Ansprache anläßlich der Straßenschildübergabe „Franz-Saumer-Weg“ in MOERS
MITTWOCH, 28.4.1999, 11 Uhr:
Der Franz-Saumer-Weg in Moers
Die alten Straßennamen der Städte haben dieselbe Wichtigkeit wie die Flurnamen – sie sind Quellen der Geschichte und Naturkunde. Die Benennungen neuer Wege und Straßen bieten eine Chance: Die Namen von Menschen, die für die Gemeinde von Bedeutung sind, der Vergessenheit zu entreißen. Der „Franz-Saumer-Weg“ erinnert an einen Moerser Bürger, der aus einfachen Verhältnissen kam, aber in einer schwierigen Zeit seinem eigenen Gewissen folgte.
Franz Saumer wurde am 4. Februar 1944 in Halle/Saale hingerichtet. Das Urteil des Reichskriegsgerichts zitiert Franz Saumers eigene Worte: „Ich verweigere die Militärdienstpflicht aus dem Grunde, weil ich ein Zeuge für den Namen Jehova bin und [mich] verpflichtet habe, die göttlichen Gesetze zu respektieren und sich von der Welt neutral zu verhalten; es steht geschrieben: Du sollst nicht töten.“
Franz Saumer (geb. 1899) wohnte mit seinen Eltern in der Elbestraße 9 und arbeitete im Bergbau. Er gehörte den Zeugen Jehovas an, die vor 1931 „Bibelforscher“ hießen. Als Hitler zur Macht kam, weigerten sich die Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft (25 000 Angehörige in Deutschland), mit „Heil Hitler!“ zu grüßen oder etwas anzunehmen, was mit ihrem Glauben unvereinbar war. Sie gehörten zu den ersten religiösen Minderheiten, die 1933 verboten wurden. Tausende wurden in Konzentrationslager verbracht, wo sie mit einem „lila Winkel“ eine eigene Häftlingskategorie bildeten.
Nach einer Periode der Arbeitslosigkeit fand Franz Saumer 1936 Beschäftigung in der Landwirtschaft. Er wurde „als tüchtige Arbeitskraft“ geschätzt, wie ein Polizeibericht später vermerkte. Franz Saumer praktizierte seinen Glauben, wenngleich eingeschränkt, auch unter Verbot weiter. Aktenkundig wurde, daß er 1935 in Krefeld Bibeln der Wachtturm-Gesellschaft anbot und von der Polizei verhört wurde. Schwerwiegende Folgen hatte seine Teilnahme an Zusammenkünften der Zeugen Jehovas im Sommer 1940. Das Sondergericht Düsseldorf verurteilte ihn zu einer 6monatigen Gefängnisstrafe. Nach der Strafverbüßung im Februar 1941 kam er nicht frei, sondern wurde, wie bei Zeugen Jehovas damals meist praktiziert, weiter in Haft behalten.
Im Polizeigefängnis Krefeld gelang der Gestapo etwas, was unter anderem zu seiner endgültigen Entlassung führen sollte. Er unterschrieb die „Verpflichtungserklärung“, mit der er sich von der Bibelforscher-Vereinigung lossagte. Nur wenige Zeugen Jehovas unterschrieben eine solche Erklärung. Einige unterschrieben, weil sie dem physischen und psychischen Druck der Haft und der Folter nicht mehr ertragen konnten. Manche taten es auch nur formal oder um der verbrecherischen Bürokratie ein Schnippchen zu schlagen. Wir kennen nicht die Umstände, unter denen Franz Saumer seine Unterschrift gab.
Die Gestapo freute sich des vermeintlichen Erfolges, und das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin wies durch ein Telegramm an: „Im Hinblick auf den offenbar erreichten Zweck der Strafhaft wird hiermit die Entlassung des Saumer angeordnet. S. ist zuvor eindringlich zu warnen. … gez. Heydrich.“
Die Gestapo sah in seiner Entlassung, wie es heißt, „die Möglichkeit, Saumer noch zu einem brauchbaren Mitglied der Volksgemeinschaft zu erziehen und vor allem seine Arbeitskraft in der Landwirtschaft, die derartige Kräfte in der heutigen Zeit dringend benötigt, auszunutzen“. Ihrer Umerziehung bei Franz Saumer jedoch nicht sicher, wies die Gestapo die Polizeiverwaltung in Moers im September 1941 an, „über seine heutige Führung und Einstellung zu berichten“. Der Landrat in Moers konnte im Oktober 1941 melden, daß Franz Saumer bei einem Bauern in Hoerstgen, Gemeinde Kamp-Lintfort, in Stellung ist. Nur an Sonntagen und Feiertagen komme er nach Hause, um seine in Meerbeck wohnenden Eltern zu besuchen. „Hier ist über seine Einstellung zu den Bibelforschern Nachteiliges nicht mehr bekannt geworden,“ schreibt er.
Die „Erziehung“ des Franz Saumers durch Strafhaft war jedoch nur scheinbar erfolgreich gewesen. Man kann sich die Enttäuschung der Staatspolizeistelle Düsseldorf vorstellen, als im März 1944 folgende Meldung aus Krefeld eintraf: „Betrifft: Bibelforscher Landarbeiter Franz Saumer … Der Obengenannte wurde am 4.1.1944 durch das Reichskriegsgericht, 2. Senat, in Torgau wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 4.2.1944 vollstreckt.“
Franz Saumer war seinem Glauben und Gewissen treu geblieben. Als der 44jährige im September 1943 zum Wehrdienst einberufen wurde, meldete er sich zwar „befehlsgemäß bei der Truppe“ in Osnabrück, erklärte jedoch am folgenden Tag, daß „ er jeden Wehrdienst ablehne“. Auch nach mehreren Verhören blieb er bei seiner Totalverweigerung. Er brachte dabei zum Ausdruck, daß er „es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, Wehrdienst zu leisten“. Weiter heißt es im Urteil: „Auch in der Hauptverhandlung vor dem Reichskriegsgericht ist der Angeklagte auf diesem Standpunkt verharrt. Es zeigte sich auch hier allen Belehrungen gegenüber, ihn zu einer anderen Auffassung zu bekehren, völlig unzugänglich; er erklärte, dass er den Wehrdienst in jeder Form ablehne. In seinem Schlusswort führte der Angeklagte aus, dass er den Wunsch habe, aus dieser Volksgemeinschaft auszuscheiden; deshalb wolle er sich [sic!, vielleicht „sie“ zu lesen] auch nicht verteidigen.“
In einem totalitären Staat, der den Gleichklang des ganzen „Volkskörpers“ mit seinem „Führer“ forderte, war für einen wie Franz Saumer keinen Platz. Wie Franz Saumer gab es damals rund 300 Zeugen Jehovas, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigerten und dafür mit dem Leben bezahlten. Der „Franz-Saumer-Weg“ erinnert auch an sie und an viele weitere „vergessene Opfer“ der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Über sie sagte der Fachhistoriker Dr. Norbert Haase anläßlich der Straßenumbenennung zum Gedenken an die Zeugin Jehovas Emmy Zehden am 7. Mai 1992 in der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee: „An die in ihrem Handeln zum Ausdruck kommende Zivilcourage und Mitmenschlichkeit zu erinnern, erscheint mir in unseren Tagen dringende Pflicht.“ Diesem Schlußwort ist beizupflichten.
Wir danken allen Initiatoren und Mitunterzeichnern des Bürgerantrags auf Bennennung von Straßennamen nach Moerser Widerstandskämpfern, insbesondere Herrn Dr. Bernhard Schmidt, dem Gründungsmitglied des Vereins „Erinnern für die Zukunft …“, und dem Rat der Stadt, der den Antrag einstimmig angenommen hat.
Johannes Wrobel
Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas; Wachtturm-Gesellschaft, 65617 Selters/Taunus