschen, französischen, russischen und englischen Heere in den Krieg, und alle ihre Kirchenleute verkündeten, Gott sei auf ihrer Seite. Nichts schadete der Kirche mehr als dieser allseitige Alleinanspruch auf göttliche Unterstützung. 1918 war der Zynismus, die Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit der Kirche so groß, daß die Mehrheit der Soldaten, die in den Schützengräben gedient hatten, völlig ernüchtert zurückkehrten und nicht mehr bereit waren, die moralische Autorität einer Kirche zu akzeptieren, die sie so sehr irregeführt hatte." – "Als es daher im November 1938 zum Kristallnacht-Pogrom kam, was ein schockierender und augenfälliger Beweis für den Antisemitismus der Nationalsozialisten war, hüllten sich die Kirchen in Schweigen."

Dr. Detlef Garbe: "Die Kirchen haben 1933 das Verbot der Zeugen Jehovas in ihrer großen Mehrzahl begrüßt. Die Unterlagen zeigen, daß im Frühjahr 1933 von kirchlicher Seite bei staatlichen Stellen das Verbot der Zeugen Jehovas angeregt worden ist. Dieses Bemühen der Kirchen traf natürlich bei den nationalsozialistischen Machthabern auf offene Ohren. Sie beabsichtigten ohnehin, gegen die Zeugen Jehovas einzuschreiten. Daß die Kirchen ihnen dabei zuarbeiteten, wurde von seiten der nationalsozialistischen Machthaber sehr begrüßt. ... Es gibt also auch Belege dafür, daß Zeugen Jehovas durch Pastoren geholfen wurde. ... Es sind leider sehr, sehr wenige Belege." – "Es gab nicht wenige Vertreter der Kirchen, die offen zum Judenhaß aufriefen. Eine vergleichbare Situation ist bei den Zeugen Jehovas nicht festzustellen."

Prof. Dr. Susannah Heschel: "Was, wenn sich die evangelische Kirche wie die Zeugen Jehovas verhalten hätte? Oder die Katholiken? Meiner Ansicht nach wäre die Geschichte völlig anders verlaufen."

Literaturhinweise (Auswahl):

Gerhard Besier und Gerhard Ringshausen: Bekenntnis, Widerstand, Martyrium. Von Barmen 1934 bis Plötzensee 1944. Göttingen, 1996.

Karl Dietrich Erdmann: Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933–1939. Gebhard, Handbuch der deutschen Geschichte, Band 20. München, 1980. Kapitel 13, "Die Kirche im nationalsozialistischen Deutschland".

[Seite 10]

Monika Kringels-Kemen und Ludwig Lehmhöfer: Katholische Kirche und NS-Staat – Aus der Vergangenheit lernen? Frankfurt/Main, 1981.

Kurt Meier: Evangelische Kirche in Gesellschaft, Staat und Politik 1918–1945. Evangelische Verlagsanstalt, Ost-Berlin, 1987.

Eberhard Röhm: Sterben für den Frieden. Spurensicherung: Hermann Stöhr (1898 bis 1940) und die ökumenische Friedensbewegung. Stuttgart, 1985.

Eberhard Röhm und Jörg Thierfelder: Juden – Christen – Deutsche 1933–1945. Band 1: 1933–1935 – ausgegrenzt. Stuttgart, 1990.

Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. München, 1985.

Ludwig Volk: Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Mainz, 1987.

 

8.0  Korrekte historische Fakten / Die Schweizer Erklärung von 1943

 

8.1  Der Film vermittelt historisch korrekte und gesicherte Informationen über den Kongreß und die Resolution der Zeugen Jehovas vom 25. Juni 1933 in Berlin-Wilmersdorf sowie über Erich Frost und Konrad Franke, leitende Zeugen Jehovas der Nachkriegszeit, die in den 60er und 70er Jahren von der DDR aus als "Verräter" diskreditiert worden sind. (Darauf gehen die Teile 9.0 und 10.0 näher ein.) Werfen wir zuerst einen Blick auf die Schweizer Erklärung von 1943, die in der Videodokumentation nicht erwähnt wird. Die Weglassung oder "Verschweigung" wird von den unter Punkt 1.2 erwähnten Kritikern als "geschichtsverfälschend" gewertet, die "Erklärung" von 1933 angeblich "verharmlost".

 

8.2  Die im Film mehrfach von Historikern und Zeitzeugen erwähnte Ablehnung militärischer Dienste und Arbeiten beruhte auf einer persönlichen Gewissensentscheidung des einzelnen und wurde von Jehovas Zeugen nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in der Schweiz praktiziert. In der Schweiz, wo die Militärgerichte zahlreiche Fälle von Dienstverweigerung von Zeugen Jehovas verhandeln mußten, veröffentlichte die Wachtturm-Gesellschaft in der Zeitschrift Trost vom 1. Oktober 1943 eine Erklärung, an deren Formulierung ihre Rechtsanwälte (keine Zeugen Jehovas) mitgearbeitet hatten und die wie folgt lautete:

"Wir werden als eine Vereinigung hingestellt, die bezwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sei, 'die militärische Disziplin zu untergraben, insbesondere Dienstpflichtige zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zur Dienstverletzung, zur Dienstverweigerung oder zum Ausreißen zu bewegen oder zu verleiten'. Eine solche Auffassung kann nur vertreten, wer Geist und Wirken unserer Gemeinschaft völlig verkennt oder sie wider besseres Wissen böswillig entstellt. Wir stellen ausdrücklich fest, daß unsere Vereinigung weder gebietet noch empfiehlt, noch sonst in irgendeiner Weise nahelegt, gegen militärische Vorschriften zu handeln. Derartige Fragen werden weder in unseren Versammlungen noch in den von der Vereinigung herausgegebenen Schriften behandelt. Wir beschäftigen uns überhaupt nicht mit solchen Fragen. Wir erblicken unsere Aufgabe darin, für Jehova Gott Zeugnis abzulegen und den Menschen die biblische Wahrheit zu verkündigen. Hunderte unserer Mitglieder und Glaubensfreunde haben ihre militärischen Pflichten erfüllt und erfüllen sie weiterhin. Wir haben uns nie angemaßt und werden uns nie anmaßen, in diesem militärischen Pflichterfüllen eine Zuwiderhandlung gegen die Grundsätze und Bestrebungen der Vereinigung Jehovas Zeugen, wie sie in ihren Statuten niedergelegt sind, zu erblicken. Wir bitten alle unsere Mitglieder und Glaubensfreunde, bei der Verkündigung der Botschaft vom Königreich Gottes (Matthäus 24:14) sich nach wie vor streng auf die Verkündigung der biblischen Wahrheiten zu beschränken und alles zu vermeiden, was Anlaß zu Mißverständnissen geben oder gar als Aufforderung zum Ungehorsam gegen militärische Vorschriften mißdeutet werden könnte. Bern, den 15. September 1943. Vereinigung Jehovas Zeugen der Schweiz. Der Präsident: Ad. Gammenthaler. Der Sekretär: D. Wiedenmann."

[Seite 11]

Die Schweizer Erklärung machte damals deutlich, daß Jehovas Zeugen in der Schweiz nicht gegen das Militär kämpften. (Vgl. dazu die Überschrift "Die Entlarvung der 'Bibelforscher'. Ihre Wühlarbeit gegen die Wehrmacht einwandfrei erwiesen" in der in Königsberg erscheinenden Elbinger Zeitung, Nr. 207 vom 4. September 1936.) Doch der Satz "Hunderte unserer Mitglieder und Glaubensfreunde haben ihre militärischen Pflichten erfüllt und erfüllen sie weiterhin" mit dem man solche Mitverbundenen meinte, die noch keine getauften Zeugen Jehovas waren und in der Militärfrage noch keine Stellung bezogen hatten, war nur zum Teil richtig. Anläßlich des Landeskongresses der Zeugen Jehovas in Zürich im Jahre 1947 wurde diese Angelegenheit richtiggestellt. Der Wachtturm vom 15. Januar 1948, Seite 31 berichtet:

"Nicht fest genug und unzweideutig genug haben sie [die Zeugen in der Schweiz] in der breiten Öffentlichkeit Stellung bezogen, um sich als wahre Bibelchristen auszuweisen. Das ist offenbar der Fall gewesen in der Frage der Neutralität hinsichtlich der Angelegenheiten und Streitigkeiten dieser Welt ... Zum Beispiel nahm es das Schweizer Büro auf sich, in der Ausgabe von Trost vom 1. Oktober 1943 (Schweizer Ausgabe von Consolation), also während der zunehmenden Bedrängnis des letzten Weltkrieges, als die politische Neutralität der Schweiz bedroht zu sein schien, eine Erklärung zu veröffentlichen ... Jetzt war die Zeit für die Schweizer Geschwister gekommen, vor Gott und Christus ein Bekenntnis abzulegen, und als Antwort auf Bruder Knorrs Einladung [N. H. Knorr löste am 13. Januar 1942 den am 8. Januar 1942 verstorbenen J. F. Rutherford als Präsident der Watch Tower Society ab], sich zu äußern, erhoben viele Geschwister die Hand, um alle Zuschauenden wissen zu lassen, daß sie ihre stillschweigende Zustimmung zu dieser Erklärung von 1943 zurückziehen und diese in keiner Weise mehr zu unterstützen wünschen."

Da die Schweizer Erklärung keine reale Situation beschreibt und die Zeugen Jehovas in der Schweiz keine Ausnahme bildeten, was die Militärfrage betraf, geht die Videodokumentation nicht darauf ein.

 

9.0  Erich Frost und Konrad Franke

 

9.1  Erich Frost und Konrad Franke, die westdeutschen Leiter der Wachtturm-Gesellschaft in der Nachkriegszeit, werden in der Videodokumentation als loyale Zeugen Jehovas genannt, ohne daß auf die diffamierende Behauptung des "Verrats" eingegangen wird, wie sie von den ostdeutschen Kommunisten der DDR (ab Juni 1961) anonym verbreitet und dann von der Zeitschrift "Der Spiegel" (im Juli 1961) veröffentlicht worden war. Grundlage für diese Angriffe auf Frost und Franke bilden Gestapo-Verhörprotokolle, die vom Staatssicherheitsdienst der DDR für Diffamierungs- und Erpressungszwecke übernommen worden waren.

 

9.2  Weitere Publizität erhielt die Diffamierung durch das Buch Die Zeugen Jehovas. Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft von Manfred Gebhard (Urania-Verlag Leipzig, Jena, Berlin), das 1970 zuerst in der DDR und kurz darauf (1971) in einer Lizenzausgabe in Westdeutschland erschien. (Man bedenke, daß damals nicht einmal Kochbücher gemeinsam in der DDR und BRD erscheinen konnten.) Das Buch war in Wirklichkeit vom ostdeutschen Staatssicherheitsdienst geschrieben und von kirchlichen Stellen der DDR gefördert worden. (Vgl. Gerhard Besier und Stephan Wolf: "Pfarrer, Christen und Katholiken". Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen. 2. Aufl. Neunkirchner Verlag, 1992, S. 84, Anm. 380. [Neues Material präsentiert Dr. Waldemar Hirch.]) Der Historiker Dr. Detlef Garbe nennt das Buch von [Seite 12] Manfred Gebhard ein "Auftragswerk" der DDR, in dem "den damaligen ideologischen Vorgaben deutlich Rechnung getragen" wurde und das sich durch "selektive Quellenauswahl" und durch "entstellende Zitate" auszeichnet (Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich", 1994, S. 20, 21).

In dieser DDR-"Dokumentation" wurden Frost und Franke als "Handlanger der Gestapo" diffamiert, da ihre Gestapo-Verhörprotokolle viele Namen und Einzelheiten aus dem Untergrundwerk der Zeugen Jehovas enthalten.

 

9.3  Bei der Bewertung von Gestapo-Verhörprotokollen darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Verhöre unter Anwendung von Folter vorgenommen wurden. Die Gestapo "hatte das staatlich verbriefte Recht, Geständnisse durch Folter zu erpressen" (Rupert Butler, Illustrierte Geschichte der Gestapo, London, 1992, Klappentext). Über ihre Methoden heißt es:

"Die Gestapo unterhielt ein riesiges Netz von Spionen, Agenten und Informanten, und ihre Schergen legten eine außerordentliche Aktensammlung über alles und jeden an. Die Gestapo-Operationen zeichneten sich durch überraschende Schnelligkeit und strenge Geheimhaltung aus. Ihre Verhörpraktiken waren äußerst brutal. Die Gestapoagenten maßten sich das Recht zur Verhaftung, Einkerkerung und Exekution an" (Videodokumentation Die Gestapo. Die Geheimpolizei des III. Reiches. 1991).

Standhaft trotz Verfolgung erwähnt, daß die Gestapo im Juni 1936 ein Sonderkommando bildete, um Zeugen Jehovas zu jagen. Die Gestapo arbeitete dabei mit dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) zusammen und wurde außerdem von erfahrenen Kriminalbeamten unterstützt, was bald zu Massenverhaftungen von Zeugen Jehovas führte (Jens-Uwe Lahrtz: Zu den Strukturen und Aufgabenfeldern von politischer Polizei und Geheimer Staatspolizei in Sachsen 1933-1939. In: Sächsische Justizgeschichte, Band 6. Dresden, 1996, S. 49–54).

Im Laufe der Zeit verfügte die Gestapo über eine Fülle von Informationen über die verbotene Tätigkeit von Zeugen Jehovas, die die Beamten ohne Zweifel bei den Verhören von Angehörigen der Glaubensgemeinschaft geschickt einsetzten. Klärungsbedürftig ist, inwieweit die protokollierenden Polizeibeamten damals für die Detailgenauigkeit der "Geständnisse" gesorgt haben und nicht ihre Opfer.

 

9.4  Sicherlich steht heute niemandem ein Urteil über Opfer zu, deren Aussagen von der Gestapo erpreßt oder konstruiert werden konnten. Die Historikerin Dr. Elke Imberger stellt fest:

"Hier wird deutlich, wie die Gestapo unter Folter erpreßte Aussagen führender Bibelforscher benutzte, um IBV-Funktionsträger gegen die Basis auszuspielen und weitere Angaben über die illegale Organisation zu erzwingen. Zu den psychischen Druckmitteln in den Verhören gehörten ebenso die Gegenüberstellung, ... aber auch stundenlange Verhöre bis tief in die Nacht. Als 'Gestapo-Handlangerei', wie Manfred Gebhard es nennt, kann man diese umfassenden Aussagen angesichts des physischen und psychischen Drucks, den die vernehmenden Gestapobeamten auf die Festgenommenen ausübten, nicht bezeichnen" (Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933-1945, Neumünster, 1991, S. 349-351; Hervorhebungen hinzugefügt).

Erich Frost schildert die damaligen Ereignisse im Wachtturm vom 1. Juli 1961, Seite 411 wie folgt:

"Die Gestapo hatte Kenntnis von unserem Plan, uns an jenem Freitag [27. März 1937] zur Gedächtnismahlfeier zu treffen, doch wußte sie nicht, wo. Mehr als einmal schlug man mich, bis ich bewußtlos war, überschüttete mich dann mit Wasser, um mich wieder zum Bewußtsein zu bringen. Bald konnte ich nicht mehr liegen und nicht mehr sitzen. Von Freitag bis Montag aß und trank ich [Seite 13] kaum etwas, rief aber unablässig Jehova um Hilfe an, damit ich um der Brüder willen schweigen könnte. Als ich wieder vor die Gestapo-Meute geführt wurde, dachte ich an Daniel in der Löwengrube. Ihr zorniger Wortschwall verriet mir, was ich hören wollte: Die Brüder waren nicht in das Netz geraten, das die Polizei gelegt hatte. Meine Freude war unbeschreiblich."

Nach dem 27. März 1937 gelangte die Gestapo offenbar an wichtige Informationen über das Untergrundwerk der Zeugen Jehovas.

Am 2. April 1939 meldete Ludwig Cyranek (er wurde am 3. Juli 1941 hingerichtet) aus dem Untergrund an das Schweizer Büro der Wachtturm-Gesellschaft in Bern:

"Betr. Br. Erich Frost, z. Z. Oberlangen, Post Lathen, Lager 6/Emsland. ... Die Verfahrensweise der Gestapo, besonders in der berüchtigten Hauptzentrale der Gestapo, dem Columbia Lager Berlin, um Geständnisse zu erzwingen, liessen an Grausamkeit nichts zu wünschen übrig. Auf bestialische Art und Weise wurde der Gefangene meistens nachts vernommen. In einer Nacht wurde er 3 Mal von den Henkersknechten bewusstlos geschlagen, und jedesmal wurde er durch kalte Wasserkuren wieder zum Bewusstsein gebracht.

Die Gestapo veranlasste die Gegenüberstellung von Br. Frost mit einer Frau in Stuttgart. Beim Anblick von Br. Frost entsetzte sich diese Frau wegen des schrecklichen Aussehens des Gefangenen. Einer der Gestapobeamten sagte daraufhin: 'Das ist ja ein Beweis, dass Sie ihn kennen, wenn Sie so erschrecken. ' Die Frau erwiderte: 'Diesen Mann habe ich noch niemals gesehen und bin erschrocken über das furchtbare Aussehen von diesem Mann.'

Br. Frost glaubt, dass die Gestapo irgendein Mittel gebraucht hat, was ihm wahrscheinlich mit dem Essen verabreicht wurde, wodurch ihm die Willenskraft und die Kontrolle über seine Gedanken genommen wurden, weil er an den gemachten Aussagen, die ihm später vorgelesen wurden, feststellte, dass er solche Aussagen bei klarem Verstande unmöglich gemacht hätte. Nach den furchtbaren Misshandlungen konnte er weder stehen noch sitzen, und als er nach Tagen einen Spiegel zu Händen bekam, war er so erschrocken über sein Aussehen, weil er sich selbst nicht wiedererkannte. Seine Qualen, die er durchzumachen hatte, waren dergestalt, dass er zu Jehova geschrieen hat, ihn durch den Tod aus seiner peinvollen Lage zu befreien. ... Hamburg, den 2. April 1939. [gezeichnet] Ludwig Cyranek" (Wachtturm-Geschichtsarchive, ZEB IV/4/15).

Noch während des Krieges meldete das Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1940 (Bern, Schweiz), offensichtlich mit Bezug auf Erich Frost:

"Die Berliner Gestapo zeigte sich grausam bis zum äußersten, um ihm [einem verhafteten Zeugen Jehovas] Geständnisse abzupressen. Die Verhöre fanden meist nachts statt und waren von einer viehischen Roheit. In der einen Nacht schlugen ihn die Nazis dreimal bewußtlos und übergossen ihn dann mit kaltem Wasser, damit er wieder zu sich komme. Der Bruder meint, daß die Gestapo in seine Nahrung schädliche Stoffe gemischt habe, damit er die Kontrolle über sich verlor und Aussagen machte, von denen er später, als sie ihm vorgehalten wurden, nicht wußte, sie jemals gemacht zu haben" (S. 241; siehe auch Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974, S. 126).

Erich Frost selbst nahm im März 1971 zu den Vorwürfen des Verrats in einem bisher unveröffentlichten Lebensbericht, in dem er die Arbeit im Untergrundwerk ausführlich schilderte, wie folgt Stellung:

"Wir zehn Brüder, mich eingeschlossen, die wir uns Treue und bestmöglichste Verschwiegenheit in dem neu aufzunehmenden Untergrundwerk gelobt hatten, bereiteten nun ganz neue Gebiete vor, indem wir – noch in Luzern [4.-7. September 1936] – zwei Landkarten von Deutschland kauften. Die eine, die alle eingezeichneten Gebiete enthielt, behielt ich für mich, und die andere Karte wurde genau nach den eingezeichneten Gebietsgrenzen zerschnitten, und jeder der Brüder, wir nannten uns damals Bezirksleiter zum besseren Verständnis unserer Funktionen, erhielt einen solchen Ausschnitt, ohne weitere Listen der Versammlung zu erhalten. Jeder verpflichtete sich, in seinem Dienst sich ganz an die Grenzen seines Gebietes zu halten und die dort wohnenden Geschwister mit dem Wachtturm und anderen ermunternden Nachrichten der Wachtturm-Gesellschaft zu betreuen. Auch wurde ein System ausgedacht, im Falle der Verhaftung eines von uns schnellstmöglichst Nachricht zu geben, damit die Stelle neu besetzt und so die Versorgung der Versammlungen ungestört fortgeführt werden könne. Natürlich war diese Untergrund-Organisation nicht vollkommen, aber es war das Beste, was wir unter den damaligen Umständen hatten erfinden können.

[Seite 14]

Unser monatlicher Haupttreffpunkt war Berlin, die größte Stadt in unserem Lande, und jedesmal an einer anderen Stelle, gewöhnlich einer U-Bahn-Haltestelle, von wo aus dann durch zwei sehr tapfere und mutige Schwestern, Ilse Unterdörfer und Elfriede Löhr, die Brüder unauffällig in Empfang genommen und zum Treffen, gewöhnlich in einen der entlegenen Schrebergärten, eine Laube, geführt wurden. Das ging eigentlich niemals 'schief'. Wir konnten dort einige Stunden ungestört zusammen sein, über alles Notwendige sprechen und sogar ein wenig ausruhen, auch für einen Imbiß wurde durch die Schwestern gesorgt, bis dann jeder einzelne wieder nach Bekanntgabe des nächsten Treffpunktes den Weg oder die Reise in sein Arbeitsgebiet antrat. Jeder von uns hatte einen Vertreter – aber nur einen, den er in alles über sein Gebiet einweihte, damit dieser bei Verhaftung an seine Stelle treten und das Werk ungestört weitergeführt werden konnte.

Bald geschah es, daß der eine oder der andere an unserem Treffpunkt ausblieb. Sein Vertreter kam statt dessen und gab uns Bericht von der Verhaftung, und sehr oft erhielten wir sogar Kunde von dem, was nach der Verhaftung eines solchen Bruders in Erfahrung gebracht worden ist, was er ausgesagt hat, wer durch solche Aussagen in Gefahr gekommen ist, welche Gelder beschlagnahmt worden waren und auch – was für uns besonders wichtig war – ob eine unserer Vervielfältigungsmaschinen ausgehoben worden ist. Ein jeder von uns wußte ja nur zu genau, daß auch einmal die Reihe an ihn kommen würde, und er konnte sich lediglich darauf gefaßt machen, sehr hart behandelt, ja gefoltert zu werden; und dann sollte er lediglich das aussagen, was die Gestapo durch die vorangegangenen Brüder ohnehin wußte. (Hier habe ich eine Einfügung, nicht zu meiner Rechtfertigung, denn darauf kommt es gar nicht mehr an, nur zur Richtigstellung für meine Brüder: Das deutsche Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel' brachte in seiner Ausgabe 1961 Nr. 30 einen sehr gehässigen Artikel gegen mich unter der Überschrift 'Väterchen Frost'. Ich hätte wegen dieser Bezeichnung beinahe stolz sein können; denn so etwas hatte es bei uns doch nicht gegeben, es ist ein ausgesprochener russischer, wahrscheinlich sogar sowjetischer Titel! Wir, die Wissenden über die Vorgänge, haben darüber gelacht; doch natürlich ist es möglich, daß einige Schwache unter den Zeugen Bedenken in sich aufbrachten und vielleicht zurückfielen in die Welt. ... Ich hatte über diese Anschuldigungen Bruder Knorr befragt, ob ich vielleicht etwas tun sollte. Doch er sagte mir: 'Nein, laß das sein, Bruder Frost! Was glaubst du, wie viele Anschuldigungen gegen mich gemacht werden. Wir schenken solchen keine Aufmerksamkeit. We put them in the file, d.h. wir legen sie ab, aber haben keine Zeit, sie zu lesen.' – Eine Privatklage hätte die Redakteure des Spiegel in eine unangenehme Lage gebracht. Sie hatten sich bei diesem Pamphlet-Artikel schuldig gemacht, Aufzeichnungen der für menschenunwürdig erklärten Gestapo zur Anklage gegen unbescholtene Bürger des Landes gebraucht zu haben. Denn ihre Behauptungen waren unwahr, und ein Gericht hätte sie damals zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Doch wir als Zeugen Jehovas hatten Wichtigeres zu tun. ...)" (Wachtturm-Geschichtsarchive, LB Frost, S. 54 ff.).

 

9.5 Die Integrität von Erich Frost, Konrad Franke und anderen leitenden Zeugen Jehovas, die von Gegnern der Zeugen Jehovas des "Verrats" an ihren Mitbrüdern beschuldigt werden, ist von den eigenen Glaubensbrüdern niemals ernsthaft in Frage gestellt worden, weder während noch nach der Verfolgungszeit. Es spricht tatsächlich für sich selbst, wenn Akten der Täter und der Gestapo, die vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zu einer "kriminellen Vereinigung" erklärt wurde, benutzt werden, um unbescholtene Bürger zu diskreditieren.

 

10.0  Der Berliner Kongreß am 25. Juni 1933

 

10.1  Die oben erwähnte DDR-"Dokumentation" von Manfred Gebhard verbreitete außer Diffamierungen von leitenden Zeugen Jehovas auch Unwahrheiten über den angeblich "antisemitischen und profaschistischen Kongreß der WTG [Wachtturm-Gesellschaft] vom 25. Juni 1933 mit Rutherford und Knorr in Berlin-Wilmersdorf". (Weder J. F. Rutherford noch N. H. Knorr waren anwesend.)

[Seite 15]

Außerdem wurden in "The Christian Quest" Unwahrheiten über den Kongreß 1933 verbreitet, die von Gegnern der Zeugen Jehovas bis heute kritiklos übernommen worden sind. Bei "The Christian Quest" handelt es sich um eine ominöse Publikation (sie ist bislang nicht als akademische Veröffentlichung nachgewiesen) von ehemaligen Zeugen Jehovas, die gegen die Wachtturm-Gesellschaft polemisieren.

 

10.2  Es ist unwahr, daß die Wachtturm-Gesellschaft auf dem Berliner Kongreß 1933 eine "Anbiederung" an Hitler versuchte und erst nach diesem vermeintlich erfolglosen Versuch die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland einsetzte. Die Delegierten faßten eine "Erklärung" oder Petition, was legitim und verfassungsgemäß war. Darin bat man den Reichskanzler und die Länderbehörden, die bereits bestehenden Verbote (z. B. in Bayern am 13. April 1933, in Sachsen am 18. April 1933, in Thüringen am 26. April 1933 und in Baden am 15. Mai 1933) der Zeugen Jehovas aufgrund der Notverordnung vom 28. Februar 1933 zum Schutz der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" aufzuheben und eine Untersuchung der Sachlage durch religiös unvoreingenommene Personen einzuleiten. Die Wachtturm-Gesellschaft machte klar, daß Jehovas Zeugen als friedliche und ordnungsliebende Bürger nicht gegen, sondern vielmehr für die "öffentliche Sicherheit und Ordnung" des Landes wirkten. Ihre religiösen Gegner hatten das Gegenteil behauptet.

 

10.3  Das Begleitschreiben der Resolution wurde mit gebotener Höflichkeit und daher mit den Worten "Sehr verehrter Herr Reichskanzler" begonnen. In der Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, wo die "Erklärung" und der Begleitbrief an Hitler eingesehen werden können, findet der Besucher seit Jahren eine korrekte Kommentierung der Wachtturm-Dokumente, in der es heißt:

"Obwohl sich die Petition an den Reichskanzler Hitler wendet, vermeidet sie die schon zu dieser Zeit verbreitete Anrede 'Führer'. ... Wie auch Vertreter der großen Konfessionen geben sich führende Zeugen Jehovas zunächst der trügerischen Erwartung hin, Hitler sachlich über ihre Ziele informieren zu können. Sie hoffen, daß er die Verfolgung beendet. Keinen Zweifel lassen die Zeugen Jehovas aber an ihrer inneren Verpflichtung, nur dem Wort Gottes zu dienen" (Ausstellungstext, Abschrift).

 

10.4  An diesem 25. Juni 1933 und auch später (z. B. im Goldenen Zeitalter vom 1. Juni 1934, S. 4-7) haben Jehovas Zeugen, vertreten durch die Wachtturm-Gesellschaft, Nationalsozialisten oder Punkt 24 ihres Parteiprogramms zitiert, wo mit gewissen Einschränkungen "die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat" gefordert wurde. Im Begleitschreiben an Hitler haben sie damit an die Grundsätze oder "Ideale" erinnert, die der Reichskanzler und seine Parteianhänger öffentlich proklamiert hatten. Es war bekannt, daß "den christlichen Glaubensgemeinschaften im D[eutschen] Reich Bekenntnisfreiheit durch die R[eichs]V[erfassung] v. 1919 zugesichert" war sowie "die Möglichkeit, der Stimme des Gewissens zu folgen, ohne daran durch Gewalt, Gesetze od. Maßregeln gehindert zu werden" (Meyers Kleines Lexikon, Leipzig, 1933, Bd. 2, S. 853). In seinem Buch Mein Kampf schrieb Hitler:

"Das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott ist heilig und muß respektiert werden. Politische Macht und religiöse Angelegenheiten müssen auseinandergehalten werden" (zitiert nach dem oben genannten Goldenen Zeitalter vom 1. Juni 1934).

Mit ihrem Schreiben vom 25. Juni 1933 an Hitler machte die Wachtturm-Gesellschaft deutlich, daß Jehovas Zeugen religiöse Rechte und die freie Religionsausübung in Deutschland vorenthalten wurden und die bestehenden Verbotserlasse [Seite 16] in Bayern, Sachsen und anderen Ländern des Reiches zu Unrecht bestanden. Die Wachtturm-Gesellschaft führte diese Situation auf eine einseitige Beeinflussung der Behörden durch ihre religiösen Kritiker zurück und bat um eine unparteiische Anhörung.

 

10.5  Wie erwähnt, ist es unwahr, daß die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland erst nach dem Berliner Kongreß am 25. Juni 1933 einsetzte. Tatsache ist, daß der Verbotserlaß für Preußen, das größte deutsche Land, das Datum vom 24. Juni 1933 trägt und daß die Verfolgung durch die Nationalsozialisten schrittweise zunahm, wie das in der Videodokumentation gezeigt wird.

Nach unvollständigen Angaben wurden von 1933 bis 1945 rund 10.000 Zeugen Jehovas unmittelbar Opfer des Nationalsozialismus (d. h. Verlust des Arbeitsplatzes oder der Rente, Kinder entführt, Verurteilung zu Geld- oder Haftstrafen usw.). Rund 6.000 (über 445 aus Österreich) waren in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert, wobei etwa 2.000 (zirka 150 Österreicher) ihr Leben verloren, davon wiederum über 250 (mindestens 48 aus Österreich) durch Hinrichtung. [Stand 1997; siehe die aktuellen Zahlen]

Bei den zahllosen Verhören beriefen sich die Zeugen Jehovas auf ihr eigenes Gewissen und die eigene christliche Überzeugung – nicht auf Anweisungen J. F. Rutherfords (des Präsidenten der Watch Tower Society in Brooklyn, New York) oder auf die Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg. Die Zeugen zitierten vor Gericht auch nicht die Zeitschrift Der Wachtturm, sondern die Bibel, wie erhalten gebliebene Zeitungsartikel aus dieser Zeit bezeugen. Unter der Schlagzeile "Er wollte sogar den Richter bekehren! Fünf Monate Gefängnis für einen falschen Propheten" meldete eine Zeitung:

"Nach dreimonatigem Aufenthalt im Konzentrationslager wurde er [Heinrich Dickmann aus Dinslaken] nunmehr der 6. großen Duisburger Strafkammer vorgeführt, die ihm Verstöße gegen das Gesetz zur Erhaltung des inneren Friedens, gegen das Gesetz zum Schutze von Volk und Staat und gegen die Verordnung des preußischen Ministers des Innern vorwarf. D[ickmann] ließ sich genau so ein wie alle seine Gesinnungsgenossen, die behaupteten, nicht der Bibelforscher-Vereinigung anzugehören, sondern lediglich die Bibel auf ihre eigene Art auszulegen. D[ickmann] gab wohl zu, daß er mit Gleichgesinnten, die sich gleich ihm 'Zeugen Jehovas' nennen, sich zum Studium der Bibel zusammengefunden habe. Es sei seine Pflicht, 'der Menschheit die frohe Botschaft von der Erfüllung des Reiches Jehovas' zu bringen. Auf eine diesbezügliche Frage des Vorsitzenden erwiderte D[ickmann], daß die hl. Schrift das Töten verbiete und er deshalb auch nicht in einen Krieg ziehen werde" (ohne Titel und Datum [ca. 29. Oktober 1935], Wachtturm-Geschichtsarchive, LB Dickmann, Heinrich; vgl. ebenda, "'Nur Jehova verantwortlich!' Werbeaktion der Bibelforscher führte zu Massenverhaftungen", Danziger Vorposten, 17. September 1937).

"Berlin, 18. Juli. Ueber die Entscheidung eines Arbeitsgerichts, nach welcher unbegründetes Fernbleiben von den Betriebsfeierlichkeiten am 1. Mai als Entlassungsgrund gilt, berichtet der 'Informationsdienst' der Deutschen Arbeitsfront u. a.: Die Kläger, frühere Mitglieder der Bibelforschervereinigung, waren am 1. Mai trotz Aufforderung nicht zu der Verpflichtung des Vertrauensrates und zu den übrigen Betriebsfeierlichkeiten im Betriebe erschienen. Ihnen wurde daraufhin das Arbeitsverhältnis gekündigt. Vor Gericht beriefen sie sich darauf, daß sie an der Feier am 1. Mai auf Grund ihrer christlichen Ueberzeugung nicht hätten teilnehmen können. Die Schrift gebiete ihnen, Gott allein die Ehre zu geben, und es sei ihnen unmöglich, die führenden Staatsmänner trotz Anerkennung ihrer Verdienste mit einer Ehre zu bedenken, die nur Gott allein gebühre. Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Widerruf der Kündigung abgewiesen" (Wachtturm-Geschichtsarchive, Zeitungsartikel, o. D, PER 18/7/35?).

Tausende Zeugen Jehovas litten in Gefängnissen, Kerkern und Konzentrationslagern, weil sie geistigen Widerstand aus eigener, urchristlicher Überzeugung [Seite 17] leisteten. Die folgende Bemerkung von religiösen Kritikern der Zeugen Jehovas verfälscht das historische Bild von diesen Opfern des Nationalsozialismus:

"Als Rutherford merkte, daß die Anpassung nicht in dem gewünschten Maß fruchtete, forderte er förmlich von den 'einfachen' Zeugen Jehovas in Deutschland das Martyrium. Und die meisten Zeugen Jehovas, gehorsamsgewohnt, schickten sich in diese Forderung ihrer Leitung. Ein Teil der Verantwortung für den Leidensweg der Zeugen Jehovas in Deutschland trägt also die Wachtturmgesellschaft und ihre Leitung, die im sicheren Brooklyn saß" (Mainzer Bistumsnachrichten, Nr. 16, 7. Mai 1997, S. 10).

 

10.6  Die in der Videodokumentation gezeigten drei Innenfotos der Kongreßstätte beweisen, daß bei diesem Anlaß am 25. Juni 1933 keine Hakenkreuzfahnen benutzt wurden, wie von Kritikern fälschlich behauptet wird. (Aufgrund eines Erlasses des Reichspräsidenten vom 12. März 1933 war es Pflicht, die schwarzweißrote und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen. Es ist unbekannt, ob außen an dem öffentlichen Kongreßgebäude Fahnen hingen.)

 

10.7  Es ist unzutreffend, daß auf dem Kongreß die Nationalhymne gesungen wurde. Die Delegierten sangen das seit 1905 bekannte Bibelforscherlied Nr. 64 "Zions herrliche Hoffnung", dem die Melodie von Joseph Haydn (1797) zugrunde lag. Den meisten Liedern in ihrem Liederbuch lagen damals bekannte Melodien (Kirchen- und Volkslieder o. klassische Melodien) zugrunde, was das Singen in den Bibelforscher-Gemeinden erleichterte. Auch dem "Lied der Deutschen" (1841) von A. H. Hoffmann von Fallersleben lag Haydns Melodie (Quartett op. 76, Nr. 3) zugrunde. Am 11. August 1922 erklärte der Reichspräsident das Lied als "Deutschlandlied" zur deutschen Nationalhymne. Die Bibelforscher in Deutschland und in anderen Ländern sangen jedoch vielerorts weiterhin das Lied 64, das mit ihrem eigenen Text ein religiöses Lied blieb. Es wurde nachweislich auch auf dem internationalen Kongreß der Bibelforscher in Leipzig am 20. Mai 1929 gesungen. Auch auf dem Kongreß am 25. Juni 1933 sangen Jehovas Zeugen ihr Lied 64. Zu dieser Zeit bestand die deutsche Nationalhymne bereits aus dem Deutschlandlied und der ersten Strophe des Horst-Wessel-Liedes der Nationalsozialisten (Meyers Kleines Lexikon, Leipzig, 1933, Bd. 2, S. 1600). Am 25. Juni 1933 sangen Jehovas Zeugen nur religiöse und keine politischen Lieder, auch nicht die deutsche Nationalhymne.

 

10.8  Der folgende Ausschnitt aus dem Skript der Videodokumentation vermittelt ein korrektes Bild der damaligen Situation:

"Narrator: In anderen Ländern des Reiches bleiben die Verbote [seit April 1933] jedoch bestehen. Daher planen Jehovas Zeugen [im Juni 1933] eine Aktion, um der Reichsregierung klarzumachen, daß sie keine Staatsfeinde sind.

Dr. Christine King: Von Anfang an nahmen Jehovas Zeugen eine klare Position oder Haltung ein, und sie bewahrten ihren Standpunkt politischer Neutralität. ... In den ersten Monaten versuchte man, den Behörden zu erklären, was das bedeutet und daß es sich dabei nicht um eine politische Bedrohung handelt.

Narrator: Stellvertretend für die 25.000 Zeugen in Deutschland versammeln sich [am 25. 6. 1933] Delegierte aus dem ganzen Reich in Berlin, um eine Resolution zu verabschieden.

Willi Pohl: In dieser Erklärung legten wir dar, daß wir keinerlei politische Ziele hätten, daß wir rein religiös tätig wären und daß wir doch entsprechend den Erklärungen in dem Parteiprogramm und auch von Regierungsvertretern die Freiheit des Glaubens und der Religion in Anspruch nehmen möchten und daß deshalb diese Lage der teilweisen Verbote untersucht werden sollte und aufgehoben werden sollte.

[Seite 18]

Narrator: Das Land wird mit mehr als 2 Millionen Exemplaren der Erklärung überzogen. Konrad Franke beteiligt sich an der Verbreitung. Er wird festgenommen und in das Arbeitslager Osthofen gebracht."

 

10.9  In einem höflichen Begleitschreiben an den Reichskanzler und die Reichsregierung wurde der Inhalt der Kongreßresolution zusammengefaßt. (Die totalitäre Diktatur war zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht voll ausgebildet. Viele Weltpolitiker und der Papst ließen sich von der Maske Hitlers täuschen und verhandelten mit der Reichsregierung. 1936, als bereits Tausende in Konzentrationslagern schmachteten, fanden vor den Augen der Welt die Olympischen Spiele in Berlin statt.) In dem Schreiben der Wachtturm-Gesellschaft werden Formulierungen gebraucht, die heute Kritiker mißinterpretieren, ohne den Kontext und den zeitgeschichtlichen Rahmen des Anlasses zu beachten. Dazu gehört zum Beispiel folgender Absatz (Hervorhebungen hinzugefügt):

"Weiter wurde auf dieser Konferenz der fünftausend Delegierten – wie in der Erklärung ausgedrückt – festgestellt, dass die Bibelforscher Deutschlands für dieselben hohen ethischen Ziele und Ideale kämpfen, welche die nationale Regierung des Deutschen Reiches bezüglich des Verhältnisses des Menschen zu Gott proklamierte, nämlich: Ehrlichkeit des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer!

Auf der Konferenz wurde festgestellt, dass in dem Verhältnis der Bibelforscher Deutschlands zur nationalen Regierung des Deutschen Reiches keinerlei Gegensätze vorliegen, sondern dass im Gegenteil – bezüglich der rein religiösen, unpolitischen Ziele und Bestrebungen der Bibelforscher zu sagen ist, dass diese in völliger Übereinstimmung mit den gleichlaufenden Zielen der nationalen Regierung des Deutschen Reiches sind."

Bei der Einordnung dieser Formulierungen darf folgendes nicht übersehen werden:

Adressat war die erst vor wenigen Monaten legal eingesetzte deutsche Regierung.

Jehovas Zeugen sind in keinem Staat der Erde und zu keiner Zeit der Geschichte Verfassungs- oder Staatsfeinde, sondern "friedliche, ordnungsliebende Bürger", wie es in ihrer Berliner Petition einleitend hieß.

Wenn auf dem Berliner Kongreß von 1933 gewisse Gemeinsamkeiten mit der deutschen Regierung hervorgehoben oder die Partei an proklamierte Grundsätze erinnert wurde, dann bezog sich das ausschließlich auf gewisse ethische und religiöse Ideale, wie sie die meisten Staaten der Erde anerkannten. Die zeitgenössischen Wachtturm-Schriften beweisen, daß Jehovas Zeugen "Ideale" wie Gerechtigkeit oder Verantwortung gegenüber Gott, aber niemals den Nationalsozialismus als Ideologie gutgeheißen haben. Mehrfach wird in der "Erklärung" hervorgehoben, daß nur Gott durch sein Reich – also keine irdischen Mächte – die Realisierung dieser Ideale herbeiführen wird. Auch heißt es darin ausdrücklich (Hervorhebungen hinzugefügt):

"Eine sorgfältige Prüfung unserer Bücher und Schriften wird deutlich zeigen, daß die hohen Ideale, die sich die nationale Regierung zum Ziel gesetzt hat und die sie propagiert, auch in unseren Veröffentlichungen dargelegt, gutgeheißen und besonders hervorgehoben werden. Unsere Literatur beweist ferner, daß Jehova Gott dafür sorgen wird, daß alle, die Gerechtigkeit lieben und dem Allerhöchsten gehorchen, zur bestimmten Zeit diese hohen Ziele erreichen werden. Anstatt daß unsere Schriften und unsere Tätigkeit die Grundsätze der nationalen Regierung gefährden, werden in ihnen diese hohen Ideale sehr unterstützt. Darum hat auch Satan, der Feind aller, die Gerechtigkeit lieben, versucht, unsere Tätigkeit in Verruf zu bringen und sie in diesem Lande zu verhindern. ... Aus all diesen Jahren [1902–1933] und bei der weiten Verbreitung unserer Bücher und Schriften kann wahrheitsgemäß kein einziges Beispiel angeführt werden dafür, daß unsere [Seite 19] Tätigkeit oder unsere Literatur jemals in irgendeiner Weise die Regierung oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit des Landes bedroht hätte. ... Die Hoffnung der Welt ist Gottes Königreich unter der Herrschaft Christi, wofür Jesus seine Jünger lehrte, ständig zu beten: 'Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden. ' Jehova Gottes Macht ist über alles erhaben, und es gibt keine Macht, die ihm erfolgreich widerstehen kann. ... Nachdem sich die nationale Regierung zu den oben erwähnten hohen Idealen bekannt hat, sind wir überzeugt, daß die Führer nicht wissentlich das fortschrittliche Zeugniswerk für den Namen Jehovas und seines Königreiches, das wir jetzt hinausführen, bekämpfen wollen. Wenn unser Werk nur Menschenwerk wäre, so würde es von selbst untergehen. Wenn es jedoch Gottes Werk ist und auf seinen Befehl getan wird, so bedeutet die Bekämpfung dieses Werkes einen Kampf gegen Gott. – Apostelgeschichte 5:39" ("Erklärung", Flugblatt, vorletzte und letzte Seite).

Die "Bücher und Schriften" sowie die "Veröffentlichungen", die damals von der Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg gedruckt wurden, stehen noch heute für "eine sorgfältige Prüfung" zur Verfügung.

 

10.10  Damals bestand unter einigen Zeugen Jehovas allerdings Unsicherheit darüber, ob die "Erklärung" und der Begleitbrief von J. F. Rutherford, dem Präsidenten der Watch Tower Society, gutgeheißen wurden. Einige meinten zu wissen, daß der Text vom Leiter des Magdeburger Zweigbüros (ihnen erschien er ohnehin zu "lax") abgeändert worden war, was in Wirklichkeit nur zwei Stellen der "Erklärung" betraf. Andere waren enttäuscht, da sie, wie auf Kongressen der Zeugen Jehovas normalerweise üblich, anfeuernde biblische Ansprachen erwartet hatten, die Tagung aber nur unter formalen, juristischen Vorzeichen stand. Somit blieb einigen Zeitzeugen der Kongreß vom 25. Juni 1933, vor allem da sich der damalige Leiter des Magdeburger Büros 1935 von Jehovas Zeugen lossagte, in einseitig negativer Erinnerung. Ihre subjektiven Eindrücke und Schlußfolgerungen fanden später Eingang in den Bericht des Jahrbuchs der Zeugen Jehovas 1974. Diese kircheninternen Unsicherheiten haben Kritiker der Zeugen Jehovas dazu benutzt, die Religionsgemeinschaft insgesamt zu diffamieren.

 

10.11  In den Jahren 1933 bis 1945 kamen nicht einmal die Gegner der Zeugen Jehovas auf den Gedanken, daß die "Erklärung" vom Juni 1933 eine Gutheißung des Nationalsozialismus oder eine Anbiederung an das NS-Regime gewesen war. In der von dem Theologen [sic! Gemäß Impressum wurde das Werk "Mit Druckerlaubnis des Erzbischöfl. Ordinariates Wien vom 28. November 1935. Z. 8998/4" herausgegeben, was auf einen theologischen Hintergrund des Verfassers schließen ließ] Dr. Hans Jonak von Freyenwald veröffentlichten polemischen Schrift Die Zeugen Jehovas. Die politischen Ziele der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher, die 1936 mit Druckerlaubnis des Erzbischöflichen Ordinariats Wien in Berlin erschien, wird in einer Literaturauflistung der Wachtturm-Veröffentlichungen die "Erklärung" vom Berliner Kongreß der Zeugen Jehovas wie folgt bezeichnet:

"'Erklärung', Resolution der Ernsten Bibelforscher in Berlin vom 25. Juni 1933 gegen das Vorgehen der deutschen Regierung. In Millionenauflage verbreitet" (S. 101).

 

11.0  Kein Antisemitismus

 

11.1  Im Begleitbrief an den Reichskanzler ist nicht von den Juden in ihrer Gesamtheit, sondern von den "Handelsjuden des Britisch-Amerikanischen Weltreiches" die Rede. Der Ausdruck "Handelsjuden" (engl. commercial Jews), der seit dem 19. Jahrhundert in deutschen Wörterbüchern zu finden ist, stellt hier keine NS-Terminologie dar und ist auf keinen Fall antisemitisch gemeint. Den Zeugen [Seite 20] Jehovas lag Antisemitismus (Judenhaß) und Rassenhaß nachweislich fern, und der Jude wurde als "ebenso hochwertiger Mensch" angesehen (Das Goldene Zeitalter, 14. April 1930, S. 124).

 

11.2  Nach Ansicht der Zeugen Jehovas arbeiteten Religion, Politik und Finanz (oder Handel, wobei Personen jüdischer Herkunft international dominierende Rollen spielten) zum Nachteil der Völker eng zusammen. Indem die Zeugen diese Allianz kritisierten und sich von jüdischen Finanzmagnaten distanzierten, widerlegten sie die Behauptungen der Nationalsozialisten, sie würden mit jüdischem Geld finanziert und planten die Weltherrschaft unter der Führung der Juden. Bereits seit den 20er Jahren mußten sich die Bibelforscher, die nicht kommerziell tätig waren, gegen derartige Falschanklagen zur Wehr setzen. Nach der Machtergreifung Hitlers setzten Antisemiten und Nationalsozialisten diese Angriffe verstärkt fort.

 

11.3  Der Theologe [sic! Gemäß Impressum wurde das Werk "Mit Druckerlaubnis des Erzbischöfl. Ordinariates Wien vom 28. November 1935. Z. 8998/4" herausgegeben, was auf einen theologischen Hintergrund des Verfassers schließen ließ] Dr. Hans Jonak von Freyenwald schrieb im Januar 1936 in der oben erwähnten Veröffentlichung Die Zeugen Jehovas. Die politischen Ziele der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher:

"Die Bibelforscher aber tun ein übriges, indem sie die völlige Beseitigung der heutigen christlichen Religionen und, über das religiöse Gebiet noch hinaus, die Beseitigung aller christlichen Staaten verlangen und an deren Stelle die Errichtung eines alle Völker umfassenden theokratischen Weltreiches mit einer ausschließlich aus jüdischen Volksgenossen zusammengesetzten Regierung wünschen. Dieses Ziel verfolgen sie unter ausdrücklicher Berufung auf angeblich göttliche, in der Bibel niedergelegte Voraussagungen. ... Denn die Ernsten Bibelforscher sind vorzugsweise, ja ausschließlich ein internationales politisches Unternehmen, dessen religiöse Irrlehre nur Mittel zum Zweck ist" (S. 5).

Polizei und Justiz machten sich diese Sichtweise, die das von den Zeugen Jehovas erwartete Gottesreich mit irdischen Belangen verwechselte, zu eigen. Ein Darmstädter Landgerichtsdirektor, von dem es hieß, daß er "auf Grund seiner Erfahrungen als mehrjähriger Vorsitzender des Sondergerichts Darmstadt und eingehender Studien der Schriften der 'Internationalen Bibelforschervereinigung' ein ausgezeichneter Kenner der staatsgefährlichen Irrlehre dieser Vereinigung" (!) war, machte im Dezember 1936 in seinem Bericht über Konrad Franke eine ähnliche Bemerkung über Jehovas Zeugen (Bibelforscher):

"Die Organisation [wurde] auch in den übrigen Ländern des Reiches verboten und aufgelöst, weil es sich mit der Zeit einwandfrei herausgestellt hatte, daß es sich bei den Bibelforschern um eine religiös getarnte jüdisch-marxistische Organisation handelt, deren Hauptziel die Vernichtung aller bestehenden Staatsformen und Regierungen und die Errichtung des Reiches Jehovas ist, in dem die Juden als das auserwählte Volk die Herrscher sein sollen" (Wachtturm-Geschichtsarchive, Geheimes Staatspolizeiamt Darmstadt, Tgb. Nr. I A. [Blatt Nr. 42], Anzeige gegen Max Konrad Franke, [fehlt]. Dezember 1936, Fk.).

 

11.4 "Die Staatsgefährlichkeit der Weltjudentruppe hat man in Deutschland schon bald nach der Machtübernahme erkannt", schrieb die Königsberger Zeitung vom 8. Januar 1938 in Verbindung mit einem Bibelforscherprozeß. Gegen den Vorwurf, von Juden bezahlte Weltrevolutionäre und staatsgefährlich zu sein, setzten sich Jehovas Zeugen vehement zur Wehr, sahen sie doch darin einen Grund für ihre Verfolgung in Deutschland. Schlagzeilen aus der damaligen Tagespresse spiegeln diese Vorwürfe wieder:

"Der jüdische Häuptling der 'Internationalen Bibelforscher'. Der geheimnisvolle 'Richter' Rutherford – Kommunisten und Neger unter jüdischer Führung", Der Danziger Vorposten, 18. Juli 1935.

[Seite 21]

"Handlanger des internationalen Judentums. 31 Bibelforscher vor Gericht", Nationalzeitung, 8. Dezember 1936.

"Lumpen in Alljudas Schutztruppe. Bibelforscherprozesse sind Akte der Staatsnotwehr – Königsberger Sondergericht tagte", Königsberger Zeitung, 8. Januar 1938.

"Die Prozesse gegen die 'Bibelforscher' in Hamburg beendet: Abraham und Isaac als Minister im Jehova-Reich. Die unheilvolle Irrlehre verherrlicht das Judentum – 187 Angeklagte vor dem Sondergericht – Milde ist nicht mehr am Platze", Hamburger Tageblatt, 14. Mai 1938.

"Die 'Ernsten Bibelforscher' Sendboten des jüdischen Bolschewismus. Nationales Denken ist für sie eine 'Versündigung gegenüber Jehova'", Westdeutscher Beobachter, 21. August 1938.

 

11.5  Ihre zeitgenössischen Schriften belegen, daß Jehovas Zeugen die Juden als gleichwertige Menschen ansahen und die Verfolgung von Juden als "unentschuldbar" und als "Rassenwahn" verurteilten (Trost [früher Das Goldene Zeitalter], Bern, 15. November 1938, S. 12, und 1. Januar 1940, S. 10). In der Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung sagt der Historiker Dr. Detlef Garbe:

"Antisemitismus macht sich an Merkmalen auch des Rassismus fest. Zeugen Jehovas lag es fern, Juden wegen ihrer Herkunft als weniger wert anzusehen. Für sie galt jeder Mensch gleich wert, als gleichwertig."

 

11.6  Die Bemerkungen der Wachtturm-Gesellschaft von 1933 über Juden und das Bestreben, auf die religiöse, unpolitische Tätigkeit, Gesetzestreue (sofern nicht Gottes Gesetze wie "Du sollst nicht töten" verletzt werden), Gerechtigkeitsliebe und Friedfertigkeit der Zeugen Jehovas hinzuweisen, müssen somit in ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang richtig eingeordnet und verstanden werden.

 

12.0  Aufwertung der Opfer

 

12.1  Die Aufklärung über die leidvolle Rolle einer Opfergruppe unter dem NS-Regime führt unter den Zuschauern folgerichtig dazu, daß sie den Angehörigen der Gruppe mit mehr Respekt und Toleranz begegnen. Dieser Art Aufwertung, die auf Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas und andere Opfergruppen gleichermaßen zutrifft, sollte nicht mit Mißtrauen und Mißgunst begegnet werden.

In der Vergangenheit, als die Geschichtsschreibung Oral History (mündliche Befragung) noch als "unwissenschaftlich" verwarf, waren viele Zeugen Jehovas, die Haft oder KZ überlebt hatten, nicht bereit, den Historikern von ihren Erlebnissen zu berichten. Elisabeth Brümann-Güdther bemerkt dazu mit Blick auf Sinti und Roma und Jehovas Zeugen:

"Wer heute noch (oder wieder) unter den Vorurteilen leidet, die ihn im Dritten Reich in das KZ gebracht haben, ist vorsichtig damit, sich öffentlich zu exponieren. Es müsse schon 'richtig' geschehen, so die verständliche Erwartung, damit keine neuen Vorurteile gegen die Gruppe entstehen, die das Opfer vertritt" (Ravensbrückerinnen, 1995, S. 22).

Es war ein Theologe, der zu dem Schluß kam, daß die Aufklärung über ihr Verfolgungsschicksal dazu führen wird, daß "die verfemten Ernsten Bibelforscher in einem etwas neuen Licht" gesehen werden. Die Äußerung stammt aus dem Jahr 1938. Nachdem die Wachtturm-Gesellschaft in der Schweiz mit dem Buch Kreuzzug gegen das Christentum. Moderne Christenverfolgung. Eine Dokumentation einen gut belegten Bericht über die Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem [Seite 22] NS-Regime der Öffentlichkeit vorgelegt hatte, schrieb der Schweizer Theologe Theophile Bruppacher in einer Rezension:

"Ehre, wem Ehre gebührt! Der künftige Kirchenhistoriker wird einmal anerkennen müssen, daß nicht die großen Kirchen, sondern einige von den verschrienen, belächelten Sektenleuten es gewesen sind, welche als erste das Rasen des Nazidämons aufgefangen und den glaubensmäßigen Widerstand gewagt haben. Sie leiden und bluten, weil sie als Zeugen Jehovas und Anwärter des Königreiches Christi die Hitlerverehrung, das Hakenkreuz, den deutschen Gruß und den erzwungenen Gang zur Urne ablehnen."

Bruppacher schließt mit den Worten:

"Wer diese Schriftstücke ehrlich auf sich wirken läßt, der wird nun die verfemten Ernsten Bibelforscher in einem etwas neuen Licht sehen. Er wird den Stab nicht mehr schnell und selbstbewußt über ihnen brechen und wird der eigenen Kirche ein Glütlein von ihrer Überwindereinfalt wünschen" (Wochenzeitung Der Aufbau, Zürich, 19. August 1938; Hervorhebungen hinzugefügt).

Wenn sich heute viele Zeugen Jehovas wünschen, daß man ihre Religionsgemeinschaft nach dem Anschauen von Standhaft trotz Verfolgung, um Bruppachers Worte zu gebrauchen, "in einem etwas neuen Licht sehen" möge, dann instrumentalisieren sie gewiß nicht die Geschichte für missionarische Zwecke. "Ehre, wem Ehre gebührt!" schrieb Bruppacher. In unserer Zeit ist es wichtiger denn je, Andersdenkende zu verstehen und zu respektieren.

 

12.2  Viele Kommentare von Politikern und Personen des öffentlichen Lebens lassen Toleranz und Verständnis für das Anliegen der Zeugen Jehovas erkennen. Die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg ließ anläßlich der Weltpremiere an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück am 6. November 1996 folgende Grußworte ausrichten:

"Es ist richtig und wichtig, daß wir uns heute der beispielgebenden Standhaftigkeit der Zeugen Jehovas erinnern, denn es war richtig, sich diesem Unrechtssystem unter allen Umständen zu verweigern. Und dies gilt erst recht, wenn wir selbst für uns Gründe haben, die Überzeugungen der Zeugen Jehovas nicht zu teilen."

Professor Dr. Jürgen Dittberner, zu dieser Zeit Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, sagte anläßlich der Weltpremiere:

"Wir halten das Andenken dieser Menschen, die ihren Glauben nicht verraten haben und dafür leiden, zum Teil sogar sterben mußten, in allen Ehren."

Der Ministerpräsident des Landes Brandenburg schrieb zu diesem Anlaß an die Wachtturm-Gesellschaft:

"[Ich] möchte Ihnen auf diesem Wege ... versichern, daß ich mit großer Hochachtung der Zeugen Jehovas gedenke, die mutig Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet haben und anderen Häftlingen selbstlose Hilfe gewesen sind. Die Landesregierung Brandenburg ist daran interessiert, daß das Schicksal der Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern gut und ausführlich dargestellt wird. ... Ihre Filmveranstaltung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Öffentlichkeit über die Rolle Ihrer Religionsgemeinschaft unter dem NS-Regime zu informieren."

 

13.0  Positive Stellungnahmen von Außenstehenden

 

13.1  Seit der Weltpremiere am 6. November 1996 an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, an der viele Zeitzeugen und Vertreter von Gedenkstätten und Ministerien teilgenommen haben, ist Standhaft trotz Verfolgung bei öffentlichen Vorführungen an zahlreichen Orten in Deutschland von Historikern und Personen des öffentlichen Lebens als Dokumentation gewürdigt worden. Es ist verfehlt, die Videodokumentation aufgrund einseitiger, tendenziöser Kritik als "umstritten" zu [Seite 23] bezeichnen. Dr. William L. Shulman, Holocaust Resource Center, Queensborough Community College (USA) hat die Videodokumentation wie folgt empfohlen:

"This excellent film on the courageous role of the Jehovah’s Witnesses in protesting against the Nazi regime with great sacrifice, often with their lives, belongs in every video collection" (Newsletter, Association of Holocaust Organizations [der 60 Holocaust-Forschungseinrichtungen angehören], November 1996).

Übersetzung: "Dieser ausgezeichnete Film über die mutige Rolle der Zeugen Jehovas, die unter großen Opfern gegen das NS-Regime protestierten und oft mit dem Leben dafür bezahlten, gehört in jede Videothek."

 

13.2  Die Zeitschrift Geschichte mit Pfiff/Journal Geschichte (verlegt in Nürnberg, Chefredakteur Dr. Franz Metzger) vom Juli 1997 meldet in der Rubrik "Neue Bücher/Videos" (Hervorhebung hinzugefügt):

"Eine Videodokumentation der Zeugen Jehovas, die auch noch kostenlos angeboten wird – dabei kann es sich doch nur um missionarische Propaganda handeln? Nun, der Kern der Botschaft ist nicht zu übersehen, doch übermittelt wird sie in Form eines soliden und historisch unanfechtbaren Beitrags zu einem Aspekt der Geschichte des NS-Staates, der sonst kaum Beachtung gefunden hat: die 'Bibelforscher', wie man die Zeugen Jehovas damals nannte, standen ganz oben auf der 'Abschußliste' der Nazis, hatten sie doch nie ein Hehl aus ihrer radikalen Ablehnung der NS-Ideologie gemacht. Sie waren mit die ersten, die die KZs füllten – wo sie sogar die 'Ehre' eines eigenen Abzeichens, des violetten Dreiecks, erfuhren – und nur selten wieder verließen, obwohl sie sich mit einer einzigen Unterschrift die Freiheit hätten erkaufen können. Noch kritischer wurde ihre Lage mit Kriegsausbruch, als ihre Wehrdienstverweigerung direkt vors Standgericht führen konnte. Von den 6000 inhaftierten Bibelforschern haben so über 2000 das Nazi-Reich nicht überlebt... Sie waren eine relativ kleine Gruppe unter den Opfern des Regimes; doch haben auch sie Anspruch darauf, für ihr gewaltloses Zeichen des Widerstandes gewürdigt zu werden, wie es in dieser Dokumentation geschieht" (S. 38).

 

14.0  Fazit

 

14.1  Die Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime schließt eine Informationslücke über das Verfolgungsschicksal einer religiösen Minderheit unter dem NS-Regime.

Die inhaltlichen Einwände von "religiösen" und anderen Kritikern gegen die Videodokumentation zielen auf Diskreditierung ab und haben sich, was zum Beispiel die Resolution vom Berliner Kongreß 1933 betrifft, als falsch und unseriös erwiesen. Es ist zu begrüßen, wenn Dozenten, Lehrer und Politiker in der weltanschaulichen Auseinandersetzung zwischen den Religionsgemeinschaften nicht einseitig Stellung beziehen, sondern sich unvoreingenommen ein Bild über die historischen Fakten verschaffen.

Der Film, der die Aussagen von Historikern und Zeitzeugen dokumentiert, kann für den Gebrauch an Bildungseinrichtungen und Gedenkstätten in Deutschland empfohlen werden, und zwar zur Vorführung in voller Länge (78 Min.), sequenzweise oder in der geplanten Kurzfassung (28 Min.). Vorführungen der Videodokumentation finden bereits vielerorts in Deutschland, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Rußland statt.

[Seite 24]

 

Anhang

Literatur zum Thema "Jehovas Zeugen" (Auswahl)

Marley Cole: Jehovas Zeugen. Die Neue-Welt-Gesellschaft. Geschichte und Organisation einer Religionsbewegung. Frankfurt/Main, 1956.

Michael H. Kater: "Die Ernsten Bibelforscher im Dritten Reich", S. 181-218. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Stuttgart, 2. Heft/April 1969.

Detlef Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich". Studien zur Zeitgeschichte, Band 42. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, München, 1994.

Lexikon der Hamburger Religionsgemeinschaften. Religionsvielfalt in der Stadt von A–Z. Herausgegeben von der "Arbeitsstelle Kirche und Stadt", Seminar für Praktische Theologie, der Universität der Freien und Hansestadt Hamburg. Wolfgang Grünberg, Dennis L. Slabaugh, Ralf Meister-Karanikas. Hamburg, 1994, Stichwort "Jehovas Zeugen", S. 112-115.

Hermann Ruttmann: Vielfalt der Religionen am Beispiel der Glaubensgemeinschaften im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Herausgegeben vom Religionswissenschaftlichen Medien- und Informati ... [Error]