Lila Winkel - die "vergessenen Opfer" des NS-Regimes. Die Geschichte eines bemerkenswerten Widerstandes. Begleitheft zur Ausstellung. Hg. von der Wachtturm-Gesellschaft, Selters / Taunus 1999, 2003, Juli 2024.
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* Purple Triangles–"Forgotten Victims"
of the Nazi Regime. A Story of Remarkable Resistance. Guide to the Historical Exhibition. Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania, Wallkill, New York, U.S.A., May 2023 Printing.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort - 3
Zitate - 5
Verbote - 6
Untergrundwerk - 7
Kinder - 8
Haft und KZ - 10
Hinrichtungen - 20
Todesmärsche - 25
Überlebende - 27
Chronik - 30
Auszug
CHRONIK
1933 Die
Reichstagsbrandverordnung zur "Abwehr kommunistischer
staatsgefährdender Gewaltakte" setzt viele Grundrechte
außer Kraft (28. Februar). Verbote der Zeugen Jehovas auf
Grund von Falschanklagen in den meisten Ländern des Reiches;
eine Petition an den Reichskanzler und die Behörden bleibt
erfolglos (April und Juni). Beschlagnahmung von Gemeindeeigentum,
Verbrennen von Wachtturm-Literatur und erste Einweisungen von
Zeugen Jehovas in Konzentrationslager (Juli).
1934 Jehovas Zeugen
vervielfältigen Wachtturm-Literatur im Untergrund, da die
Polizei ihre Post überwachen läßt, um die Einfuhr aus dem
Ausland zu unterbinden. Bis März sind etwa 4 000
Hausdurchsuchungen, 1 000 Verhaftungen (davon etwa 400
Einlieferungen in ein KZ) und 200 Fälle von Mißhandlungen
registriert worden. Viele Zeugen Jehovas, die Beamte sind, werden
entlassen (ab Juni). Am 7. Oktober geht eine Flut von
Protesttelegrammen an Hitler, der hysterisch schreit: "Diese
Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!"
1935 Allgemeines
Reichsverbot [sic!] der Zeugen Jehovas mit dem Ziel, sie aus dem
Staatsdienst zu entfernen (1. April). Die Sondergerichte
verurteilen zahllose Zeugen Jehovas zu empfindlichen Gefängnis-
und Geldstrafen, weil sie christliche Zusammenkünfte
durchführen und ihre Schriften verteilen. Ohne Rücksicht auf
die festgelegte Rechtsprechung befiehlt die Gestapo eigenmächtig
Richtlinien für die Schutzhaft von Zeugen Jehovas und ihre
Einweisung in ein KZ (17. Juni und 9. September).
1936 Der
Reichsinnenminister untersagt den Zeugen, "Bibeln oder
andere an sich einwandfreie religiöse Schriften" zu
verkaufen, was zu vermehrten Verhaftungen führt
(30. Januar). Die Behörden dürfen Zeugen Jehovas die
Arbeitslosenunterstützung und Rente vorenthalten (ab
2. Februar). Wegen Nichtbeteiligung an der
"Reichstagswahl" müssen viele Zeugen Jehovas
Mißhandlungen oder Schmähungen erdulden (29. März).
Gestapo und Kriminalpolizei bilden Sonderkommandos, und bei den
Sondergerichten werden Sonderdezernate eingerichtet, um gegen
Zeugen Jehovas zu ermitteln und sie abzuurteilen (Juni). Trotz
der Massenverhaftungen (28. August) gelingt es Jehovas
Zeugen im gesamten Reichsgebiet, die Luzerner Protestresolution
zu verteilen (12. Dezember).
1937 Polizei und Justiz
werden angewiesen, "mit den schärfsten Mitteln" gegen
Jehovas Zeugen vorzugehen; das Strafmaß wird erhöht, und nach
Verbüßung einer Gefängnishaft erfolgt oft die Einweisung in
ein KZ oder weitere Haft. Rund 4 000 Zeugen sind verhaftet
worden, und sie werden oft gruppenweise in
"Bibelforscherprozessen", über die die Presse offen
berichtet, abgeurteilt. Die Vormundschaftsgerichte strengen
erfolgreich Verfahren an, um Kinder von den Eltern zu isolieren.
Jehovas Zeugen führen eine zweite reichsweite Flugblattaktion
durch, um die Bevölkerung auf den Gestapo-Terror aufmerksam zu
machen (20. Juni).
1938 Ungefähr 5 bis
10 Prozent der KZ-Häftlinge in der Vorkriegszeit sind
Zeugen Jehovas. Sie werden in speziellen Baracken hinter
Stacheldraht "isoliert" gehalten (in einigen Lagern
bereits früher) und erhalten für neun Monate absolutes
Schreibverbot (März). In der Schweiz dokumentieren die Zeugen
die Verfolgung in dem Buch Kreuzzug gegen das Christentum
und erwähnen, daß "jetzt schon 6 000 . . . in
Gefängnissen und Konzentrationslagern schmachten" (Mai). In
einer Rede in New York, die von 60 Radiostationen ausgestrahlt
wird, verurteilt J. F. Rutherford, der Präsident der Watch
Tower Society, Hitler und die Judenverfolgung mit scharfen Worten
(8. Oktober).
1939 August Dickmann wird
durch Polizei-Justiz als erster Kriegsdienstverweigerer
öffentlich im KZ Sachsenhausen erschossen, was in den folgenden
Tagen über Rundfunk und in der Presse bekanntgegeben wird
(15. September). Seit Kriegsbeginn haben die Schikanen gegen
die inhaftierten Zeugen Jehovas zugenommen. Von den über 400
Zeugen im KZ Sachsenhausen sterben im strengen Winter etwa 100
auf Grund von Mißhandlungen, Hunger und Schwäche.
1940 Die Staatspolizei
ordnet an, am 12. Juni schlagartig im ganzen Reichsgebiet
alle Zeugen Jehovas zu verhaften und ihre Wohnungen zu
durchsuchen. Die Schweizer Behörden beschlagnahmen im Juli das
Buch Kreuzzug gegen das Christentum (bis September 1944).
Die deutsche Justiz hat schon 112 Kriegsdienstverweigerer, die
Zeugen Jehovas sind, mit dem Tod bestraft (August). (Bis zum Ende
des Krieges werden es rund 270 sein, darunter 50 Österreicher.)
1941 Ludwig Cyranek, der
1939 und 1940 heimlich Wachtturm-Literatur in Deutschland und
Österreich weiterleitete, wird zum Tod verurteilt (März) und in
Dresden hingerichtet (3. Juli); Julius Engelhard und andere
übernehmen seine Arbeit (1939 bis April 1943).
1942 Das
"Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des
Wachtturms" und andere Vervielfältigungen kursieren unter
gefangenen Zeugen Jehovas und im Untergrund. Zeugen Jehovas in
Untersuchungshaft dürfen weiter in brutaler Weise gequält
werden. Hitler bekräftigt, daß man die Bibelforscher
"ausrotten" müsse (August). Die extreme Situation der
in den KZ inhaftierten Zeugen Jehovas bessert sich jedoch, da
für die SS inzwischen die wirtschaftliche Ausbeutung der
Häftlinge im Vordergrund steht.
1943 Aus dem Untergrund
werden Jehovas Zeugen an vielen Orten in Deutschland und
Österreich mit Wachtturm-Literatur versorgt, und aus den KZ
gelangen heimlich Briefe nach draußen. Die SS muß erkennen,
daß Jehovas Zeugen trotz "Isolierung" in den KZ
standhaft bleiben und verteilt sie jetzt auf die
Häftlingsbaracken (September). In Ravensbrück werden
"Asoziale" auf den Bibelforscher-Block gelegt.
1944 Himmler ordnet die
überraschende Durchsuchung verschiedener KZ an, wobei man
größere Mengen Wachtturm-Literatur findet (April). Auch
außerhalb der Lager sprengt die Gestapo Untergrundnetze, wobei
254 Zeugen verhaftet werden. Julius Engelhard und Auguste Hetkamp
werden zum Tod verurteilt (Juni) und hingerichtet (August).
Dennoch wird an verschiedenen Orten weiterhin im Untergrund
gearbeitet und sogar im KZ Wewelsburg Wachtturm-Literatur
vervielfältigt. Das Reichskriegsgericht überträgt die
Verfahren gegen Kriegsdienstverweigerer wegen
"Überlastung" zahlreiche Fälle betreffen
Zeugen Jehovas untergeordneten Gerichten (August).
Todesurteile sind inzwischen reine Formsache.
1945 Befreiung des KZ
Auschwitz (27. Januar). Bei den Zwangsevakuierungen der KZ
und auf den "Todesmärschen" nach Süden und Westen
helfen sich die Häftlinge mit dem "lila Winkel"
(Zeugen Jehovas) gegenseitig, um nicht von der SS erschossen zu
werden. Befreiung der KZ Buchenwald (11. April),
Bergen-Belsen (15. April), Sachsenhausen (22. April),
Dachau (29. April) und Ravensbrück (30. April) sowie
der Zuchthäuser Brandenburg (27. April), Waldheim
(6. Mai) und anderer Haftanstalten. Alle 230 Zeugen Jehovas
überleben den "Todesmarsch" nach Schwerin
(3. Mai). Die überlebenden Zeugen aus dem KZ Stutthof
landen auf der dänischen Insel Mön (5. Mai). Kapitulation
das Deutsche Reich existiert nicht mehr (8. Mai)! Mit
7 000 Personen beginnen Jehovas Zeugen die deutsche
Nachkriegsgeschichte.
Excerpt from the English Edition
CHRONICLE
1933 Following the Reichstag fire, the emergency presidential decree for the “prevention of Communist violent acts against state security” suspends many fundamental civil rights (February 28). Jehovah’s Witnesses banned in most states of the Reich based on false accusations; a petition, addressed to the Reich Chancellor and to officials remains unsuccessful (April and June). Confiscations of congregation property, burning of Watch Tower literature, and the first imprisonments of Witnesses in concentration camps (July).
1934 Jehovah’s Witnesses duplicate Watch Tower publications underground, since the police check their mail in order to stop the importation from abroad. By March, some 4,000 house searches, 1,000 arrests and 200 cases of maltreatment are registered. Many Witnesses in civil service are fired (as of June). On October 7, a flood of protest telegrams reach Hitler, who shouts hysterically: “This brood will be exterminated in Germany!”
1935 General ban of Jehovah’s Witnesses in the Reich with the aim of removing them from civil service (April 1). Special courts sentence countless Witnesses to long prison sentences and heavy fines because they held Christian meetings and distributed their publications. Disregarding the given legislation, the Gestapo arbitrarily orders protective custody for Jehovah’s Witnesses and sends them to concentration camps (June 17 and September 9).
1936 The Minister of the Interior of the Reich prohibits the Witnesses’ selling of “Bibles or other religious publications, which usually are not offensive.” This leads to even more imprisonments (January 30). The authorities are allowed to withhold unemployment benefits and old-age pensions (as from February 2) from Jehovah’s Witnesses. Many Witnesses have to endure abuse or public humiliation because of not participating in the “Reichstag elections” (March 29). The Gestapo and the criminal police form special units, and the special courts set up special departments in order to investigate Jehovah’s Witnesses and to sentence them (June). Despite massive arrests (August 28), Jehovah’s Witnesses succeed in distributing the Lucerne protest resolution all over the Reich (December 12).
1937 Police and the courts are instructed to “use the harshest measures” against Jehovah’s Witnesses. The court sentences grow longer. After having completed their sentence in prison, the Witnesses are often sent to concentration camps or back to prison. About 4,000 Witnesses are arrested, and often groups of them are sentenced at Bible Students’ trials, about which the newspapers report openly. The family and probate courts successfully initiate lawsuits to isolate children from their parents. Jehovah’s Witnesses organize a second tract campaign all over the Reich in order to draw people’s attention to the Gestapo terror (June 20).
1938 About 5 to 10 percent of the concentration camp inmates in the pre-war time are Jehovah’s Witnesses. They are kept isolated in special barracks, surrounded by barbed wire, (in some camps even earlier), and for nine months they are not allowed to send or receive any mail (March). In Switzerland, the Witnesses document the persecution in Germany in the book Crusade Against Christianity and mention that “now already 6,000 . . . suffer in prisons and concentration camps” (May). In a speech held in New York and broadcast by 60 radio stations, J.F. Rutherford, then president of the Watch Tower Society, condemns Hitler and the persecution of the Jews with explicit statements (October 8).
1939 As the first conscientious objector of the war to be sentenced to death by police judiciary, August Dickmann is publicly shot at Sachsenhausen camp (September 15), and in the succeeding days, this is publicized in broadcasts and press releases. With the outbreak of the war, the abuses of imprisoned Witnesses have increased. During the severe winter, 100 of the 400 Witnesses in Sachsenhausen die from maltreatment, hunger, or exhaustion.
1940 State police order the arrest of all Witnesses in the Reich at a set time; on June 12, Witness homes are raided. In July, Swiss authorities confiscate the book Crusade Against Christianity (up to September 1944). The German judiciary has already sentenced to death 112 conscientious objectors who are Jehovah’s Witnesses (August). (By the end of the war, the number of Witnesses executed will reach about 270, among them 50 Austrians.)
1941 Ludwig Cyranek, who secretly forwarded Watch Tower literature in Germany and Austria during 1939 and 1940, is sentenced to death (March) and executed in Dresden (July 3). Julius Engelhard and others continue his work (1939 until April 1943).
1942 Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des W.T. an alle treuen Zeugen Jehovas in Deutschland (Newsletter of the German Distribution Center of the W.T. to All Faithful Jehovah’s Witnesses in Germany), as well as other items, circulate among Jehovah’s Witnesses inside and outside the camps. The brutal torture of Witnesses in pretrial detention is officially allowed to continue. Hitler insists that the Bible Students have to be exterminated (August). However, the extreme situation of the Witnesses in the camps eases somewhat because the SS come to value the labor force of the camp inmates.
1943 In many places in Germany and Austria, Jehovah’s Witnesses are supplied with Watch Tower literature from the underground, and letters are smuggled out of the concentration camps. The SS have to recognize that Jehovah’s Witnesses are standing firm despite their isolation in the camps, and they disperse the Witnesses to the other barracks (September). At Ravensbrück camp, Asoziale (inmates considered “antisocial”) are put into one barrack (block) with the Bibelforscher (Bible Students).
1944 Himmler orders surprise police raids within various concentration camps, and large quantities of Watch Tower literature are found (April). Outside the camps, the Gestapo also breaks up underground networks, and 254 Witnesses are arrested. Julius Engelhard and Auguste Hetkamp are sentenced to death (June) and executed in Brandenburg (August). Nevertheless, the underground work continues in different places, and Watch Tower literature is duplicated even in the Wewelsburg camp. The Military Court of the Reich, which is overloaded, delegates processes against conscientious objectors?—numerous cases involve Jehovah’s Witnesses—?to subordinate courts (August). Death sentences have by now become a pure formality.
1945 Liberation of Auschwitz (January 27). During the forced evacuations of the concentration camps and on the death marches south and west, the inmates with the purple triangle (Jehovah’s Witnesses) help one another in order to avoid being shot by the SS. Liberation of the camps Buchenwald (April 11), Bergen-Belsen (April 15), Sachsenhausen (April 22), Dachau (April 29), and Ravensbrück (April 30), as well as of the penitentiaries in Brandenburg (April 27) and Waldheim (May 6), and of other detention centers. All 230 Witnesses survive the death march to Schwerin (May 3). The surviving Witnesses from the Stutthof concentration camp go ashore on the Danish isle of Møn (May 5). Capitulation?—the German Reich ceases to exist (May 8)! Jehovah’s Witnesses begin their German postwar history with 7,000 members.