Johannes S. Wrobel: Die Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung" – Propaganda oder zeitgeschichtliches Dokument?, in: Hans Hesse (Hg.): "Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas" - Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus, Bremen 1998, 2000, S. 357-385. Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes


INHALT

Einleitung - 357

Entstehung und Intention der Videodokumentation - 358

"Propaganda" oder "keine religiöse Verkündigung"? - 360

Geschichtsverfälschung oder historische Genauigkeit? - 361

Sind alle Regierungen vom Teufel? - 363

Hinweise auf den Berliner Kongreß in der Videodokumentation - 364

"Anpassung der Vereinigung an die nationalen Verhältnisse in Deutschland" - 367

Antisemitische Tendenzen? - 368

Die Verwendung der Wörter "Handelsjuden" und "Geschäftsjuden" - 369

Schluß371

Anmerkungen371-385


ZITATE
(maßgeblich ist der gedruckte Text im Buch)

[Seite 357]

Einleitung

Im Mittelpunkt einer sachlichen Auseinandersetzung steht die von der nichtkommerziellen Körperschaft der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas (vor 1931 "Bibelforscher"), der Watchtower Society (Brooklyn, N. Y., USA), produzierte Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime".[1][1]

Es ist äußerst erfreulich, daß die Auseinandersetzung mit dem Thema von einer Haltung geprägt ist, die der Ministerpräsident des Landes Brandenburg anläßlich der Welturaufführung dieser Videodokumentation an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück am 6. November 1996 in einem Brief an den deutschen Zweig der Watchtower Society (Wachtturm-Gesellschaft) wie folgt ausdrückte: "[Ich] möchte Ihnen auf diesem Wege ... versichern, daß ich mit großer Hochachtung der Zeugen Jehovas gedenke, die mutig Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet haben und anderen Häftlingen selbstlose Hilfe gewesen sind. ... Ihre Filmveranstaltung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Öffentlichkeit über die Rolle Ihrer Religionsgemeinschaft unter dem NS-Regime zu informieren."[2] [2]

Auch bei einer kritischen Reflexion der Mittel und Wege, die die Watchtower Society gewählt hat, um weltweit die Öffentlichkeit und die Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas über die nationalsozialistische Verfolgung in Deutschland und im benachbarten Ausland aufzuklären, ist die Achtung vor den verfolgten Opfern und die sachliche Argumentation stets bewahrt worden.[3][3]

Und es ist korrekt, was Herr Dr. Stolpe feststellte – dieser Film ist tatsächlich "ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Öffentlichkeit über die Rolle ... [der] Religionsgemeinschaft unter dem NS-Regime zu informieren". Information – nicht Konfrontation, Agitation oder Provokation – war, ist und bleibt das Anliegen dieser Videodokumentation, die es außer in Englisch und Deutsch inzwischen auch in Russisch, Polnisch, Französisch, Portugiesisch, Italienisch und in weiteren Sprachen gibt. Sie wird in den entsprechenden Ländern mit guter Resonanz vorgeführt.[4][4]

'Auf dem Weg, die Öffentlichkeit zu informieren', hat die Wachtturm-Gesellschaft Lob, konstruktive Kritik und Unterstützung durch viele öffentliche und private Einrichtungen gefunden. Wir haben aber auch einseitige und tendenziöse Kritik geerntet, besonders von religiösen Gegnern[5][5], was zu erwarten war und seit den 20er Jahren in Deutschland Methode und Tradition hat. Damals, 1921, wurden die Vorläufer der "Sektenreferate" der Großkirchen gegründet und ihre "Schmähschriften", wie sie Detlef Garbe in seinem Buch [Seite 358] "Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im 'Dritten Reich'" (1997, Seite 72) nennt, sind ein Beispiel "für die Verirrungen, die in der Frage der Bewertung der Bibelforscherlehre in die theologische Wissenschaft Einzug hielten".

[…]

Entstehung und Intention der Videodokumentation

Die Videodokumentation beginnt nach der Einführung mit Ausschnitten vom internationalen Seminar "The Nazi Assault on Jehovah's Witnesses" (Die Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime) am United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. (USA) am 29. September 1994.[8][6] Dieses Seminar gab damals im fernen Amerika den eigentlichen Anstoß für die Planung von "Standhaft trotz Verfolgung" und nicht – wie fälschlicherweise von einigen behauptet wurde – der Prozeß um die Anerkennung der rechtlichen Gleichstellung der Zeugen Jehovas mit anderen anerkannten Kirchen in Deutschland. Als im November und Dezember 1995 sowie im Frühjahr 1996 Filmteams der Watchtower Society Interviews mit Historikern und Zeitzeugen in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Kanada sowie in Schweden und Dänemark durchführten, war der Antrag um religiöse Gleichbehandlung von zwei deutschen Gerichten anerkannt worden. […]

[Seite 359]

"Standhaft trotz Verfolgung" erhebt somit den Anspruch, eine Dokumentation, ein "zeitgeschichtliches Dokument" zu sein, wird offiziell als "Videodokumentation", nicht als "Dokumentarfilm" bezeichnet, und ist gemäß der Wortbedeutung von "Dokument" und "Dokumentation" ein beweiskräftiges, anschauliches Zeugnis oder ein Beweis.[13][7] Zeugnis wofür? Zum einen für die Unerschrockenheit, Unbeugsamkeit, Standhaftigkeit von einzelnen Zeugen Jehovas, die ihrem Gewissen folgten, zum anderen für die Standhaftigkeit einer großen Mehrheit der Religionsgemeinschaft und für einen "Glauben ohne Kompromisse", wie Detlef Garbe es ausdrückt. Und er stellt fest: "Große Teile der Glaubensgemeinschaft ließen sich durch die zunehmende Repression nicht einschüchtern."[14][8] Wir haben uns auf diese 'großen Teile der Glaubensgemeinschaft' konzentriert und das in dem Bewußtsein, daß man heute, in einer Zeit des Werteverfalls, aus ihrem Handeln ethische und moralische Werte und Lehren ziehen kann, was Gruppenzwang, Intoleranz und die Stimme des Gewissens betrifft.[15][9]

Die beiden großen Kirchen dagegen – die während des ersten und zweiten Weltkrieges den antidemokratischen, nationalistischen Zeitgeist in Deutschland unterstützt hatten[16][10] – finden nur eine sehr knappe Erwähnung in der Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung". Und das erfolgt durchweg im thematischen Kontext von Historikerzitaten (mit einigen wenigen, aus den Medien bekannten Standbildern zur Thematik Kirche im Nationalsozialismus), wobei außerdem ein positiver Aspekt hervorgehoben wird: "Es gibt also auch Belege dafür, daß Zeugen Jehovas durch Pastoren geholfen wurde. … Es sind leider sehr, sehr wenige Belege", sagt ein deutscher Historiker (Garbe). […]

[Seite 360]

[…] Die Aufgabenstellung von seiten der Watchtower Society war nicht, einen erschöpfenden Dokumentarfilm über die Geschichte der Zeugen Jehovas in Deutschland zu produzieren und alle Aspekte ihrer Geschichte und die verschiedenen Behauptungen von Gegnern der Zeugen Jehovas aufzugreifen und zu kommentieren. In vielen Teilen der Erde sind die falschen Behauptungen, zum Beispiel was den Gebrauch von Hakenkreuzfahnen, das Singen der Nationalhymne[19][11] oder eine Anbiederung an die Nationalsozialisten auf dem Kongreß in Berlin-Wilmersdorf am 25. Juni 1933 betrifft und den angeblichen Verrat von leitenden Zeugen Jehovas, ohnehin unbekannt.[20][12]

Nicht das Zeitgeschehen, sondern was Menschen unter dem NS-Regime widerfuhr und was Historiker dazu zu sagen haben, gestalten maßgeblich den Inhalt der Videodokumentation oder stehen im Mittelpunkt, was weltweit Anklang und großes Interesse findet.[21][13]

Kürzlich ist in München die beeindruckende multimediale "CD-ROM Gegen das Vergessen. Eine Dokumentation des Holocaust" erschienen.[14] Eine Computer-Fachzeitschrift fand nicht nur Lob, sondern bemerkte: "Der CD-ROM stünden mehr Zeitzeugen-Interviews und Berichte über Einzelschicksale noch besser zu Gesicht. Denn das ist letztlich, wodurch Geschichte lebendig wird."[23][15] In "Standhaft trotz Verfolgung" lassen religiöse Menschen ihre Vergangenheit lebendig werden! Handelt es sich dabei um "Propaganda"?

[Seite 361]

Im wesentlichen läuft die Kritik an Standhaft trotz Verfolgung von kirchlicher Seite auf das hinaus, was der Film nicht erwähnt oder was er angeblich "verschweigt". Macht sich die Videodokumentation der Geschichtsklitterung schuldig, indem sie etwas Wesentliches verschweigt oder wegläßt?

Geschichtsverfälschung oder historische Genauigkeit?

In der 3., überarbeiteten Auflage seines Buches "Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im 'Dritten Reich'" (München 1997) korrigiert Detlef Garbe die falsche Behauptung, daß auf dem Berliner Kongreß am 25. Juni 1933 Hakenkreuzfahnen benutzt und die Nationalhymne gesungen wurde, wie ursprünglich von Gegnern der Zeugen Jehovas verbreitet wurde.[31][16] Einige Historiker hatten diese Behauptung bedauerlicherweise ebenfalls kritiklos übernommen.[32][17]

Größere Publizität erhielt die Behauptung, die Leitung der Zeugen Jehovas habe sich 1933 dem NS-Regime "angebiedert", durch ein 1970 unter dem Verfassernamen Manfred Gebhard im Urania-Verlag in der DDR erschienenes Buch mit dem Titel Die Zeugen Jehovas. Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft, das erstaunlicherweise kurz darauf in einer Lizenzausgabe in Westdeutschland erscheinen konnte.[33][18] In dieser "Dokumentation" wird die Tagung der Zeugen Jehovas in Berlin-Wilmersdorf am 25. Juni 1933 ein "antisemitischer und profaschistischer Kongreß" genannt, der Wachtturm-Gesellschaft "eine gewissenlose Fälschung des wahren Sachverhalts" unterstellt und behauptet, daß die Wachtturm-Führung sich erst 1938 gegen Hitler wandte, nachdem alle Versuche, mit Hitler zu einem politischen Kompromiß zu kommen, gescheitert waren, und daß sie ihre Glaubensbrüder "unschuldig in die Gefängnisse und Konzentrationslager der Nazis getrieben" haben.[34][19]

In ähnlicher Form finden sich diese Anwürfe seit Jahren in kirchlichen Schriften gegen Jehovas Zeugen.[35][20] Die Verfasser, die sich der ideologisch gefärbten Sichtweise des Urania-Buches angeschlossen haben, übersehen, was Detlef Garbe wie folgt beschreibt: "Dieses unter dem Namen von Manfred Gebhard herausgegebene, aber von ungenannten Verfassern unter Zuarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit zusammengestellte Buch" trägt "den damaligen ideologischen Vorgaben deutlich Rechnung" und zeichnet sich durch "selektive Quellenauswahl" und durch "entstellende Zitate" aus.[36][21] (Es war ein Auftragswerk der DDR, die Jehovas Zeugen aus ideologischen Gründen verfolgte und im Lauf der Zeit über 5 000 von ihnen inhaftierte, wobei rund 50 das Leben verloren. Alle Todesopfer in der DDR waren bereits von den Nationalsozialisten verfolgt und eingesperrt worden!)[37][22]

Leider wurden, wie Detlef Garbe weiter ausführt, die Ergebnisse der Veröffentlichung von Gebhard "teilweise bis in die Gegenwart unkritisch übernommen".[38][23] Bedauerlicherweise übernahmen auch viele Fachhistoriker kritiklos die tendenziöse Sichtweise aus Gebhards Buch, was sich anhand ihrer Literatur- und Quellenhinweise nachweisen läßt.[39][24]

Manfred Gebhard distanzierte sich später nachdrücklich von diesem Buch und deren "Überzeichnungen und Verfälschungen" (Garbe).[40][25] In seinem Brief vom 2. Januar 1985 an Dieter Pape in Berlin, der offenbar als Ghostwriter an diesem Buch beteiligt war, bemerkte Manfred Gebhard: "Ich habe es an anderer Stelle schon zum Vortrag gebracht, daß mein Anteil am Uraniabuch hauptsächlich in der Herausgeberschaft besteht (was nicht mit Verfasser identisch ist). Ich sage es Ihnen – dem es nicht zuletzt angeht – geradezu heraus. Beim heutigen Erkenntnisstand würde ich meinen Namen dazu n i c h t mehr hergeben. Ich werfe Ihnen Geschichtsklitterung (wahrscheinlich aus Liebedienerei Ihren Vorgesetzten gegenüber) übelster Art vor. ... Aber auch Ihre sonstige Zitierweise in Sachen 'Antikommunismus' ist mir sehr suspekt."[41]

Es ist nur zu wünschen, daß die polemischen Angriffe in Verbindung mit dem Berliner Kongreß der Zeugen Jehovas vom 25. Juni 1933 bald ihr Ende finden werden.

Es war legitim, daß sich die Leitung der Zeugen Jehovas in Magdeburg im Frühjahr 1933 an die Behörden und den Reichskanzler mit Eingaben, Erklärungen und höflichen Briefen wandte, um darzutun, daß sie keine Staatsfeinde waren und die bestehenden Verbote aufgrund von § 1 der "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933, eigentlich zur "Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte", unberechtigt waren – Jehovas Zeugen waren keine Kommunisten, keine Staatsfeinde und überhaupt nicht politisch tätig.[42][26]

Vor dem Verbot der Zeugen Jehovas im Jahre 1933 versuchten kirchliche Kreise zunächst, "die bestehenden gesetzlichen Handhaben für ein Vorgehen gegen die Bibelforscher auszuschöpfen", wie Detlef Garbe feststellt. Die Folge war, daß Ende der 20er Jahre über tausend Gerichtsverfahren gegen Bibelforscher wegen "unbefugten Hausierens"[43][27] und Anklagen aufgrund der Störung der "äußeren Heilighaltung der Sonn- und Feiertage" anhängig waren.[44][28] Die Rechtsabteilung der Wachtturm-Gesellschaft (Magdeburg) erstritt in vielen Fällen Freisprüche, was beweist, daß sie in gleicher Weise "die bestehenden gesetzlichen Handhaben" ausschöpfte, allerdings zum Schutz der Religionsfreiheit in Deutschland.[45][29]

In den Vereinigten Staaten erstritten Jehovas Zeugen vor amerikanischen Gerichten bemerkenswerte Entscheidungen, "durch die die Religionsfreiheit der amerikanischen Bürger sichergestellt und ausgedehnt wurde", wie ein Autor bemerkt. "In den fünf Jahren von 1938 bis 1943 gelangten etwa einunddreißig Fälle, in die sie verwickelt waren, vor das Oberste Bundesgericht, und die Urteile, die in diesen und auch späteren Prozessen gefällt wurden, haben im allgemeinen wesentlich zur Förderung der in der Bill of Rights verankerten Grundrechte und im besonderen zum Schutz der Religionsfreiheit beigetragen."[46][30]

Der Glaubensgemeinschaft in Deutschland waren solche juristischen Siege zwischen 1933 und 1945 nicht vergönnt – abgesehen von der sensationellen Freigabe der beschlagnahmten Druckerei am 28. April 1933 durch die preußischen Behörden[47][31] und dem bemerkenswerten Darmstädter Sondergerichtsurteil vom 16. März 1934, das 29 Zeugen Jehovas freisprach und das Verbot der "Internationalen Bibelforscher-Vereinigung" durch das hessische Staatsministerium vom 18. Oktober 1933 als "verfassungswidrig rechtsunwirksam" erklärte.[48][32]

In diesem zeitgeschichtlichen Zusammenhang müssen auch die Bemühungen der Wachtturm-Gesellschaft im Jahre 1933 gesehen werden, also kurz nach der "Machtergreifung", als die deutschen Behörden die Rechte der Zeugen Jehovas in einem deutschen Land nach dem anderen einschränkten und Verbote aussprachen, zum Beispiel in Bayern und Sachsen. Der Kampf der Zeugen Jehovas in Preußen um freie Religionsausübung in Deutschland, der in den ersten Monaten mit der nach außen hin legal eingesetzten Reichsregierung unter Adolf Hitler und den Länderregierungen geführt wurde – wobei heute einige wenige aus dem Zusammenhang genommene Sätze einer "Erklärung" und eines gewissen Briefes zu Debatte stehen – kann nicht mit Recht als Anbiederung an das NS-Regime interpretiert werden.

Sind alle Regierungen vom Teufel?

Ein Mißverständnis in Verbindung mit dem Berliner Kongreß beruht vielleicht auf der Ansicht, daß Jehovas Zeugen jegliche staatliche Ordnung ablehnen und glauben, alle Regierungen seien vom Teufel.[49][33] Diesen Standpunkt nahmen und nehmen Jehovas Zeugen jedoch in dieser Form nicht ein. Wie im Fall der angeblich vorhandenen Hakenkreuzfahnen und dem vermeintlichen Singen der Nationalhymne im Juni 1933 fand hier ein fehlerhaftes Verständnis der Bibelforscherlehren Eingang in die Fachliteratur, das offenbar durch die Abwehrpolemik von seiten kirchlicher Stellen in den 20er und 30er Jahren noch gefördert worden ist.[50][34]

Jehovas Zeugen beten gemäß dem "Vaterunser" in Matthäus, Kapitel 6, Vers 10 um das Kommen des Reiches Gottes oder seiner himmlischen Regierung auf der Erde, damit 'Gottes Wille wie im Himmel auch auf der Erde geschehen' möge, was bedeutet, daß Gott den heutigen Regierungen nur eine zeitlich befristete Legitimation einräumt. Doch sie betrachten jede menschliche Regierung als "Gottes Dienerin" (Römer, Kapitel 13, Vers 4), die mit seiner Zulassung Ordnung und Recht innerhalb der menschlichen Gesellschaft aufrechterhält.

Diesen "obrigkeitlichen Gewalten" (Römer, Kapitel 13, Vers 1) gilt ihr Gehorsam und Respekt. Erst wenn eine Regierung göttliches Recht bricht und zum Beispiel den Mord an Juden initiiert, versagen Jehovas Zeugen ihr (der Obrigkeit) den Gehorsam und folgen ihrem christlichen Gewissen. Das scheint eine wertvolle Lektion in Staatsloyalität zu sein. Da dieser Standpunkt des relativen Gehorsams gegenüber der Obrigkeit biblisch begründet ist, sollte es nicht überraschen, daß sich ähnliche Stellungnahmen auch in einigen protestantischen und katholischen Bibelerklärungen und Katechismen finden.[51][35] Der Unterschied zu den Angehörigen der Großkirchen ist, daß Jehovas Zeugen diesen ethischen Standpunkt "standhaft trotz Verfolgung" ausgelebt haben.

Handelt es sich bei dieser Interpretation des Staatsverständnisses nicht um einen Anachronismus, da doch Jehovas Zeugen in der Hitlerzeit bekanntlich Gott und Christus als die "obrigkeitlichen Gewalten" ansahen? Nicht unbedingt. Obgleich Römer, Kapitel 13, Vers 1 damals so ausgelegt wurde, behandelten die Zeugen Jehovas Behörden- und Regierungsvertreter gewöhnlich mit Respekt, und dies geschah aus dem grundsätzlichen Verständnis heraus, daß die Obrigkeit Respekt und Achtung verdient. Beachten Sie bitte folgenden Kommentar im "Goldenen Zeitalter" vom 1. Februar 1937 (Bern), einer von Jehovas Zeugen herausgegebenen Zeitschrift. Unter der Überschrift "Alltägliches aus Deutschland" werden die perfiden Machenschaften der Partei und der nationalsozialistischen Behörden in ihrer Scheußlichkeit bloßgestellt, und dann wird folgendes festgestellt: "Solche 'obrigkeitlichen Gewalten', die zweifellos in keiner Weise 'Gottes Dienerinnen' sind, (da sie ja Gott lästern und verachten,) haben jegliches Recht verwirkt, von Gott dem Allmächtigen zu reden, oder sich gar als seine Gesandten aufzuspielen und sich dem Volke als Christen anzubieten, um es zu heilen; sie sind vielmehr in völlig offenbarer Weise das 'Tier', das abscheuliche und scheußliche Raubtier, das in der Offenbarung (d. h. dem letzten Buch der Bibel, d. A.) als Endzeitregierung versinnbildet ist."[52][36]

Einschränkend muß hinzugefügt werden, daß der Hinweis auf "Gottes Dienerin" offensichtlich sarkastisch gemeint war.[53][37]

Das Zitat stammt aus einer Zeit als Jehovas Zeugen den Staatschef der deutschen Regierung als bedrückendes Regime und im direkten Dienst des Teufels erlebten und das öffentlich auch zum Ausdruck brachten.[54][38] In "Standhaft trotz Verfolgung" sagt J. F. Rutherford (1938): "Das deutsche Volk liebt den Frieden. Der Teufel hat dort als seinen Vertreter Hitler zur Macht erhoben ..." Daß alle damaligen Regierungen direkt vom Teufel eingesetzt worden waren, wurde in den Wachtturm-Publikationen nicht behauptet.

Hinweise auf den Berliner Kongreß in der Videodokumentation

Die Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung" zitiert Dr. Christine King, die das damalige Verhalten der Zeugen Jehovas den Behörden gegenüber korrekt wiedergibt, wenn sie sagt: "Von Anfang an nahmen Jehovas Zeugen eine klare Position oder Haltung ein, und sie bewahrten ihren Standpunkt politischer Neutralität. ... In den ersten Monaten versuchte man, den Behörden zu erklären, was das bedeutet und daß es sich dabei nicht um eine politische Bedrohung handelt."

Und Willi Pohl, ein Vorstandsmitglied der Wachtturm-Gesellschaft, erklärt in dem Film: "In dieser Erklärung (vom 25. Juni 1933, d. A.) legten wir dar, daß wir keinerlei politische Ziele hätten, daß wir rein religiös tätig wären und daß wir doch entsprechend den Erklärungen in dem Parteiprogramm und auch von Regierungsvertretern die Freiheit des Glaubens und der Religion in Anspruch nehmen möchten und daß deshalb diese Lage der teilweisen Verbote untersucht werden sollte und aufgehoben werden sollte."

Die "Erklärung" oder Kongreßresolution (Petition) vom 25. Juni 1933, die die Zeugen kurz darauf als vierseitiges Flugblatt reichsweit an die Bevölkerung verteilten, und das Begleitschreiben an den Reichskanzler, das die Wachtturm-Gesellschaft den Behörden und Länderregierungen zusammen mit der Petition übergab, enthält zahlreiche Hinweise auf den religiösen, unpolitischen, keinesfalls staatsgefährlichen Charakter ihres Werkes, was die Absicht dahinter deutlich zeigt – nicht Anbiederung, sondern Information. Hier folgen einige Auszüge aus der Resolution: "Unsere Organisation ist keineswegs politisch … Wir erbitten jedoch die Freiheit, zu glauben und zu lehren, was wir für biblische Lehre halten, und dann mag das Volk entscheiden, was es zu glauben wünscht. … Unsere Organisation sucht weder finanziellen Gewinn noch Mitglieder, sondern sie ist eine organisierte Körperschaft christlicher Männer und Frauen, die lediglich in gemeinnütziger Weise damit beschäftigt sind, möglichst unentgeltlich dem Volke das Wort Gottes zu lehren. … Bildung, Kultur und Aufbau des Volkes muß und wird kommen durch Gottes Königreich, worüber wir das lehren, was in der Bibel niedergelegt ist. Das Heil der Menschen hängt ab von ihrer richtigen Erkenntnis und ihrem Gehorsam Jehova Gott und seinen gerechten Wegen gegenüber. … Jehova Gottes Macht ist über alles erhaben, und es gibt keine Macht, die ihm erfolgreich widerstehen kann. … Die Hoffnung der Welt ist Gottes Königreich."

Auf die Tatsache, daß Jehovas Zeugen "die öffentliche Ordnung und Sicherheit des Staates" weder bedrohen noch gefährden, wird fünfmal hingewiesen.

Die Zeugen protestieren implizit mit folgenden Worten gegen ihre Verfolgung: "Jehova Gott hat deutlich seinen Zorn zum Ausdruck gebracht gegen alle, die seine Diener verfolgen. Dies beweist, daß, wer uns verfolgt, nicht Gott dient, sondern von dem Feinde Gottes und des Menschen dazu veranlaßt wird. – Psalm 72:4." (Dieser Satz unterstreicht, daß die Berliner Petition gleichzeitig ein Protest war.)

Es wird auf eine "Warnung Jehovas sowohl an die Führer als auch an das Volk" hingewiesen, wobei eine Bibelstelle verwendet wird, in der das Wort "Zion" vorkommt: "‚Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion … Und nun, ihr Könige, seid verständig; lasset euch zurechtweisen, ihr Richter der Erde! Dienet Jehova mit Furcht, und freuet euch mit Zittern! Küsset den Sohn, daß er nicht zürne, und ihr umkommet auf Wege, denn nur ein wenig entbrennt sein Zorn. Glückselig alle, die auf ihn trauen!' – Psalm 2:6, 10–12." (Das klingt keineswegs nach "Anbiederung" an die Machthaber!)

Hier folgen einige Auszüge aus dem Begleitbrief an den Reichskanzler: "Darum ist das auf dieser Konferenz Besprochene in beigefügter Erklärung der Watch Tower Bible and Tract Society niedergelegt, um es Ihnen, Herr Reichskanzler, sowie den hohen Regierungsstellen des Deutschen Reiches und der Länder zu überreichen als Dokumentierung der Tatsache, dass die Bibelforscher Deutschlands [im ersten Satz des Briefes wird der Hinweis "(Zeugen Jehovas)" hinzugefügt] als einziges Ziel ihrer Arbeit nur beabsichtigen, die Menschen zu Gott zurückzuführen und den Namen Jehovas, des Allerhöchsten, des Vaters unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus, auf Erden zu bezeugen und zu ehren. Wir wissen bestimmt, dass Sie, Herr Reichskanzler, solche Tätigkeit nicht stören lassen werden. … Örtliche Polizeibehörden werden immer bestätigen müssen, dass Bibelforscher absolut zu den ordnungsliebenden und -erhaltenden Elementen des Landes und Volkes zu zählen sind. Ihre einzige Mission ist Werbung der Menschenherzen für Gott. … Endlich bekundete diese Konferenz der fünftausend Delegierten, dass die Bibelforscher- bzw. die Watch-Tower-Organisation eintritt für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit des Staates, sowie für die Förderung der vorerwähnten, auf religiösem Gebiet liegenden hohen Ideale der nationalen Regierung."

Das letzte Zitat bringt uns zu Aussagen, die zu Mißverständnissen Anlaß geben. In der "Erklärung" heißt es: "Eine sorgfältige Prüfung unserer Bücher und Schriften wird deutlich zeigen, daß die hohen Ideale, die sich die nationale Regierung zum Ziel gesetzt hat und die sie propagiert, auch in unseren Veröffentlichungen dargelegt, gutgeheißen und besonders hervorgehoben werden. Unsere Literatur beweist ferner, daß Jehova Gott dafür sorgen wird, daß alle, die Gerechtigkeit lieben und dem Allerhöchsten gehorchen, zur bestimmten Zeit diese hohen Ziele erreichen werden. Anstatt daß unsere Schriften und unsere Tätigkeit die Grundsätze der nationalen Regierung gefährden, werden in ihnen diese hohen Ideale sehr unterstützt. Darum hat auch Satan, der Feind aller, die Gerechtigkeit lieben, versucht, unsere Tätigkeit in Verruf zu bringen und sie in diesem Land zu verhindern."

Welche Art "Gerechtigkeit" war gemeint? Was waren die "hohen Ideale, die sich die nationale Regierung zum Ziel gesetzt hat und die sie propagiert" und mit denen Jehovas Zeugen übereinstimmten? Hier war nicht pauschalisierend die gerechte Versorgung des deutschen Volkes gemeint, was Arbeit, Wohnung, Gesundheit und Selbstachtung sowie eine großzügige Altersversorgung betrifft. Die Erreichung solcher Ziele hatte das Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom 24. Februar 1920 gefordert.[55][39] Die "Erklärung" stimmte zwar prinzipiell den "von der deutschen Regierung vertretenen Grundsätze[n]" zu, machte aber eines über deren Realisierung deutlich: "[Wir] weisen darauf hin, daß Jehova Gott durch Christus Jesus die gänzliche Verwirklichung dieser Grundsätze bringen, dem Volke Frieden und Wohlstand zu schenken und die höchsten Wünsche aller aufrichtigen Herzen erfüllen wird."[56][40]

Bei dem hohen Ideal der "Gerechtigkeit" muß es sich um eine Anspielung auf Punkte aus Reden Hitlers oder aus seinem Programm handeln, die auch im Kontext der "Erklärung" und im Begleitbrief ausdrücklich hervorgehoben werden und dort wie folgt lauten: "Das deutsche Volk hat seit 1914 große Not gelitten und hat viele Ungerechtigkeiten durch andere erdulden müssen. Die Nationalsozialisten haben erklärt, daß sie gegen jede solche Ungerechtigkeit Stellung nehmen, und haben als Leitsatz kundgetan: 'Unser Verhältnis Gott gegenüber ist hoch und heilig.' Da unsere Organisation diese gerechten Grundsätze durchaus gutheißt und einzig damit beschäftigt ist, die Menschen über das Wort Jehova Gottes aufzuklären, ist Satan in listiger Weise bestrebt, die Regierung gegen unser Werk zu wenden und es zu zerstören, weil wir die Notwendigkeit, Gott zu erkennen und ihm zu dienen, hervorheben."[57][41]

Dieser Hinweis könnte vielleicht auf Punkt 2 des NSDAP-Programms anspielen, der "die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain" forderte.

Hinweise auf die Not des Volkes oder der Bevölkerung (und der Völker im allgemeinen) seit dem ersten Weltkrieg sind jedoch vielfach in der Wachtturm-Literatur vor und nach 1933 zu finden und werden mit der Erfüllung biblischer Prophezeiungen in Verbindung gebracht.[58][42] Die Zeugen Jehovas und die Nationalsozialisten wiesen auf dieselben Mißstände hin oder sprachen von denselben "Krankheiten", doch hatten sie völlig verschiedene Diagnosen und Therapien zur Hand und argumentierten auf unterschiedlichen Ebenen.[59][43] Das wird auch durch folgendes Beispiel deutlich. In der "Erklärung" heißt es: "Die nationale Regierung hat sich nun deutlich ausgesprochen gegen die Bedrückung durch das Großgeschäft und gegen verkehrte religiöse Einflüsse in den politischen Angelegenheiten des Staates. Genau dies ist auch unsere Stellungnahme, und wir erklären ferner in unserer Literatur, warum das bedrückende Großgeschäft besteht, und warum der verkehrte politisch-religiöse Einfluß vorhanden ist; denn die Heilige Schrift erklärt deutlich, daß diese bedrückenden Werkzeuge vom Teufel herkommen, und daß die gänzliche Errettung davon in Gottes Königreich unter der Herrschaft Christi kommen wird. Es ist darum unmöglich, daß unsere Literatur oder unsere Tätigkeit in irgendeiner Weise die öffentliche Ordnung und Sicherheit des Staates bedrohen oder gefährden kann. Unsere Organisation ist keineswegs politisch; wir bestehen nur darauf, das Wort Jehova Gottes dem Volke zu lehren und dies ohne Behinderung tun zu können."

Das klingt – trotz sogenannter gemeinsamer 'Stellungnahmen' – keinesfalls wie eine Gutheißung oder Anlehnung an die nationalsozialistische Ideologie und ihre Machthaber.

Daß Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus die Lösung der Probleme sehen könnten – ein solches Mißverständnis dürfte damit ausgeschlossen sein. Während die Bibelforscher auf einer religiösen Ebene argumentierten, bewegte sich die "nationale Regierung" auf einer politischen Ebene.

Augenscheinlich handelt es sich bei denselben "hohen und ethischen Zielen und Idealen" in erster Linie um religiöse Werte, "welche die nationale Regierung des Deutschen Reiches bezüglich des Verhältnisses des Menschen zu Gott proklamierte, nämlich: Ehrlichkeit des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer!" Gleich darauf wird nochmals betont, es gehe um die "rein religiösen, unpolitischen Ziele und Bestrebungen der Bibelforscher".[60][44] Die "Erklärung" und das Schreiben an den Reichskanzler und die Länderbehörden weisen ausdrücklich und immer wieder auf diese Tatsache hin.

In diesem Kontext könnte auch das Zitat aus dem NSDAP-Programm gesehen werden, das nur im Begleitschreiben zitiert wird, das nicht vom Präsidenten der Watch Tower Society stammte, sondern von seinem deutschen Manager[61][45]. Darin wird hervorgehoben, daß die Partei "den Standpunkt eines positiven Christentums" vertritt, eine Formulierung, die nicht klar umrissen war und damals von Jehovas Zeugen und anderen neutral gewertet wurde.[62][46] Punkt 24 forderte: "... die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von i n n e n heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz."

Auch dieses Zitat ist in der Literatur gründlich mißinterpretiert worden.[63][47] Jehovas Zeugen haben 1933 und auch danach Nationalsozialisten zitiert, um sie an ihre eigenen Worte zu erinnern, in denen sie angeblich christliche Werte achteten, nicht jedoch, um sich bei ihnen anzubiedern.[64][48] In jeder Ausgabe der Zeitschrift "Der Wachtturm", die bis zum Verbot in Preußen erscheinen konnte, hieß es auf der Impressumseite: "Diese Zeitschrift hält sich genau an die Bibel als Autorität für ihre Darlegungen. Sie ist durchaus unabhängig und getrennt von allen Parteien, Sekten und anderen weltlichen Organisationen."[65][49]

Es kann jedoch eingeräumt werden, daß einige Ausdrücke im Begleitbrief "spitzfindige Formulierungen" sind, "die gleichzeitig eine Deutung im Sinne der Bibelforscherlehre ermöglichte[n]", wie Detlef Garbe resümiert.[66][50] Damit wurde die Erwartung verbunden, "Hitler und andere Vertreter der Staatsführung über den eigenen Standpunkt informieren und zu einer Änderung ihres Standpunktes bewegen zu können".[67][51] (Diese Erwartung sollte sich als trügerisch herausstellen.) Ob der Verfasser damals gleichzeitig bewußt "auf ein Mißverständnis der Gegenseite setzte", läßt sich zumindest bezweifeln.[68][52] Ich kann Detlef Garbe auch nicht zustimmen, wenn er behauptet, daß es sich dabei um "politisches Kalkül" handelte, wobei der 'selbst erklärte Standpunkt der "Neutralität" weit hinter sich gelassen' wurde.[69][53] Die Diktion wurde sicherlich nicht von politischem, sondern von juristischem Kalkül bestimmt.

"Anpassung der Vereinigung an die nationalen Verhältnisse in Deutschland"

So, wie die Gemeinden der Zeugen Jehovas während des Verbots Strukturen entwickelten, um sich der Illegalität anzupassen, so hat die Rechtsabteilung der Wachtturm-Gesellschaft bereits vor dem Juni 1933 versucht, Strukturen zu entwickeln, um sich der Legalität anzupassen. In den 20er Jahren und besonders zu Beginn der Hitlerregierung versuchte man, wie bereits erwähnt, mit den deutschen Behörden zu verhandeln und die Regierungsstellen über den unpolitischen, rein religiösen Charakter des Werkes aufzuklären. Um Vorurteile abzubauen oder um nicht unnötig Anstoß zu erregen, war die Wachtturm-Gesellschaft zu geringfügigen organisatorischen Änderungen bzw. Anpassungen bereit – das war legal und mit ihrem religiösen Standpunkt vereinbar. Dadurch bewies sie Flexibilität, war jedoch keineswegs zur Kollaboration mit den Nationalsozialisten bereit.

Die Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg, die die "Internationale Bibelforscher-Vereinigung" (eine weitere religiöse Körperschaft der Zeugen Jehovas) vertrat, bewies zum Beispiel Flexibilität, als sie in ihren Briefen auf den Zusatz "International" verzichtete. Ihr kam jedoch nicht in den Sinn, die Vereinigung "Deutsche Bibelforscher-Vereinigung" zu nennen. (Eine landschaftliche Bezeichnung, wie Norddeutsche oder Süddeutsche Bibelforscher-Vereinigung, wie sie offenbar vom Syndikus der Wachtturm-Gesellschaft angestrebt und auf Behördenebene realisiert wurde, war dagegen neutral und tragbar.)[70][54]

Bitte beachten Sie, daß Jehovas Zeugen es dagegen ablehnten, das Wort "Jehova" aus ihrem Namen, den sie 1931 angenommen hatten, zu streichen. Man stelle sich vor, wie oft die antisemitischen Nationalsozialisten, die "Jehova" als "Judengott" verunglimpften, dadurch gezwungen waren, den verhaßten Namen in den Mund zu nehmen![71][55] Und bis zur letzten Ausgabe der Zeitschrift Der Wachtturm, die zum 15. Juni 1933 in Magdeburg erschien, konnte man auf der Impressumseite Begriffe lesen, die den Nationalsozialisten ein Greuel waren, zum Beispiel den Satz "Jehovas Organisation wird Zion genannt".[72][56] Das bringt uns zu der Frage, ob die Videodokumentation verschweigt, wie behauptet wird, daß auf dem Berliner Kongreß am 25. Juni 1933 antisemitische Tendenzen zu finden waren.

Antisemitische Tendenzen?

In der 3. Auflage seines Buches stellt Detlef Garbe fest: "Viele der unter Berufung auf die 'Wilmersdorfer Erklärung' in der Literatur getroffenen Urteile gehen mit ihrer Kritik fehl bzw. werden dem Text und der Situation nicht gerecht. So wird man nicht davon sprechen können, daß die Zeugen Jehovas sich damit als 'Antisemiten' bekannten und sich 'als möglicher Verbündeter' empfahlen ... Bezeichnungen wie 'Sympathiekongreß für den Nationalsozialismus' ... oder die Behauptung, die Watch Tower-Führung habe den Versuch unternommen, 'mit Hitler einen Pakt zu schließen' ... sind ebenso Resultat einer vom Willen der Diskreditierung geleiteten Bewertung wie die im 'Gebhard', der DDR-Dokumentation von 1970, aus der Erklärung herausgelesene 'verbrecherische Unterstützung der antisemitischen Hitlerpolitik'."[73][57]

Diese Aussage ist eindeutig. Dennoch möchte ich auf diesen Punkt noch näher eingehen.

Während heute Kritiker den Zeugen Jehovas des Jahres 1933 Antisemitismus unterstellen, behaupteten damals Antisemiten, Nationalsozialisten und kirchliche Vertreter – man kann sie durchaus als "Sektenexperten" bezeichnen – genau das Gegenteil.[74][58] Der "Völkische Beobachter" meinte 1935 sogar zu wissen, daß durch die Zeugen Jehovas "die Rassengesetzgebung des Dritten Reiches besonders gehässig bekämpft wird".[75][59]

"Die Lehre von der Gleichheit der Rassen" und die Tatsache, daß die Bibelforscher von der "Schaffung eines Friedensreiches ohne Klassen- und Rassenschranken auf Erden" sprachen, trug ihnen bereits in den 20er Jahren "den Haß und die unerbittliche Feindschaft antisemitischer Gruppen ein", stellt Detlef Garbe fest. NS-Ideologen und Antisemiten wie Alfred Rosenberg warfen den Zeugen Jehovas vor, im Auftrage "des Judentums" die Massen zu "hypnotisieren" und sie seelisch auf die "jüdische Weltherrschaft" vorzubereiten. Diese Vorwürfe wurden "nicht nur von nationalsozialistischen Propagandisten unter die Bevölkerung gebracht. Deutsch-nationale Kreise der evangelischen Kirche und Teile des katholischen Klerus standen ihnen in nichts nach. Wechselseitig betätigte man sich als Stichwortgeber. ... Insbesondere in den Jahren 1921 bis 1925 erschienen zahlreiche kirchliche 'Aufklärungsschriften' über die Bibelforschervereinigung, ... die eine kirchliche Variante völkisch-antisemitischer Schmähschriften darstellten".[76][60]

Nochmals sei betont: Den Zeugen Jehovas lag Antisemitismus (Judenhaß) und Rassenhaß nachweislich fern, und der Jude wurde in ihren Schriften als "ebenso hochwertiger Mensch" angesehen.[77][61] In der Videodoku­mentation "Standhaft trotz Verfolgung" sagt Detlef Garbe, Historiker und Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: "Antisemitismus macht sich an Merkmalen auch des Rassismus fest. Zeugen Jehovas lag es fern, Juden wegen ihrer Herkunft als weniger wert anzusehen. Für sie galt jeder Mensch gleich wert, als gleichwertig."

Die Verfolgung von Juden wurde als "unentschuldbar"[78][62] und als "Rassenwahn" verurteilt.[79][63]

Die Tatsache, daß die Wachtturm-Literatur die Judenverfolgungen verurteilte und als "einen der schwärzesten Schandflecke der Weltgeschichte" bezeichnete,[80][64] nahmen die Nationalsozialisten den Zeugen Jehovas sehr übel und sprachen das auch öffentlich aus.[81][65]

Die einst inhaftierte französische Ärztin Odette Abadi erinnert sich an eine Zeugin Jehovas im KZ Bergen-Belsen: "In unserem Zimmer wohnt seit einigen Tagen eine hundertprozentige Arierin, Ursula, die inhaftiert wurde, weil sie zur Sekte der Bibelforscher – der Zeugen Jehovas – gehört, einer Sekte, die die Wahrheit in der Bibel sucht, die weder Antisemitismus noch Faschismus und Nazismus akzeptiert und deren Anhänger sich weigern, für den Krieg zu arbeiten."[82][66]

In der religiösen Auseinandersetzung mit anderen Religionen bezogen die Zeugen Jehovas neben dem Katholizismus und Protestantismus natürlich auch den Judaismus mit ein und übten in der Regel auf der Grundlage der Bibel Kritik an deren religiösen Führern.[83][67] Eine ähnliche Kritik ist bereits bei den hebräischen Propheten des Alten Testaments und bei Jesus von Nazareth zu finden und kann nicht mit Antisemitismus oder Antijudaismus gleichgesetzt werden.[84][68]

Die Verwendung der Wörter "Handelsjuden" und "Geschäftsjuden"

Die Verwendung der Wörter "Handelsjuden" und "Geschäftsjuden" in der "Erklärung" bzw. im Begleitbrief kann unter folgenden Gesichtspunkten gesehen werden:

– Berücksichtigung des Zusammenhangs (Wer ist gemeint und warum?)

– Wie oft werden die Begriffe gebraucht? (einmalige Verwendung)

– Berücksichtigung der Haltung der Zeugen Jehovas zu den Juden im allgemeinen (keine Ressentiments; siehe oben)

– Bedeutung und Verwendung des Begriffes im deutschen Wortschatz (seit dem 19. Jahrhundert im Gebrauch; Streichung des Wortes aus den Wörterbüchern ab 1933)

Der fragliche Begriff wird in der "Erklärung" wie folgt verwendet: "Es ist von unseren Feinden fälschlich behauptet worden, daß wir in unserer Tätigkeit von den Juden finanziell unterstützt werden. Dies ist absolut unwahr, denn bis zur gegenwärtigen Stunde ist auch nicht das geringste an Beiträgen oder finanzieller Unterstützung für unser Werk von Juden geleistet worden. Wir sind treue Nachfolger Jesu Christi und glauben an ihn als den Heiland der Welt. Die Juden dagegen verwerfen Jesus Christus völlig und leugnen absolut, daß er der Welt Heiland ist, der von Gott zum Nutzen des Menschen gesandt wurde. Schon allein diese Tatsache sollte genügender Beweis dafür sein, daß wir von den Juden nicht unterstützt werden, und daß die Anschuldigungen gegen uns in böser Absicht vorgebracht worden und falsch sind und nur von Satan, unserem großen Feinde, herrühren können.

Das Anglo-Amerikanische Weltreich ist die größte und bedrückendste Herrschaft auf Erden. Hiermit ist das Britische Weltreich, wovon die Vereinigten Staaten Amerikas einen Teil bilden, gemeint. Es sind die Handelsjuden [Hvhbg. d. d. A.] des Britisch-Amerikanischen Weltreiches, die das Großgeschäft aufgebaut und benutzt haben als ein Mittel der Ausbeutung und der Bedrückung vieler Völker. Diese Tatsache bezieht sich insonderheit auf die Städte London und New York als Hauptstützpunkte des Großgeschäfts. Dies ist in Amerika so offenbar, daß es in bezug auf die Stadt New York ein Sprichwort gibt, das heißt: 'Den Juden gehört die Stadt, die irischen Katholiken beherrschen sie, und die Amerikaner müssen zahlen.' Wir haben mit den erwähnten Gruppen keinen Streit, sondern als Zeugen für Jehova und in Befolgung seiner in der Schrift niedergelegten Gebote müssen wir auf die Wahrheit hierüber aufmerksam machen, damit das Volk über Gott und sein Vorhaben aufgeklärt werden möchte" (Hervorhebungen hinzugefügt).

Im Begleitbrief lautet die Stelle wie folgt: "In gleicher Weise hat sich das Präsidium unserer Gesellschaft in den letzten Monaten nicht nur geweigert, an der Greuelpropaganda gegen Deutschland teilzunehmen, sondern hat sogar dagegen Stellung genommen, wie dies auch in der beigefügten Erklärung unterstrichen wird durch den Hinweis, dass die Kreise, welche diese Greuelpropaganda in Amerika leiteten (Geschäftsjuden (Hvhbg. d. d. A.) und Katholiken), dort auch die rigorosesten Verfolger der Arbeit unserer Gesellschaft und ihres Präsidiums sind. Durch diese und andere in der Erklärung enthaltenen Feststellungen soll die Zurückweisung der Verleumdung, Bibelforscher würden durch die Juden unterstützt, erfolgen" (Hvhbg. d. d. A.).

Der Begleitbrief war nicht vom Präsidenten der Watch Tower Society, sondern von seinem Manager in Magdeburg verfaßt.[85][69] Er nennt ausdrücklich den Grund für die Stellungnahme: Es geht nicht um die Juden im allgemeinen (demnach ging man auch gemäß Garbe nicht "auf deutliche Distanz zu einer anderen bedrängten Bevölkerungsgruppe")[86][70], sondern um bestimmte Personen jüdischer Herkunft, die in New York und London ihre Geschäfte betrieben. Dieser Gesichtspunkt ist wesentlich und wird durch das Zitieren eines amerikanischen Sprichwortes in der "Erklärung" noch unterstrichen. Die vehementen Angriffe auf die Zeugen Jehovas durch Gegner hatten bereits zu staatlichen Verboten in Deutschland geführt. Man warf ihnen vor, sie würden von den "Juden" finanziert, damit sie eine vermeintliche jüdische Weltregierung errichten konnten. Diesen Verleumdungen traten die deutschen Zeugen Jehovas nun ihrerseits vehement entgegen und wiesen sie entschieden zurück. Sie gebrauchten deutliche Worte, um ihr nichtkommerzielles Werk von dem Tun ihrer angeblichen jüdischen Geldgeber klar abzugrenzen. Ihre damalige Stellungnahme könnte heute leicht als "antisemitisch" mißverstanden werden, sofern man den zeitgeschichtlichen Kontext außer acht läßt und die Zitate ihres Zusammenhangs beraubt.

Der Gebrauch des Wortes "Handelsjuden" (im engl. Original findet sich "commercial Jews"), das hier in Verbindung mit dem Großgeschäft[87][71] gebraucht wird, ist mindestens seit dem 19. Jahrhundert belegt und gehörte damals offenbar zum allgemeinen deutschen Wortschatz.[88][72] Erst seit 1933 scheint der Begriff aus den deutschen Wörterbüchern verschwunden zu sein.[89][73] Auf jeden Fall ist er hier weder ein Anzeichen für Antisemitismus, noch scheint dem NS-Sprachgebrauch Rechnung getragen worden zu sein.[90][74]

Es ist richtig, daß nach dem scheußlichen Massenmord an den Juden der Mensch von heute sensibler mit Begriffen und Redewendungen umgeht, die die Juden betreffen.[91][75] Wenn Kritiker in Äußerungen, die Zeugen Jehovas im Jahre 1933 gemacht haben, jedoch einen Antisemitismus (Judenhaß) hineinlesen, so übersehen sie den zeitgenössischen Kontext und begehen einen Anachronismus. Im umgekehrten Fall kann zum Beispiel niemand, der die Anführungszeichen bei den damals geprägten Begriffen "Drittes Reich" (bis 1938), "Kristallnacht" (verharmlosend) oder "Machtergreifung" (heroisierend) vergißt, als ein Nationalsozialist bezeichnet werden.[92][76] Im deutschen Wortschatz scheint es noch weitere Begriffe zu geben, die ursprünglich im "Dritten Reich" geprägt wurden, heute aber bedenkenlos gebraucht werden.[93][77]

Mit Sicherheit kann man sagen, daß Jehovas Zeugen Haß oder Feindschaft den Juden gegenüber absolut fernlag und daß sie ihnen gegenüber als Teil der Menschheit nicht einmal Ressentiments verspürten. Die Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung macht sich keineswegs der Geschichtsklitterung schuldig und schildert das Verhältnis der Zeugen Jehovas zu den Juden in einem korrekten zeitgeschichtlichen Zusammenhang.

Schluß

Zur Erinnerung: Die "Mainzer Bistumsnachrichten" vom Mai 1997 warfen "Standhaft trotz Verfolgung" vor, folgendes verschwiegen zu haben:[94][78] "In einer damals abgegebenen Erklärung wurden die vielen ideellen Gemeinsamkeiten der Wachtturmgesellschaft mit den Zielen der Nazi-Machthaber beteuert. Gleichzeitig wurden in diesem Schreiben die 'Handelsjuden des Britisch-Amerikanischen Weltreiches' für die Ausbeutung der Völker verantwortlich gemacht und bei Hitler denunziert. Auch betonten die Zeugen Jehovas in diesem persönlichen Schreiben an Hitler ihre ablehnende Haltung gegenüber den 'Geschäftsjuden und den Katholiken'. Im Film findet die Erklärung von 1933 zwar eine kurze Erwähnung, sie wird jedoch verharmlost, und die Herausgeber finden kein Wort des Bedauerns oder des Schuldeingeständnisses, auch nicht angesichts der Aufkündigung der Solidarität mit dem jüdischen Volke."

Ich denke, daß solche unzutreffenden, polemischen Betrachtungsweisen zukünftig der Vergangenheit angehören werden.

An dieser Stelle sei nochmals betont: Es muß zugegeben werden, daß einige Formulierungen im Begleitschreiben der "Erklärung" vom 25. Juni 1933 spitzfindig formuliert sind und damit zu Mißverständnissen Anlaß geben. Das ist bedauerlich und würde, sofern Menschen dadurch zu Schaden gekommen sein sollten, tatsächlich einer Entschuldigung bedürfen.[95][79] Die fraglichen Stellen sind jedoch nicht von politischer, antisemitischer oder nationalsozialistischer Diktion beeinflußt oder geprägt. Es ist daher nicht notwendig, in "Standhaft trotz Verfolgung" ausführlicher auf den Kongreß in Berlin-Wilmersdorf einzugehen als es gegenwärtig getan wird. Breiten Raum nehmen dagegen zu Recht die Erlebnisse der Zeitzeugen ein, was den Film zu einem zeitgeschichtlichen Dokument einer Opfergruppe macht, über deren Verfolgung noch immer wenig bekannt ist.

Wir hoffen sehr, daß es den kritischen Zuschauern ähnlich ergeht wie nach dem Anschauen von Spielbergs Film "Schindlers Liste", von dem ein Kritiker schrieb: "Wenn der Film endet, sind alle Einwände vergessen."[96][80]

 



[1] [1] Das Referat wurde gekürzt und größtenteils in freier Rede am 5. Oktober (Kreismuseum Wewelsburg), am 8. Oktober (Hörsaal im Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg) und am 11. Oktober 1997 (Bürgerhaus Frankfurt-Bornheim) vorgetragen. Das hier vorliegende Manuskript enthält eine überarbeitete Fassung des Referats.

[2] [2] Brief des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Dr. Manfred Stolpe, Potsdam, 30. Oktober 1996, an Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft, Deutscher Zweig e.V., Herrn Präsidenten Günter Künz, Am Steinfels, 65618 Selters, Original bei Wachtturm-Geschichtsarchive. Siehe auch Detlef Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich" (künftig: Garbe 1997). Studien zur Zeitgeschichte, herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, Band 42. 3., überarbeitete und um ein Nachwort ergänzte Auflage, München, (August) 1997, S. 546, Anm. 13.

[3] [3] So fand die Podiumsdiskussion "Widerstand aus dem Glauben? Katholiken, Protestanten und Zeugen Jehovas im NS-Staat" am 29. September 1997 im Haus der Volksarbeit in Frankfurt/Main (Veranstalter: Bistum Limburg, Referat Weltanschauungsfragen und Evangelische Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen) in einem sachlichen und von Respekt für die NS-Opfer der Zeugen Jehovas geprägten Rahmen statt. Von den Historikern waren Prof. Dr. Matthias Benad (Kirchliche Hochschule Bethel), Dr. Detlef Garbe (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) und Lutz Lemhöfer (Katholisches Bistum Limburg) anwesend.

[4] [4] Die Titel der Videodokumentationen lauten wie folgt: Jehovah's Witnesses Stand Firm Against Nazi Assault (Englisch, November 1996), Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime (Deutsch, November 1996), Muschestwo Swidetelej Jegowi pered lizom nazisma (Russisch, Mai 1997), Niezlomni w obliczu przesladowan – Swiadkowie Jehowy a hitleryzm (Polnisch, September 1997), La fermeté des Témoins de Jéhovah face à la persécution nazie (Französisch, 1997), As Testamunhas de Jeová Resistem ao Ataque Nazista (Portugiesisch, Oktober 1997), I Testimoni di Geova, saldi di fronte all'attacco nazista (Italienisch, November 1997).

[5] [5] Siehe Wrobel Johannes, Die Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime". Eine Stellungnahme (künftig: Wrobel 1997), Selters/Taunus, Juli 1997, Einführung 1.2, S. 1. Kritiker haben der Videodokumentation eine "missionarische Intention" und "Propaganda"-Absich­ten unterstellt (Mainzer Bistumsnachrichten, Nr. 16, 7. Mai 1997; Pfarrer Joachim Keden [evangelisch], Pfarrer Horst Neusius [katholisch], Renate Heers und andere in einem Gutachten für das Landesmedienzentrum Rheinland-Pfalz, ohne Datum [Frühjahr 1997]). Hans-Jürgen Twisselmann nennt sie im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Mai 1997, S. 141, 142 eine "professionell gemachte Videodokumentation" und gleichzeitig einen "Propagandafilm".

[6] [8] An dem Seminar im United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. am 29. September 1994 nahmen anerkannte Historiker aus den USA, Großbritannien und Deutschland sowie Zeitzeugen (Zeugen Jehovas) teil. James N. Pellechia vertrat die Watchtower Society und referierte zu der Thematik in dem Lichtbildervortrag "The Spirit and the Sword. Jehovah's Witnesses Expose the Third Reich". Auf ein gebundenes Exemplar des Diavortrages bezieht sich Garbe 1997, S. 550, Anm. 27.

[7] [13] Das deutsche Wort "Dokument" (lat. documentum, eine beweisende Urkunde, das zur Belehrung über etwas bzw. zur Erhellung über etwas Dienliche, ein Beweis) kann für "Beweisstück, Zeugnis" stehen. Eine "Dokumentation" ist eine Zusammenstellung, Ordnung und Nutzbarmachung von Dokumenten, Beweisen oder Zeugnissen, und der Begriff wird als "beweiskräftiges Zeugnis, anschaulicher Beweis" definiert. Das Wort [Video-]"Dokumentation" wird hier meist in seiner zweiten Bedeutung verwendet, nämlich "2. Ausdruck von etw., beweiskräftiges Zeugnis, anschaulicher Beweis" (DUDEN Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 2, 1993, S. 745). Standhaft trotz Verfolgung enthält zahllose Dokumentaraufnahmen, wird meist aber nicht als Dokumentarfilm bezeichnet. Unter einer Dokumentaraufnahme versteht man gemäß dem oben angeführten Werk eine "fotografische od. akustische Aufnahme, die als Dokument (2) dient". (Die zweite Bedeutung von "Dokument" ist, wie oben erwähnt, "Beweisstück, Zeugnis: der Film ist ein erschütterndes D[okument] des Krieges".) Ein Dokumentarfilm ist ein "Film mit Dokumentaraufnahmen, der Begebenheiten u. Verhältnisse möglichst genau, den Tatsachen entsprechend zu schildern versucht". Standhaft trotz Verfolgung versucht, historisch genau zu sein und Tatsachen wiederzugeben, will und kann aber kein umfassender "Dokumentarfilm" zur NS-Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas sein. Da Standhaft trotz Verfolgung im strengen Sinn des Wortes kein Film, sondern ein Video (Betacam SP) ist, wurde von Anfang an der Begriff "Videodokumentation" und nicht "Dokumentarfilm" gewählt. Der "Film" kann mit Recht als eine zeitgeschichtlich wertvolle Videodokumentation zur Thematik bezeichnet werden.

[8] [14] Garbe, Detlef: "Sendboten des jüdischen Bolschewismus. Antisemitismus als Motiv nationalsozialistischer Verfolgung der Zeugen Jehovas" (künftig: Garbe, Sendboten 1994). In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. Band XXIII, 1994. Nationalsozialismus aus heutiger Perspektive. Gerlingen, 1994, S. 168. Auf Seite 163 ("zeigten sich weithin unbeugsam" und "Unerschrockenheit im Bekennen"), Seite 167 ("…in der es den Glauben standhaft gegen alle Anfechtungen zu bewahren gelte" und "Standhaftigkeit der Zeugen Jehovas") und Seite 168 finden sich die übrigen Zitate.

[9] [15] In der Geschichtsschreibung der Wachtturm-Gesellschaft wird weder für das Jahr 1933 noch für die bittere Verfolgungszeit bis 1945 ein "Mythos der völligen Einheitlichkeit" geschaffen, wie Lutz Lehmhöfer auf der Veranstaltung in Frankfurt/Main am 29. September 1997 hervorhob. Im "Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974", der den deutschen Verfolgungsbericht enthält, wird durchweg zugegeben, daß es sowohl kurz nach der "Machtergreifung" als auch in einigen Konzentrationslagern zu individuellen und kontroversen Verhaltensweisen unter Zeugen Jehovas gekommen ist (vgl. S. 130f., 174). Das "Jahrbuch 1974", das sich größtenteils auf subjektive "oral-history"-Zeugnisse stützt, muß jedoch in der negativen Einschätzung des Berliner Kongresses vom 25. Juni 1933 korrigiert werden (vgl. S. 110f.). In einer neueren Stellungnahme der Wachtturm-Gesellschaft heißt es: "Der Abhandlung im 'Jahrbuch der Zeugen Jehova 1974' zufolge waren einige deutsche Zeugen Jehovas darüber enttäuscht, daß der Wortlaut der 'Erklärung' nicht strenger war. Hatte Paul Balzereit, der Leiter des Zweigbüros, die Aussagen des Schriftstücks abgeschwächt? Nein, ein Vergleich des deutschen Textes mit dem englischen zeigt, daß dies nicht der Fall war. Ein gegenteiliger Eindruck war offensichtlich der subjektiven Darstellung einiger zuzuschreiben, die nichts mit der Ausarbeitung der 'Erklärung' zu tun hatten. Ihre Schlußfolgerungen wurden eventuell auch dadurch beeinflußt, daß Balzereit nur zwei Jahre später seinem Glauben abschwor" (Erwachet!, 8. Juli 1998, S. 14).

[10] [17] Fischer, Fritz, Hitler war kein Betriebsunfall, München 1993, S. 182ff.

[11] [19] Auf dem Kongreß wurden keine Hakenkreuzfahnen benutzt, wie Innenaufnahmen beweisen. Die Zeugen Jehovas sangen auch nicht die Nationalhymne, sondern das alte Bibelforscherlied "Zions herrliche Hoffnung". Siehe Erwachet!, 8. Juli 1998, S. 12, 13.

[12] [20] Was den angeblichen Verrat von leitenden Zeugen Jehovas betrifft, siehe Wrobel 1997, Erich Frost und Konrad Franke 9.0, S. 11-14.

[13] [21] Insgesamt kommen Zeugen Jehovas und Nicht-Zeugen 118mal zu Wort (Zahl der Wortbeiträge, die nicht durch einen Sprecherkommentar unterbrochen werden). Die Nicht-Zeugen und Historiker kommen 44mal (38 Prozent), die Zeugen Jehovas 74mal (62 Prozent) zu Wort (Wrobel 1997, Inhalt und Mitwirkende 3.1, S. 4).

[14] [22] Auch: Holocaust – Gegen das Vergessen. Multimedia CD-Rom (ISBN 3-931293-47-5), Systhema/Navigo, Frankfurt/Main, 1997, wissenschaftliche Beratung Univ.-Prof. Dr. phil. Erika Weinzierl, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.

[15] [23] Computer BILD, Nr. 19/97, 15. September 1997, S. 66.

[16] [31] Garbe 1997, S. 103, Anm. 71: "Die in den beiden ersten Auflagen dieses Buches getroffene Feststellung, daß der Kongreß 'mit dem Deutschlandlied eingeleitet wurde', beruht auf ein Mißverständnis. Auch die Behauptung, 'daß der Veranstaltungsort mit Hakenkreuzfahnen versehen war', kann und soll hier nicht mehr aufrechterhalten werden, da gegenüber dieser Darstellung, bei der ich mich auf eine Tonbandmitschrift eines (in der Zeitschrift 'Christian Quest', 3, 1990, N. 1, S. 46f., auszugsweise publizierten) Vortrages des ehemaligen deutschen Zweigdieners Konrad Franke gestützt habe, zumindest Zweifel bestehen, die eine weitere Kolportage der Darstellung nicht angezeigt sein lassen. So weisen Fotos, die augenscheinlich von dem IBV-Kongreß in der Wilmersdorfer Tennishalle stammen, zumindest für den Innenraum keine Hakenkreuzbeflaggung auf, was auch durch weitere Zeitzeugenberichte gestützt wird (UaP Johannes Wrobel). Allerdings ist es sehr wohl möglich, daß die von der WTG [Wachtturm-Gesellschaft] angemietete Sporthalle, in deren unmittelbarer Umgebung noch am Vortag SA, SS und andere NS-Formationen die Sonnenwendfeier zelebrierten (vgl. Christoffel, Wilmersdorf, S. 269), von außen mit Hakenkreuzfahnen versehen war."

[17] [32] So schreibt Francis L. Carsten in seinem ansonsten bemerkenswerten Aufsatz über die Religionsgemeinschaft, die seiner Ansicht nach "eine hervorragende Rolle unter den Gegnern des Hitlerregimes spielte": "Im Juni organisierten sie [Jehovas Zeugen] eine Massenversammlung in Berlin mit rund 6000 Teilnehmern. Sie wurde mit dem Deutschlandlied eröffnet, und die Halle war mit Hakenkreuzfahnen ausgeschmückt" (Widerstand gegen Hitler. Die deutschen Arbeiter und die Nazis. Aus dem Englischen vom Verfasser, Frankfurt/Main und Leipzig, 1996, Kapitel VII, "Die Zeugen Jehovas").f. L. Carsten stützt sich bei dieser Aussage auf die 1. Auflage von Detlef Garbes Buch Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich", München, 1993, S. 84f. Detlef Garbe stützt sich dagegen auf einen Artikel in "The Christian Quest", einer ominösen englischen Veröffentlichung, die zweifelsfrei von Gegnern der Zeugen Jehovas publiziert wird, jedoch bislang in keiner Bibliothek Nordamerikas als Publikation nachgewiesen werden konnte.

[18] [33] Vgl. Wrobel 1997, Erich Frost und Konrad Franke 9.2, S. 11.

[19] [34] Gebhard 1970, S. 158, 159, 170, 187.

[20] [35] Mit Blick auf den Berliner Kongreß 1933 schreibt der "Materialdienst" der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen unter der Überschrift "Fakten, die verschwiegen werden": "Der Veranstaltungsort war mit Hakenkreuzfahnen versehen … Als nach seinem [Rutherfords] Eindruck die Politik der Anpassung keine Früchte zu tragen schien, warf er das Ruder herum und ging auf Konfrontationskurs" (Hans-Jürgen Twisselmann, "Jehovas Zeugen im 'Dritten Reich'. Zwischen Anpassung und Martyrium", Materialdienst der EZW. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 5/1997, S. 143, 144.) Eine weitere Verirrung leistet sich der Autor, wenn er in Verbindung mit der kostenfreien Videodokumentation von "einer Vermarktung der Märtyrer" spricht. Er bezeichnet "Standhaft trotz Verfolgung" als einen "Propagandafilm" (S. 142). Die "Mainzer Bistumsnachrichten" verbreiten die Ansicht, daß in der Videodokumentation der Wachtturm-Gesellschaft folgendes "mit keinem Wort Erwähnung" findet: "Daß die deutsche Leitung zusammen mit der Weltzentrale der Wachtturmgesellschaft 1933 … versuchte, durch eine Anbiederung an den 'hochverehrten Reichskanzler Adolf Hitler' eine Verfolgung abzuwenden, scheint mit dem Siegel des Vergessens bedeckt zu werden. Am 25. Juni 1933 … wurde der gesamte Veranstaltungsort mit Hakenkreuzfahnen geschmückt. … Als Rutherford merkte, daß die Anpassung nicht in dem gewünschten Maß fruchtete, forderte er förmlich von den 'einfachen' Zeugen Jehovas in Deutschland das Martyrium. Und die meisten Zeugen Jehovas, gehorsamsgewohnt, schickten sich in diese Forderung ihrer Leitung" (Eckhard Türk, MBN, "Unter dem NS-Regime verfolgt. Zeugen Jehovas zwischen Vergangenheitsbewältigung und Propaganda", Mainzer Bistumsnachrichten, Nr. 16, 7. Mai 1997, S. 9–10.) Das Begleitschreiben der "Erklärung" vom 25. Juni 1933 an den legal eingesetzten Staatschef beginnt – mit gebotener Höflichkeit – nicht wie bei Türk angeführt, sondern mit den Worten "Sehr verehrter Herr Reichskanzler!". Von dem Schreiben, das in der Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin zu sehen ist, heißt es dort in einem Begleittext: "Obwohl sich die Petition an den Reichskanzler Hitler wendet, vermeidet sie die schon zu dieser Zeit verbreitete Anrede 'Führer'. ... Wie auch Vertreter der großen Konfessionen geben sich führende Zeugen Jehovas zunächst der trügerischen Erwartung hin, Hitler sachlich über ihre Ziele informieren zu können. Sie hoffen, daß er die Verfolgung beendet. Keinen Zweifel lassen die Zeugen Jehovas aber an ihrer inneren Verpflichtung, nur dem Wort Gottes zu dienen" (Ausstellungstext, Abschrift; siehe Wrobel 1997, Der Berliner Kongreß am 25. Juni 1933, 10.3, S. 15).

[21] [36] Garbe 1997, S. 20, 21.

[22] [37] Von 1950 bis 1961 (Bau der Berliner Mauer) wurden von den DDR-Behörden 2.891 Zeugen Jehovas verhaftet; 2.202 von ihnen (darunter 674 Frauen) wurden zu insgesamt 12.013 Jahren Haft verurteilt (im Durchschnitt zu 5,5 Jahren). In 15 Fällen wurde eine lebenslange Strafe verhängt. (Die Urteile wurden später auf 15 Jahre Zuchthaus herabgesetzt.) Im Lauf der Zeit nahm die Höhe der Haftstrafen stark ab, und in den 70er Jahren wurden nur noch Wehrdienstverweigerer bestraft. Vorläufige Ergebnisse: Soweit bekannt ist, waren insgesamt 4.940 Zeugen Jehovas in 231 Haftanstalten und Arbeitslagern inhaftiert. In der Haft starben mindestens 50 Zeugen Jehovas (37 Männer und 13 Frauen) infolge Mißhandlungen, Krankheit, Unterernährung und hohen Alters, von denen alle bereits unter dem NS-Regime inhaftiert waren. Nach 1961 ging die Zahl der Verhaftungen und Verurteilungen stark zurück: 1963 wurden 15 Zeugen Jehovas verhaftet und im Jahre 1964 nur noch 9; gleichzeitig (1963 und 1964) wurden 117 Zeugen nach längerer Haftzeit entlassen, einige nach Westdeutschland abgeschoben (Quelle: Wachtturm-Gesellschaft, Geschichtsarchive, Selters/Taunus, Stand 1. September 1997).

[23] [38] Garbe 1997, S. 22.

[24] [39] So schmälert die Benutzung der "Dokumentation" von Gebhard durch Manfred Koch ("Julius Engelhard – Drucker, Kurier und Organisator der Zeugen Jehovas", in: Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933–1945, Stuttgart u. a. O., 1984, S. 99) den Wert seiner Ausarbeitung, wenn er schreibt: "Um organisatorisch fortbestehen zu können, schien damals sogar der Versuch opportun, die Gunst der Nationalsozialisten zu gewinnen. Man empfahl sich aufgrund des eigenen religiös motivierten Gegensatzes zum Judentum als möglicher Verbündeter. Diese Anbiederungsversuche blieben jedoch erfolglos (Gebhard 1971, S. 161)." Ebenso stützt sich Elke Imberger in ihrem ansonsten gut recherchierten Buch auf die Veröffentlichung von Manfred Gebhard und auf "Die Wahrheit über Jehovas Zeugen. Problematik, Dokumentation." Rottweil, 1970, von Günther Pape, dessen Verwandter offenbar als Mitverfasser des Urania-Buches anzusehen ist. Ralph Angermund, Deutsche Richterschaft 1919–1945, Frankfurt/Main, 1990, S. 152 schreibt: "Obwohl am 25. Juni 1933 auf einem Kongreß in Berlin 5000 Bibelforscher ihre Loyalität gegenüber der NS-Regierung und ihre Zustimmung zu den antisemitischen Grundsätzen der NSDAP versicherten, wurde die Sekte noch im gleichen Monat … verboten"; als Quelle wird in der Fußnote "Mammach, Ebd., S. 39. Danach erfolgten die Verbote auf Bitten des Episkopats" angegeben. Klaus Mammach, der sich auf das Urania-Buch von Manfred Gebhard stützt, bemerkt in Widerstand 1933–1939. Geschichte der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung im Inland und in der Emigration, Berlin, 1984, Seite 39: "Auch andere Glaubensgemeinschaften bekannten sich zu diesem Regime. 5000 sogenannte Ernste Bibelforscher, auch Zeugen Jehovas genannt, hatten auf einer Konferenz in Berlin am 25. Juni 1933, einen Tag nach dem auf Bitte des katholischen Episkopats erfolgten staatlichen Verbots der Sekte, bekundet, daß in ihrem Verhältnis 'zur nationalen Regierung des Deutschen Reiches keinerlei Gegensätze vorliegen' [Mammach beachtet den Kontext nicht, denn bei ihm fehlt gemäß dem Originalsatz der Zusatz "sondern dass im Gegenteil – bezüglich der rein religiösen, unpolitischen Ziele und Bestrebungen der Bibelforscher – zu sagen ist, dass diese in völliger Übereinstimmung mit den gleichlaufenden Zielen der nationalen Regierung des Deutschen Reiches sind"], daß sie 'für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit des Staates' einträten sowie für die 'auf religiösem Gebiet liegenden hohen Ideale der nationalen Regierung'."

[25] [40] Garbe, Detlef 1997, S. 20, Anm. 44. Siehe Wrobel 1997, Erich Frost und Konrad Franke, 9.1 und 9.2. Am 26. Dezember 1984 schrieb Manfred Gebhard: "Das Uraniabuch verdient eingestampft bzw. Papiermühlen zugeführt zu werden! Das sind harte Worte, ich bin mir dessen durchaus bewußt, zumal ich umständehalber auch mit dem Uraniabuch verquickt bin" (Fk. im Besitz des Verfassers).

[26] [42] Die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung)" vom 28. Februar 1933 (RGBL. I S. 83) lautete: "Auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet: §1 Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, und Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmungen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig. §2 Werden in einem Lande die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen, so kann die Reichsregierung insoweit die Befugnisse der obersten Landesbehörden vorübergehend wahrnehmen" (zitiert nach Deutsche Verfassungen, herausgegeben von Prof. Dr. Rudolf Schuster, München, 1992). Die Verbote der Zeugen Jehovas in Deutschland stützten sich auf die Reichstagsbrandverordnung. So erließ Sachsen durch den NS-Reichskommissar am 18. April 1933 ein "Verbot der Ernsten Bibelforscher … Auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Febr. 1933" (Fk. beim Verf.). Der Verbotserlaß für Preußen vom 24. Juni 1933 berief sich ebenfalls auf die Reichstagsbrandverordnung, §1 (Garbe 1997, S. 100f.). Die Verordnung vom 28. Februar 1933, eigentlich zur "Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte", stand nach Wolf-Dieter Mechler "bis zum Ende des Dritten Reiches zur Verfügung, um gegen 'hartnäckige' Mitglieder oder Anhänger verbotener Organisationen eingesetzt zu werden, wobei die spärliche Überlieferung – gerade auch für die Kriegszeit – darauf schließen läßt, daß nicht die klassischen politischen NS-Gegner zu den Betroffenen gehörten, sondern Anhänger religiöser Sekten, insbesondere die IBV [Internationale Bibelforscher-Vereinigung, Jehovas Zeugen]" (Wolf-Dieter Mechler, "Kriegsalltag an der 'Heimatfront'. Das Sondergericht Hannover im Einsatz gegen 'Rundfunkverbrecher', 'Schwarzschlachter', 'Volksschädlinge' und andere 'Straftäter' 1939 bis 1945". In: Hannoversche Studien. Schriftenreihe des Stadtarchivs Hannover, Bd. 4. Hannover, 1997, S. 73).

[27] [43] Garbe (Sendboten, 1994), S. 154.

[28] [44]Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974, Wachtturm-Gesellschaft, S. 103, 105.

[29] [45] Bis zum Herbst 1926 haben 897 Bibelforscher vor Gericht gestanden. Von diesen Fällen sind 460 abgeschlossen worden, während noch 437 Fälle offen sind. (Freispruch in 421 Fällen; in 25 Fällen sind Bibelforscher wegen des Versäumnisses ihrer Rechtsanwälte, rechtzeitig Einspruch zu erheben, zu Geldstrafen verurteilt worden.) Im Zweigbüro der Watch Tower Society (Bethel) wird eine juristische Abteilung eingerichtet (Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1927, S. 309). Zwei Jahre später kann die Rechtsabteilung berichten, daß während des Jahres 1928 gegen 1 660 kolportierende Bibelforscher Gerichtsverfahren eingeleitet worden sind. Davon sind 762 Verfahren beendet (729 Fälle endeten mit Freispruch, 33 mit Verurteilungen, meist wegen des Versäumnisses, rechtzeitig Einspruch zu erheben); 898 Verfahren waren noch anhängig (Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1929, S. 85).

[30] [46] Stokes, Anson Phelps, Church and State in the United States, Bd. III, 1950, S. 546, zitiert nach der Übersetzung in Jehovas Zeugen – Verkündiger des Königreiches Gottes, 1993, S. 699.

[31] [47] Nach der Besetzung der Druckerei-, Büro- und Wohngebäude der Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg mußten die preußischen Behörden das Eigentum am 28. April 1933 wieder freigeben, was ein juristischer Sieg für Jehovas Zeugen und damit für die Glaubensfreiheit in Deutschland war. Jehovas Zeugen waren entschlossen, für ihre von der Deutschen Verfassung garantierten Rechte zu kämpfen. Hintergründe der Freigabe bei Garbe 1997, S. 92f.

[32] [48] Das Gericht stellte fest: "Die bezeichneten Anordnungen sind deshalb rechtsungültig, weil sie gegen Artikel 137, Absatz 2 der Reichsverfassung vom 11.8.1919 verstoßen, der noch gültig fortbesteht. ... Die in den hessischen Anordnungen getroffenen Maßnahmen sind ... verfassungswidrig rechtsunwirksam" (Das Goldene Zeitalter, Berner Ausgabe, 1. Juni 1934, S. 7f.).

[33] [49] So meint ein "Sektenexperte" im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zu wissen: "Nicht nur die zur Macht drängende Nazipartei war ja nach damaliger offizieller Lehre der WTG 'vom Teufel', sondern alle Regierungen dieser Welt" (EZW Materialdienst, 5/97, S. 144). Diese Fehlinterpretation führt zu Mißverständnissen, was das Staatsverständnis der Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas damals wie heute betrifft, und bedarf der Modifikation. Bei Aussagen bezüglich des Einflusses des Teufels auf menschliche Regierungen aus älteren Bibelforscherschriften sollte man zwei quellenkritische Kriterien berücksichtigen: 1. Die Sprache, in der die Bücher Rutherfords verfaßt waren. (Schon der deutsche Brief an den Reichskanzler vom Juni 1933 klagt: "Unter Berufung auf die angeblich harte Sprache unserer Literatur erfolgten einige Verbote unserer Bücher." Und in der "Erklärung" hieß es: "Wir machen ergebenst [engl. respectfully] darauf aufmerksam, daß diese Bücher und Schriften im Original in Amerika geschrieben wurden, und daß die Sprache dem offenen und direkten amerikanischen Stil entspricht, so daß sie in der deutschen Übertragung hart erscheint. Wir geben zu, daß dieselben Wahrheiten nicht so derb gesagt und in eine mildere Form gekleidet werden könnten.") 2. Der Gesamtkontext und die Intention der Aussagen über eine biblische Lehre der Zeugen Jehovas . (So klagt die "Erklärung", daß "unsere Bücher und Schriften von den Führern nicht sorgfältig geprüft und daher auch nicht richtig verstanden werden". Der Begleitbrief vermutet, daß "– einerseits wohl wegen des Umfanges unserer Literatur und andererseits wegen starker Inanspruchnahme der betreffenden Sachbearbeiter – der Inhalt unserer Literatur und der Sinn unserer Bewegung grösstenteils falsch beurteilt wird, und zwar nach dem, was unsere religiösen Gegner – Vorurteil bewirkend – gegen uns vorbringen".) In Rutherfords Buch Regierung (1929) heißt es: "Die Königreiche und Regierungen dieser Welt haben grausam, hart und tyrannisch über das Volk geherrscht. So ist jede Regierung der Welt von Satan beherrscht gewesen, obgleich die Herrscher und das Volk dies weder verstanden noch glaubten" (S. 44); der Teufel (Luzifer) wird außerdem als "der unsichtbare Herrscher aller Nationen" (S. 241) und "der unsichtbare Herrscher der Völker" (S. 246) bezeichnet. Grundsätzlich kann die biblische Lehre von der prinzipiellen Herrschaft des Teufels über die Erde bzw. von seinem Einfluß auf die Welt, einschließlich aller menschlichen Einrichtungen und Regierungen, auch in evangelischen und katholischen Lehrbüchern nachgewiesen werden. Die evangelische Stuttgarter Jubiläumsbibel, 1934 kommentiert Offenbarung 12,4: "Der Satan ... wird gekennzeichnet ... als Fürst dieser Welt (Joh. 14,30), dem alle Macht der Erde (Kap. 13,1; 17,3.9–13) zur Erreichung seines Zwecks zur Verfügung steht." Wenn dem Teufel "alle Macht der Erde" zur Verfügung steht, dann könnte dies implizieren, daß alle Regierungen "vom Teufel" sind – doch das wollten weder die Protestanten noch die Bibelforscher zum Ausdruck bringen. Die biblische "Wahrheit", um die es hier geht, gründet sich – abgesehen von den im obigen Zitat erwähnten eindeutigen biblischen Aussagen – darauf, daß dem Teufel eine gewisse Schuld und Verantwortung für das Böse auf der Erde zufällt, wohingegen der allmächtige Gott (Jehova bzw. Jahwe), der als Schöpfer des Universums die universelle Oberhoheit oder Souveränität besitzt, keine Schuld für die befristete Zulassung des Bösen trifft (vgl. Regierung, 1928, S. 31, 34, 35). Das Buch Regierung betont: "Ohne Zweifel gibt es in diesen verschiedenen Regierungen der Erde eine Menge Leute, die aufrichtig wünschen, die Lage des Volkes verbessert zu sehen" (S. 49), "Wir räumen gern ein, daß in jeder Nation ehrliche Männer ihr Bestes getan haben, eine befriedigende Regierung zu errichten. Dennoch muß zugegeben werden, daß sie keinen Erfolg hatten" (S. 240; es geht um die endgültige Lösung von Armut, Verbrechen, Krankheit usw.) und "Die Gründer der amerikanischen Regierung erklärten, daß alle Menschen gleich geschaffen sind und vor dem Gesetze gleiche Rechte haben müssen. Sie haben trefflich gesprochen; aber ihre Worte sind nicht in die Tat umgesetzt worden. Das gewöhnliche Volk ist nicht als gleichberechtigt angesehen und behandelt worden. Es ist ausgeplündert und der Früchte ihrer Arbeit beraubt worden" (S. 289; vgl. S. 156, 205, 274, 327). Da frühere Erklärungen zu Mißverständnissen geführt haben, wird in neuerer Zeit stärker hervorgehoben, daß alle Regierungen als "Gottes Dienerinnen" nach Römer, Kapitel 13, Vers 4 zu betrachten sind.

[34] [50] Die Fehlinterpretation des Staatsverständnisses der Zeugen Jehovas fand bedauerlicherweise Eingang in die Fachliteratur. So kommt Koch zu dem falschen Schluß: "Die Zeugen Jehovas verweigerten aufgrund ihrer Bibelauslegung jeder weltlichen Autorität die Gefolgschaft" (Koch Ebd. 1993, S. 82). Möglicherweise fatal auch die von den Autorinnen Helga Grebing und Christl Wickert und von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung verbreitete falsche Interpretation des Staatsverständnisses der Zeugen Jehovas: "Die bewußte Ablehnung jeder weltlichen Ordnung machte sie zu Feinden der 'Volksgemeinschaft', zu 'Volksschädlingen'" (Helga Grebing und Christl Wickert, Frauen im Nationalsozialismus. Widerstandsarbeit von Frauen gegen den Nationalsozialismus, Dr. Konrad Schacht [Herausgeber], Wiesbaden 1994, S. 40). Ebenso verkehrt liegt Stefanie Reichelt mit ihrer Einschätzung der Zeugen Jehovas: "Ihr Glaube schrieb und schreibt ihnen vor, daß sie unter allen Umständen Gott als einzige und uneingeschränkte Autorität anerkennen müssen" (Stefanie Reichelt, "Für mich ist der Krieg aus!" Deserteure und Kriegsdienstverweigerer des Zweiten Weltkriegs in München. Landeshauptstadt München [Herausgeber], München, 1995, S. 51).

[35] [51] Der Standpunkt eines relativen Gehorsams gegenüber dem Staat, wie er dem biblischen Verständnis der Zeugen Jehovas entspricht, ist in der theologischen Literatur und Dogmatik keineswegs unbekannt. Die evangelische Stuttgarter Jubiläumsbibel von 1934 kommentiert Römer, Kapitel 13, Vers 4 und 7 wie folgt: "Darum heißt sie Gottes Dienerin. Und wenn die höchsten Obrigkeiten, Kaiser und Könige, sich 'von Gottes Gnaden' schreiben, so soll sie das daran erinnern, daß auch die obersten Regenten abhängig sind von dem einen Gott und Herrn, von seinem höchsten Ansehen und Gesetz; dann aber auch daran, daß sie ebendeshalb mit ihrem Amt sich nicht abhängig machen dürfen von Menschenansehen und Menschengesetzen, die wider die göttliche Ordnung und Majestät gehen. ... Christen gehorchen der Obrigkeit um des Gewissens willen und versagen ihr den Gehorsam nur, wenn sie etwas von ihnen verlangt, was wider Gottes Wort ist (Apg. 5,29)." Ähnlich drückt sich der Katholische Katechismus der Bistümer Deutschlands, Mainz, 1955, S. 225 aus: "Wenn die Obrigkeit etwas befiehlt, was Sünde ist, darf man ihr nicht gehorchen. Der heilige Petrus sagt: 'Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen' (Apg. 5,29)."

[36] [52] Das Goldene Zeitalter, Bern, vom 1. Februar 1937, Seite 7 weist also darauf hin, daß eine Staatsgewalt, die Gott lästert, verachtet oder seinen Gesetzen zuwiderhandelt oder teuflisch handelt, in Übereinstimmung mit der biblischen Vorgabe als "wildes Tier" und im direkten Dienst des Teufels stehend einzuordnen ist und nicht als "Gottes Dienerin", was hier allerdings sarkastisch gemeint ist. Wenn es um den Gehorsam eines Christen ging, wurden seit der Wachtturm-Ausgabe vom 1. und 15. Juli 1929 die in Römer 13 erwähnten "obrigkeitlichen Gewalten" offenbar ausschließlich auf Gott und seinen Sohn Jesus Christus angewandt. Es war diese Schriftauslegung, die erst mit der Wachtturm-Artikelserie vom 1. Januar bis 1. Februar 1963 geändert wurde, nicht aber die grundsätzliche Haltung der Zeugen Jehovas dem Staat gegenüber oder die Grundsätze oder Wahrheiten, auf denen sie beruhte: "Bevor diese Artikel veröffentlicht wurden, wußten wir und lehrten wir, daß Jehova der Höchste und Jesus Christus der Zweite an Macht und Gewalt ist. Wir wußten, daß wir gesetzestreue Bürger sein sollten, daß wir aber im Falle eines Widerspruchs zwischen dem Gesetz der Menschen und dem Gesetz Gottes Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen würden als Menschen. Die grundlegenden Wahrheiten sind heute dieselben wie damals, sie haben sich nicht geändert. ... Unser Standpunkt gegenüber Gott und gegenüber dem Staat ist derselbe wie vorher" (Der Wachtturm, 1. Februar 1967, S. 96). Dieser Hinweis ist korrekt, denn bereits 1912 hieß es in einer Erklärung zur Römer 13,1: "Jede Seele unterwerfe sich usw. – Hier sind solche Fälle ausgenommen, in denen die obrigkeitlichen Gewalten im Widerspruch zu den Gesetzen Gottes stehen" (Beröer Handbuch zum Bibelunterricht, Wachtturm-Gesellschaft, Barmen, 1912, S. 566). Bis heute nehmen Jehovas Zeugen einen ausgeglichenen Standpunkt gegenüber menschlichen Regierungen ein und sind gesetzestreu, wie folgender Wachtturm-Kommentar zeigt: "Unzutreffend wäre allerdings die Schlußfolgerung, alle Personen mit Regierungsgewalt seien Handlanger Satans. ... Die politischen 'obrigkeitlichen Gewalten' sind Gottes 'Dienerin', solange sie die ihnen von Gott zugebilligte Rolle spielen, was einschließt, 'Übeltäter zu strafen, aber die zu loben, welche Gutes tun' (1. Petrus 2:13, 14). Jehovas Diener zahlen Cäsar gewissenhaft das zurück, was er rechtmäßig in Form von Steuern fordert, und sie gehen in dem Bemühen, 'Regierungen und Gewalten als Herrschern ... gehorsam zu sein, bereit zu sein für jedes gute Werk', so weit, wie es ihr biblisch geschultes Gewissen zuläßt (Titus 3:1)" ("In der Welt, aber kein Teil von ihr", in :Der Wachtturm, Selters/Taunus, 1. November 1997, S. 16-18).

[37] [53] Die Erklärung muß sarkastisch mit Blick auf das ältere Verständnis der Bibelforscher gemeint sein. Der Wachtturm vom 15. Juni 1933 bemerkt: "Es gab eine Zeit, wo sogar die Geweihten glaubten, die 'obrigkeitlichen Gewalten' wären die irdischen Gewalten. Die darüber aufgeklärt worden sind, wissen jetzt, daß dies nicht so ist, daß vielmehr Jehova und sein großer Beamter, Christus Jesus, dem alles Gericht übertragen ist, die 'obrigkeitlichen Gewalten' sind; und daß alle Geweihten sich als Christus gehorsam erweisen müssen, bevor sie als erprobt angenommen und in das Königreich gebracht werden" (S. 183).

[38] [54] Nachdem die Verfolgung der Zeugen Jehovas nicht nachließ und Hitlers Maske der Täuschung und Propaganda offenbar wurde, haben viele Wachtturm-Publikationen die Schandtaten des Nationalsozialismus schonungslos angeprangert. Dazu zählt zum Beispiel der oben genannte Artikel aus dem Goldenen Zeitalter, Bern, vom 1. Februar 1937. Siehe auch "Der Holocaust – Wer erhob seine Stimme? 50. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager", Erwachet!, Selters/Taunus, 22. August 1995.

[39] [55] Punkt 7 des NSDAP-Programms forderte, den Staat zu verpflichten, "in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeiten der Staatsbürger zu sorgen". Punkt 10 erklärte: "Die Tätigkeit des Einzelnen darf nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen, sondern muß im Rahmen des Gesamten und zum Nutzen aller erfolgen." Punkt 12 bezeichnete "die persönliche Bereicherung durch den Krieg als Verbrechen am Volke". Punkt 14 forderte die "Gewinnbeteiligung an Großbetrieben", Punkt 15 "einen großzügigen Ausbau der Altersversorgung". Punkt 17 forderte die "Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation", Punkt 18 "den rücksichtslosen Kampf" gegen solche, "die durch ihre Tätigkeit das Gemeininteresse schädigen". Punkt 20 setzte sich für "einen gründlichen Ausbau unseres gesamten Volksbildungswesens" ein. "Wir fordern die Ausbildung besonders veranlagter Kinder armer Eltern ohne Rücksicht auf deren Stand oder Beruf auf Staatskosten." Punkt 21 nannte "den Schutz der Mutter und des Kindes" und "Verbot der Jugendarbeit". Punkt 23 forderte "den gesetzlichen Kampf gegen die b e w u ß t e Lüge und ihre Verbreitung durch die Presse" ("Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei", in: Meyers Kleines Lexikon, Neunte, gänzlich neu bearbeitete Auflage in drei Bänden, Leipzig, 1933, Bd. 2, S. 1604).

[40] [56] Das Zitat lautet vollständig: "Anstatt gegen die von der deutschen Regierung vertretenen Grundsätze eingestellt zu sein, treten wir vollkommen ein für diese Leitsätze und weisen darauf hin, daß Jehova Gott durch Christus Jesus die gänzliche Verwirklichung dieser Grundsätze bringen, dem Volke Frieden und Wohlstand zu schenken und die höchsten Wünsche aller aufrichtigen Herzen erfüllen wird."

[41] [57] Das Zitat geht wie folgt weiter: "Unsere Organisation gefährdet keineswegs die öffentliche Ordnung und Sicherheit des Staates, sondern sie ist die Bewegung, die für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit des Landes eintritt. Wir möchten allen vor Augen führen, daß die große Krise über die Welt gekommen ist, weil dies die Übergangszeit vom Schlechten zum Guten ist. Die Hoffnung der Welt ist Gottes Königreich unter der Herrschaft Christi, wofür Jesus seine Jünger lehrte, ständig zu beten: 'Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden.' Jehova Gottes Macht ist über alles erhaben, und es gibt keine Macht, die ihm erfolgreich widerstehen kann. Sein Zeitpunkt, seine Macht zum Nutzen der Menschheit und zur Rechtfertigung seines hohen Namens auszuüben, ist herbeigekommen."

[42] [58] In dem Wachtturm-Buch Befreiung (1926) hieß es: "Die Schrift sagt: 'Wehe der Erde und dem Meere! denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, daß er wenig Zeit hat.' (Offenbarung 12:12) Seit dem Weltkriege sind die Lasten und Beschwerden der Menschen in stetiger Zunahme begriffen. Einige der in dieser Schriftstelle vorhergesagten Wehen sind bereits über sie gekommen, aber noch mehr sind im Anzuge. Die Unkosten der Staatsregierungen werden immer größer. Ein Teil des von dem Volke kommenden Geldes muß dafür verwendet werden, um auf einen neuen großen Krieg vorzubereiten. Schlechte Menschen erhalten hohe, angesehene Stellungen, und die Stolzen scheinen glücklich zu sein, wenn sie es auch nicht sind. Während dies vor sich geht, führen die treuen Zeugen Gottes das Gebot aus, das ihnen von dem Herrn gegeben ist. Der Herr sagte: 'Dieses Evangelium des Reiches wird gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis, und dann wird das Ende kommen.' (Matthäus 24:14)" (S. 250).

[43] [59] Die Zeugen Jehovas verurteilten immer wieder die Ungerechtigkeit in der Welt, die Ausbeutung und die falsche Unterrichtung der Massen, ohne dabei ihren Standpunkt der "christlichen Neutralität" (Beobachtung der Weltereignisse unter biblischen Aspekten, doch ohne Partei- und Einflußnahme auf die Politik) zu verlassen. J.f. Rutherford bemerkte, nachdem er am 26. Juni 1932 über Mißstände in der Regierung der Vereinigten Staaten gesprochen hatte: "Ich nehme keine Parteistellung in der Politik ein. Ich will nur Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsachen lenken, um sogleich die Prophezeiung Jehovas anzuführen, die sich gerade auf die gegenwärtige Zeit bezieht und Ihnen die Ursache der Not der Gegenwart zeigt und auch das einzig mögliche Heilmittel" (Die Krise, Broschüre, 1933, S. 11). Jehovas Zeugen war aufgefallen, daß sich auch die deutsche Regierung deutlich "gegen die Bedrückung durch das Großgeschäft und gegen verkehrte religiöse Einflüsse in den politischen Angelegenheiten des Staates" ausgesprochen hatte. Und "genau das ist auch unsere Stellungnahme", hieß es in Berlin. Doch fügten Jehovas Zeugen gleich hinzu, daß sie andere Ursachen dafür nennen, "warum das bedrückende Großgeschäft besteht, und warum der verkehrte politisch-religiöse Einfluß vorhanden ist".

[44] [60] Im Begleitbrief lautet die entsprechende Passage wie folgt: "Auf der Konferenz wurde festgestellt, dass in dem Verhältnis der Bibelforscher Deutschlands zur nationalen Regierung des Deutschen Reiches keinerlei Gegensätze vorliegen, sondern dass im Gegenteil – bezüglich der rein religiösen, unpolitischen Ziele und Bestrebungen der Bibelforscher – zu sagen ist, dass diese in völliger Übereinstimmung mit den gleichlaufenden Zielen der nationalen Regierung des Deutschen Reiches sind."

[45] [61]Garbe 1997, S. 89 bezieht sich auf ein von mir verfaßtes, unvollendetes und unveröffentlichtes Rohmanuskript mit dem Titel Anbiederung oder Glaubenszeugnis? Die Petition der Zeugen Jehovas vom 25. Juni 1933 und der Kongreßbericht an den Reichskanzler. Eine Dokumentation, Selters/Taunus, Februar 1997, dem ich auch viele der hier verwendeten Anm.en entnommen habe.

[46] [62] Das programmatische Bekenntnis zum "positiven Christentum" zählte "zu den geschicktesten Schachzügen früher nationalsozialistischer Propaganda" und verschloß "vielen Christen die Augen vor dem wahren Wesen der NSDAP" (Klaus Goebel in einer Buchbesprechung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Januar 1989, S. 8). Das Lexikon für Theologie und Kirche (1962) stellt fest: "Das bereits im Art. 24 des Parteiprogramms benutzte Schlagwort v. 'positiven Christentum' vernebelte in den ersten Monaten 1933 die Grundanschauung führender Nationalsozialisten über Christentum u. Kirchen, die sie zwar für überholt hielten, aus taktischen Gründen jedoch duldeten, u. mit denen sie einen modus vivendi suchten" (LfTK, 1962, Bd. 7, S. 803). Der Ausdruck "positives Christentum" war nicht klar umrissen und für Interpretationen offen. Der Historiker Friedrich Zipfel bemerkt: "Der von den Nationalsozialisten geforderte 'Standpunkt eines positiven Christentums' war zwar unklar, aber in Verbindung mit dem Schlagwort 'Gemeinnutz vor Eigennutz' konnte er als ein von sittlichem und sozialem Verantwortungsbewußtsein getragenes Tatchristentum interpretiert werden" (Friedrich Zipfel, Kirchenkampf in Deutschland 1933-1945, Berlin, 1965, S. 1). Einer solchen Interpretation hätten Jehovas Zeugen damals sicherlich ohne weiteres zustimmen können. Sie verstanden unter einem "positiven Christentum" offenbar das Urchristentum oder das "wahre Christentum", das sich ihrer Meinung nach von dem "negativen" oder durch Traditionen und heidnische Philosophien verwässerten Christentum der Amtskirchen unterschied. Später empörten sich Jehovas Zeugen darüber, daß der Nationalsozialismus von einem "positiven Christentum" sprach, damit jedoch etwas ganz anderes meinte als sie und so einem unberechenbaren "Januskopf" glich: "Man behauptet im Reichstag, man stehe auf dem Boden des wahren Christentums, in Wirklichkeit aber macht man ein Verbrechen daraus, in der Bibel zu lesen oder biblische Literatur zu besitzen oder zu verbreiten", klagte das Goldene Zeitalter aus Bern (15. November 1938, S. 14). Die Zeitschrift zitiert Reichskirchenminister Kerrl aus Fulda mit folgenden Worten: "Staat und Bewegung denken im übrigen nicht daran, sich in den Streit der Kirchen und Bekenntnisse über Dogmen einzulassen. Sie vertreten vielmehr ein positives Christentum ..." Die Zeitschrift der Schweizer Zeugen Jehovas kommentierte das NS-Zitat des Reichskirchenministers wie folgt: "Bis hierher könnte man meinen, einen wirklich bibelgläubigen Christen vor sich zu haben, dessen Ausführungen zu billigen und zu unterstreichen sind. ... Auch hier wieder steht der 'Januskopf' mit seinen beiden Fratzen in aller Deutlichkeit vor uns. Wieder spricht man von 'positivem Christentum', das Berge versetzte, und meint in Wirklichkeit den n.-s. Staat, die n.-s. Partei und als Bibel die n.-s. Parteiprogramme. ... Sie ahmen es nur den katholischen und protestantischen Religionen nach, wenn sie sich heuchlerisch der Namen 'Gott', 'Jesus Christus' und 'positives Christentum' in selbstsüchtiger Absicht zur Erreichung ihres vorgestreckten Zieles bedienen: Totale und absolute Gleichschaltung des gesamten Volkes nach dem Parteiprogramm" (Das Goldene Zeitalter, 15. November 1938, S. 15). Die Stellungnahme der Watch Tower Society zeigt, daß Jehovas Zeugen im Sommer 1933 ein "positives Christentum" durchaus billigten und sich dazu sogar bekennen konnten, ohne damit zum Ausdruck zu bringen, daß sie den Nationalsozialismus oder das gesamte Parteiprogramm guthießen.

[47] [63] Das Parteiprogramm der NSDAP, darunter Punkt 24, war am 24. Februar 1920 von Hitler verkündet worden. Die Bezugnahme der Zeugen Jehovas auf Punkt 24 im Begleitbrief ist in der Fachliteratur mißinterpretiert und zur Agitation gegen Jehovas Zeugen mißbraucht worden. In der vom Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR geförderten "Dokumentation" von Manfred Gebhard heißt es: "Der Höhepunkt ist ohne Zweifel das Bekenntnis der 'Vertreterkonferenz der Bibelforscher Deutschlands, der Zeugen Jehovas', mit dem Naziparteiprogramm Punkt 24 und dem hierin erklärten Kampf gegen jüdischen Geist in völliger Übereinstimmung zu sein, sowie die Forderung an Hitler, diese Nazirichtlinien als Maßstab an die WTG und die Zeugen Jehovas anzulegen, um zu ersehen, daß keinerlei Gegensätze zum Hitlerstaat bestünden" (S. 164). Die Historikerin Elke Imberger kommentierte die Stelle, ohne sie aus dem Begleitbrief zu zitierten, wie folgt: "Dabei berief sich die Konferenz auf Punkt 24 des NSDAP-Programms, also den Punkt, in dem sich die NSDAP als Vertreterin eines 'positiven Christentums' ausgab und dem 'jüdisch-materialistischen Geist' den Kampf erklärte. Der Brief war also eine Loyalitätserklärung der IBV dem NS-Regime gegenüber und somit zugleich die Aufgabe der selbsterklärten politischen Neutralität der Sekte" (Elke Imberger, Widerstand von unten. Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933–1945, Neumünster, 1991, S. 258f.) Warum zitierten Jehovas Zeugen aus dem Parteiprogramm von 1920? Die sachliche Aufklärung des nationalsozialistischen Reichskanzlers (und seiner Vertreter) sollte nicht durch "religiöse Vorurteile", d. h. kirchliche Einflußnahme, beinträchtigt werden, und aus diesem Grund wurde Hitler an sein eigenes Parteiprogramm e r i n n e r t. (In der "Erklärung" wird mehrmals in einem bestimmten Zusammenhang das Wort "erinnern" verwendet.) Die Grundaussage dieses Teils des Parteiprogramms war – aus der Sicht der damaligen Zeugen Jehovas – konfessionelle Ungebundenheit und religiöse Toleranz, wovon man sich eine 'vorurteilslose' Anhörung ihres Falls versprach. Friedrich Zipfel bemerkt zum NSDAP-Parteipunkt 24: "Ganz offensichtlich ist das Widersprüchliche in dieser Forderung nicht, oder doch viel zu spät, von der Mehrheit der christlich gebundenen Deutschen jener Jahre erkannt worden. 'Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat', das konnte als Ausdruck religiöser Toleranz gewertet werden, wie sie zu den guten Traditionen der letzten beiden Jahrhunderte gehört hatten. Daß der Staat sich gegen religiöse Lehren wandte, die geeignet waren, seinen Bestand zu gefährden, war zweifellos das legitime Recht seiner irdischen Ordnungsmacht. Daß religiöse Bekenntnisse nicht gegen das 'Sittlichkeits- oder Moralgefühl' verstoßen sollten, war wiederum eine Binsenwahrheit" (Zipfel 1965, S. 1). Der Begleitbrief der Leitung des deutschen Zweiges der Watch Tower Society in Magdeburg geht über das hinaus, was in der "Erklärung" des Präsidenten der Bewegung zum Ausdruck gebracht wird. Die "Erklärung" nimmt auf Punkt 24 des Parteiprogramms nicht Bezug, dennoch werden auch dort (wie bereits oben erwähnt) die Nationalsozialisten zitiert: "Die Nationalsozialisten haben erklärt, daß sie gegen jede solche Ungerechtigkeit Stellung nehmen, und haben als Leitsatz kundgetan: 'Unser Verhältnis Gott gegenüber ist hoch und heilig.' Da unsere Organisation diese gerechten Grundsätze durchaus gutheißt ... ist Satan in listiger Weise bestrebt, die Regierung gegen unser Werk zu wenden und es zu zerstören, weil wir die Notwendigkeit, Gott zu erkennen und ihm zu dienen, hervorheben." Auch nach dem Juni 1933 haben Jehovas Zeugen in ihrer Literatur mehr als einmal Nationalsozialisten zitiert, ohne daß sie dadurch die geringste Gutheißung des Nationalsozialismus zum Ausdruck bringen wollten oder gebracht haben. Die Absicht hinter dem Gebrauch solcher Zitate lag darin, den Adressaten an die von ihm selbst proklamierten Grundsätze zu erinnern. Das geschah zum Beispiel im Goldenen Zeitalter vom 1. Juni 1934 (Bern), Seite 7: "Diese Veröffentlichung geschieht zur Verteidigung unserer Brüder in Christo, die unschuldig leiden. Ein ganzes Jahr lang haben wir nun gewartet und erdulden die ungerechtfertigten und grausamen Massnahmen der deutschen Regierung. Vergeblich haben wir auf eine Freigabe gewartet, weil ja der Vertrag zwischen Amerika und Deutschland verbürgt, dass unsere Tätigkeit ohne Behinderung ausgeführt werden kann, und weil nach den vielen öffentlichen Aussagen der gegenwärtigen Führer in Deutschland, die behaupten, von Gott gesandt zu sein, Glaubens- und Gewissensfreiheit im Dritten Reich gewährleistet sein sollten. Z. B. sagte Reichskanzler Adolf Hitler im April 1933: Gerade der völkisch Eingestellte hat die heilige Verpflichtung, jeder in seiner eigenen Religion, dafür zu sorgen, dass man nicht immer äusserlich von Gottes Willen redet, sondern auch tatsächlich Gottes Willen erfülle und Gottes Werk nicht schänden lasse. Denn Gottes Wille gab den Menschen einst ihre Gestalt, ihr Wesen und ihre Fähigkeiten. Wer sein Werk zerstört, sagt damit der Schöpfung des Herrn, dem göttlichen Willen, den Kampf an.' So werden er und seine Beamten durch ihre eigenen Worte gerichtet. Er sagte ebenfalls: 'Ein Mensch, der eine Sache weiss, eine gegebene Gefahr kennt, die Möglickeit einer Abhilfe mit seinen Augen sieht, hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, nicht im "Stillen" zu arbeiten, sondern vor aller Öffentlichkeit gegen das Übel auf- und für seine Heilung einzutreten. Tut er das nicht, dann ist er ein pflichtvergessener, elender Schwächlich, der entweder aus Feigheit versagt oder aus Faulheit und Unvermögen.' Reichsminister Rudolf Hess, Hitlers rechte Hand, sagte im Oktober 1933: 'Der Glaube ist eines jeden eigenste Angelegenheit, die er nur vor seinem Gewissen zu verantworten hat. Gewissenszwang darf nicht ausgeübt werden!' Ferner schreibt Reichskanzler Hitler in seinem Buch 'Mein Kampf': 'Das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott ist heilig und muss respektiert werden. Politische Macht und religiöse Angelegenheiten müssen auseinandergehalten werden.' In Anbetracht dieser Äusserungen, die wir als wahrheitsgetreue Erklärungen annahmen, wurden den deutschen Behörden viele Briefe und Gesuche unterbreitet betreffs der ungesetzlichen und bedrückenden Massnahmen gegen unsere Gesellschaft und gegen unsre Brüder in Deutschland; aber diese Gesuche wurden weder beantwortet noch überhaupt beachtet." Jehovas Zeugen in Deutschland zitierten im Juni 1933 aus demselben Grund aus dem NSDAP-Programm von 1920, wie ihre Gesellschaft in der Schweiz ein Jahr später Rudolf Hess und Adolf Hitler zitierten. Ein Unterschied lag darin, daß sie die Äußerungen der Nationalsozialisten im Sommer 1933 noch "als wahrheitsgetreue Erklärungen annahmen". Sie maßen den deutschen Reichskanzler an seinem eigenen Parteiprogramm. Warum sollte mit einer solchen Erinnerung "die Aufgabe der selbsterklärten politischen Neutralität" (Imberger und Garbe) der Zeugen Jehovas verbunden gewesen sein? Eine solche Schlußfolgerung trifft nicht den wahren Sachverhalt und könnte darauf zurückzuführen sein, daß Außenstehende die "christliche Neutralität" der Zeugen Jehovas nicht umfassend verstehen.

[48] [64] Selbst der Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen gibt zu: "Die WTG-Schriften haben doch zu keiner Zeit irgendeine Gemeinsamkeit mit dem NSDAP-Programm und dessen 'hohen Idealen' gekannt. Im Gegenteil: wie im Film selbst herausgestellt wird, hatte die WTG schon 1929 in ihrer Zeitschrift 'Das Goldene Zeitalter' (heute 'ERWACHET!') den Nationalsozialismus als eine Bewegung gekennzeichnet, 'die ["direkt" (fehlt)] im Dienste des Feindes der Menschheit, nämlich ["nämlich" ist hinzugefügt] des Teufels, tätig' sei" (5/97, S. 144).

[49] [65] Der Wachtturm, 15. Juni 1933, S. 178.

[50] [66] Garbe 1997, S. 107.

[51] [67] Ebd.

[52] [68] Ebd.

[53] [69] Garbe 1997, S. 105.

[54] [70] Die "Anpassung der Vereinigung an die nationalen Verhältnisse in Deutschland" (Garbe 1997, S. 87f.) durch die Schaffung einer Norddeutschen und der Süddeutschen Bibelforschervereinigung im April 1933 ist als ein Beleg für einen "Anpassungskurs" der Zugeständnisse und als kompromißbereite "Rettungsmaßnahme" bezeichnet worden. Dabei wird übersehen, daß Jehovas Zeugen als Religionsgesellschaft damals wie heute – und das in jedem Land der Erde – das Recht hatten, juristische Maßnahmen zu ergreifen und gesetzmäßige Änderungen innerhalb ihrer rechtlichen Körperschaften vorzunehmen, wenn sie das zur Verteidigung ihrer religiösen Rechte als notwendig erachteten. Wie es zur Freigabe ihrer durch die Polizei geschlossenen Gebäude in Magdeburg am 28./29. April 1933 kam, zeigt anschaulich, wie die Religionsgemeinschaft, vertreten durch die Watch Tower Society, verschiedene gesetzliche Mittel ausschöpfte, um das wertvolle Eigentum der Gemeinden und ihrer Magdeburger Zweigstelle zu schützen und zu ihrem Recht zu kommen. Die Gesellschaft weist noch 1934 ausdrücklich darauf hin, daß sie eine Religionsgesellschaft ist und den Schutz des Verfassungsartikels 137 genießt, der durch die nationalsozialistische "Revolution" nicht beseitigt wurde, wie das auch durch das Sondergericht für den Oberlandesbezirk Darmstadt am 16. März 1934 bestätigt wird (Das Goldene Zeitalter, 1. Juni 1934, S. 7, 8). Im Goldenen Zeitalter wird im Juni 1934 rückblickend bemerkt: "Jehovas Zeugen in Deutschland haben es an keiner Anstrengung fehlen lassen, um ihren Fall den dortigen Behörden vorzutragen, indem sie baten, dass alle Einschränkungen aufgehoben werden möchten und ihnen gestattet werde, ohne Störung mit ihrer Gottesverehrung und ihrem Dienst für den Schöpfer nach seinem Gebot fortzufahren, was auch durch die Verfassung des Deutschen Reiches gewährleistet wird. Alle ihre Bemühungen in dieser Beziehung haben jedoch nichts genützt." Die taktischen Maßnahmen der Rechtsabteilung der Watch Tower Society in Magdeburg zur Schaffung neuer Rechtskörperschaften müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden.

[55] [71] So wird in den Artikeln "Hinter den Kulissen der Zeugen Jehovas" (Hans Hauptmann, Heilbronner Tagblatt, Nr. 161, 14. Juli 1933, S. 6) und "Ernste Bibelforscher!" (Drehscheibe - Das Blatt der denkenden Menschen, 5. Jahrgang, Folge 7, 10. Februar 1935) Jehova als "Judengott" bezeichnet.

[56] [72] Auf jeder Impressumseite der Zeitschrift, auch in der letzten legal in Magdeburg gedruckten Ausgabe, hieß es: "Was die Heilige Schrift klar und deutlich lehrt. J e h o v a ist der allein wahre Gott ..., der Logos ist jetzt der Herr Jesus Christus in Herrlichkeit, bekleidet mit aller Macht im Himmel und auf Erden, und der höchste ausführende Beamte Jehovas. ... Jehovas Organisation wird Zion genannt, und Christus Jesus ist deren höchster Beamter und der rechtmäßige König der Welt; die gesalbten und treuen Nachfolger Christi Jesu sind Kinder Zions, Glieder der Organisation Jehovas, und sie sind seine Zeugen, deren Pflicht und Vorrecht es ist, für die Oberhoheit Jehovas Zeugnis abzulegen, sein in der Bibel ausgedrücktes Vorhaben mit der Menschheit zu verkündigen und allen, die hören wollen, die Früchte des Königreiches anzubieten. ... Die B e f r e i u n g und die Segnungen für die Völker der Erde können nur durch das unter Christi Herrschaft bereits begonnene Königreich Jehovas kommen; das nächste große Werk des Herrn ist die Vernichtung der Organisation Satans und die Einführung und Befestigung von Gerechtigkeit auf der Erde; und unter der Herrschaft des Königreiches werden alle, die seinen gerechten Gesetzen gehorchen, wiederhergestellt werden und auf immerdar auf Erden leben. ... Diese Zeitschrift hält sich genau an die Bibel als Autorität für ihre Darlegungen. Sie ist durchaus unabhängig und getrennt von allen Parteien, Sekten und anderen weltlichen Organisationen. Sie tritt mit ganzer Kraft und ohne Rückhalt für das Königreich Jehovas unter Christus, seinem geliebten König, ein. Sie ist nicht dogmatisch, sondern ladet ein zur sorgfältigen und kritischen Prüfung ihres Inhalts im Lichte der Heiligen Schrift. Sie läßt sich nicht auf Streitigkeiten ein, und ihre Spalten sind für keine persönlichen Dinge offen" (Der Wachtturm, 15. Juni 1933, Magdeburg, S. 178).

[57] [73] Garbe 1997, S. 106, Anm. 82.

[58] [74] Der evangelisch-lutherische Pfarrer Seifert-Reichenbach aus Sachsen überschrieb einen Artikel im August 1933 mit einer gewissen Scheinheiligkeit: "Wie kam man auf die Vermutung, daß die Lehre der Bibelforscher als judenfreundlich anzusehen ist?" (Heimatklänge–Wernesgrün, Nr. 8, August 1933, S. 5).

[59] [75] Völkischer Beobachter, Ausgabe Nr. 325, 21. November 1935, "Nachrichten aus Nürnberg", o. S.

[60] [76] Garbe (Sendboten 1994), S. 149, 150-152.

[61] [77] Das Goldene Zeitalter, 14. April 1930, S. 124.

[62] [78] Trost (früher Das Goldene Zeitalter), Bern, 15. November 1938, S. 12.

[63] [79] Trost, Bern, 1. Januar 1940, S. 10.

[64] [80] Leben, Buch der Wachtturm-Gesellschaft, 1929, S. 206.

[65] [80] In dem Artikel "Der Gipfel der Gemeinheit" schrieb zum Beispiel 1935 die Wilhelmshavener Zeitung, wobei sie aus dem Buch Leben (1929, S. 206) zitierte: "Weiter leistet sich das 'Leben' [das Buch der Wachtturm-Gesellschaft] folgende niedrige Blasphemie: 'Es ist ein Glück für die Juden, daß es dem Teufel im allgemeinen nicht gelungen ist, sie an die Lehre ewiger Qual bei Bewußtsein in einer Feuer- und Schwefelhölle glauben zu machen. ... Die Judenverfolgungen durch sogenannte Christen sind einer der schwärzesten Schandflecke der Weltgeschichte.'" (2. Beilage der Wilhelmshavener Zeitung, Nr. 165, 18. Juli 1935, Artikel "Der Führer – des Teufels besonderer Vertreter" / Der Gipfel der Gemeinheit / Vom "Wirken" der Bibelforscher, die sich "die Zeugen Jehovas" nennen.)

[66] [82] Deutsche Übersetzung aus: Odette Abadi, Terre de détresse. Birkenau – Bergen-Belsen. Paris 1995, S. 141; Éditions L'Harmattan (5-7, rue de l'École-Polytechnique, 75005 Paris); cote BN: 8-M-48532.

[67] [83] In dem Buch Regierung (1928, S. 247) hieß es: "In der Heiligen Schrift wird Gottes gesalbter König auch sinnbildlich der 'Stein' genannt. Alle Regierungs-Bauleute, einschließlich der Geistlichkeit sowohl der Juden als auch der sogenannten 'Christenheit', haben ihn verworfen. 'Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Von Jehova ist dies geschehen, wunderbar ist es in unsren Augen.' (Psalm 118:22, 23)"

[68] [84] In den Bibelbüchern der "großen Propheten" (Jesaja, Jeremia, Klagelieder und Hesekiel) und der "kleinen Propheten" (z. B. Hosea, Joel, Amos, Obadja, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja und Maleachi) werden äußerst kritische Bemerkungen über die Verhaltensweisen der Juden und ihrer Führer gemacht. Siehe auch Matthäus, Kapitel 23. [Siehe auch die ausführlichen

Abhandlungen der Verfassers "Die 'Erklärung' und die Juden" (siehe "Die Nationalsozialistische Verfolgung der Zeugen Jehovas in Frankfurt am Main", in: Kirchliche Zeitgeschichte [KZG] / Contemporary Church History [CCH], 16. Jahrgang, Heft 2 (2003), S. 368-462) und "Jehovas Zeugen und die Juden" (siehe "Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus - Rezeption, Rezension, Interpretation", in: Religion - Staat - Gesellschaft (RSG). Zeitschrift für Glaubensformen und Weltanschauungen. Journal for the Study of Beliefs and Worldviews, hg. von / by Gerhard Besier / Hubert Seiwert, Duncker & Humblot, vol. 4, 1/2003, S. 115-150).

[69] [85] Garbe 1997, S. 107, Anm. 89.

[70] [86] Ebd., S. 104.

[71] [87] Die Wachtturm-Literatur der damaligen Zeit war voll mit Bezugnahmen auf das Großgeschäft und die Einmischung der Religion in die Politik. J.f. Rutherford sah "das größte Unheil der Welt in einer – um mit seinen Worten zu sprechen – 'unheiligen Dreieinigkeit', als welche er bezeichnet die verbündeten Einflüsse von Kirchentum, Politik und Finanz," hieß es 1926 im Goldenen Zeitalter (15. Juli 1926, S. 215f.). In der Broschüre Die Krise (1932/33) schrieb er: "Die drei sichtbaren Elemente, die das Volk regieren, sind das kommerzielle, das politische und das religiöse Element, und von diesen dreien ist das kommerzielle das mächtigste. Unter den führenden Staatsmännern Amerikas waren einige gottesfürchtige Männer, die das Heraufkommen einer mächtigen selbstsüchtigen Macht vorhersahen und davor warnten, daß die Habgierigen eines Tages die Freiheiten des Volkes zunichte machen würden. Diese Warnung blieb aber unbeachtet, und das selbstsüchtige, kommerzielle Element, das sogenannte Großgeschäft, ist unbemerkt und beständig seinem Ziele näher gerückt" (S. 6).

[72] [89] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, 1877, Nachdruck 1984, Bd. 10 (H-Juzen), Sp. 382: "HANDELSJUDE, m. handel treibender jude, besonders hausierer: ein armer handelsjude und mäkler." Der engl. Originalbegriff "commercial Jews" bezieht sich allerdings auf das "Geldjudentum". Über eine Rede von Max Nordaus auf dem ersten Zionistenkongreß vom August 1897 in Basel - Nordaus war neben Herzl prominentester Vertreter des politischen Zionismus –, meldete die Berner Zeitung "Der Bund" am 1. September 1897: "Max Nordaus … hat in seiner Rede vom Sonntag einen schonungslosen Ausfall gegen das Geldjudentum unternommen, der in der Versammlung lauten Beifall erweckte." Über die "100 oder 150 überreichen Juden" sagte Nordaus laut "Bund": "Für das wahre Judentum haben sie nie etwas gethan, als etwa in einer Anwandlung von prahlerischem Grossmut einige Almosen hingeworfen. Und nun geht seit Jahrhunderten die Sage, die Juden besässen alle Macht und Herrschaft der Welt, seien die Verkörperung des Mammons, während doch der überwiegende Teil unseres Volkes mit der bittersten, tagtäglichen Not zu kämpfen hat" (Der Bund, Bern, "So schrieb der 'Bund' vor hundert Jahren", 1. September 1997, o.S.).

[73] [89] Das Wort "Handelsjude" ist weder in NS-Deutsch. "Selbstverständliche" Begriffe und Schlagwörter aus der Zeit des Nationalsozialismus (künftig: NS-Deutsch), Straelen/Niederrhein, 1988, zu finden, noch im DUDEN von 1934, 1937 oder 1942.

[74] [90] Während Detlef Garbes Feststellung (in 1997, S. 106, Anm. 82), man könne davon sprechen, daß sich die Zeugen Jehovas hier nicht als "Antisemiten" bekannten, meine volle Zustimmung findet, kann ich ihm (in 8/1997, S. 105) angesichts des oben Gesagten nicht folgen, wenn er der Meinung ist, daß der Satz, in dem die "Handelsjuden" erwähnt werden, zeige, "wie weit man der herrschenden Sprachregelung Rechnung zu tragen bereit war". Die Bemerkungen zum anglo-amerikanischen Weltreich finden sich bereits vor 1933 in den Büchern Rutherfords (vgl. Kap. 1 in dem Buch Regierung, 1928).

[75] [91] Der Ausspruch "Tut nichts! Der Jude wird verbrannt!" des Patriarchen von Jerusalem in Lessings dramatischem Gedicht "Nathan der Weise" (1779) wird nach Duden "heute nur selten und nur in Situationen verwendet, in denen er nicht als Ausdruck antisemitischer Ressentiments mißverstanden werden kann". Über das Zitat "Haust du meinen Juden, hau' ich deinen Juden", das im Sinn von "Wie du mir, so ich dir" gebraucht und im 19. Jahrhundert zur geflügelten Redensart wurde, sagt das Nachschlagewerk: "Die Verwendung des Zitats kann heute, nach der Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich, als anstößig empfunden werden" (Duden Zitate und Aussprüche, Duden Band 2, Mannheim u. a. A., 1993, S. 431, 200).

[76] [92] NS-Deutsch, S. 54, 117, 125.

[77] [93] Vgl. die Begriffe "Doppelverdiener" (a. a. O. S. 53; bis 1933/34 NS-Schimpfwort für Eheleute, die beide arbeiteten) und "asozial" (S. 26; "gemeinschaftsfremd"). Da das Wort "sozial", nicht aber "asozial" im Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache, A. Pinloche, Paris, 1930, zu finden ist, könnte man u. U. darauf schließen, daß "asozial" der NS-Terminologie zuzurechnen ist. Meyers Kleines Lexikon, 9. Aufl., Leipzig 1933 [1934] erklärt: "Asoziale (lat.), Menschen, die sich nicht in die Gesellschaft einfügen können: Trinker, Landstreicher, Dirnen, Arbeitsscheue, Verbrecher" (S. 112). Heute wird "asozial" wie folgt definiert: "nicht sozial, unfähig zum Leben in der menschl. Gesellschaft, die menschl. Gemeinschaft schädigend; Ggs. sozial" (Wahrig Fremdwörterlexikon, Dr. Renate Wahrig-Burfeind, Gütersloh, 1991, S. 79).

[78] [94] Von den nachfolgenden Punkten sind in der Kritik des Dipl.-Theol. Lutz Lemhöfer, Bistum Limburg, Referat Weltanschauungsfragen, wie er sie auf einer Veranstaltung am 29. September 1997 andeutete und wie sie auf der Tagung am 5. Oktober 1997 teilweise vorgetragen wurden, nicht viele übriggeblieben. Obwohl sich Lemhöfer ebenfalls darauf konzentriert, was "im Film nicht erwähnt" wird bzw. was der Film "verschweigt", beklagt er vor allem den Mangel an kritisch-analytischer Aufarbeitung bei der historischen Selbstdarstellung der Zeugen Jehovas, wobei er allerdings nicht mit Lob für die Videodokumentation spart. Auf der Frankfurter Veranstaltung am 29. September 1997 stellte Lemhöfer ausdrücklich heraus, daß auch bei den Großkirchen eine Selbststilisierung in Verbindung mit der Geschichtsaufarbeitung der NS-Zeit stattgefunden hat. Die Frankfurter Rundschau vom 9. Oktober 1997, Seite 16 (G) berichtet: "Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche hätten sich nach 1945 um eine positive Darstellung ihrer Rolle bemüht. 'Diese Form der Legendenbildung kenne ich gut', sagte Benad. 'Nach dem Krieg ist die bekennende Kirche immer größer geworden. Tatsächlich waren es einige wenige einzelne, die aus einer ureigenen und nicht kirchlich motivierten Ethik heraus Widerstand leisteten.' Erst seit den achtziger Jahren sei eine differenzierte Darstellung der protestantischen Geschichte im NS-Regime möglich, erklärte der evangelische Geschichtsprofessor. 'Auch die katholische Geschichtsschreibung hatte bis in die Siebziger hinein eine starke Hymnenart, die wenig mit den historischen Tatsachen übereinstimme', ergänzte Lemhöfer."

[79] [95] In einer nach diesem Referat veröffentlichten Stellungnahme der Wachtturm-Gesellschaft zum Berliner Kongreß vom 25. Juni 1933 heißt es mit Bezug auf die erwähnten "Handelsjuden": "Diese Aussage bezog sich eindeutig nicht generell auf das jüdische Volk, und es ist bedauerlich, daß sie mißverstanden worden ist und Anstoß erregt hat. Es wurde behauptet, Jehovas Zeugen hätten die von den deutschen Kirchen der damaligen Zeit allgemein vermittelte Judenfeindlichkeit geteilt. Das ist schlichtweg unwahr. Durch ihre Literatur und ihr Verhalten währen des NS-Regimes wiesen sie antisemitische Ansichten zurück und verurteilten sie die Mißhandlung der Juden durch die Nationalsozialisten. Ihre Menschenfreundlichkeit gegenüber ihren jüdischen Leidensgenossen in den Konzentrationslagern ist mit Sicherheit ein schlagkräftiges Argument gegen diese falsche Anschuldigung" (Erwachet!, 8. Juli 1998, "Jehovas Zeugen begegnen mutig der Bedrohung durch den Nationalsozialismus", S. 18).

[80] [96] Jörg von Uthmann, "Vom Lebemann zum Lebensretter. Premiere im Klima antsemitischer Mißgunst: 'Schindler's List', Steven Spielbergs neuer Film", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Dezember 1993, S. 33.


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