Eckhard Colmorgen: Die Tagung "Nationalsozialismus in Nordfriesland" am 30. Januar 1993 in Bredstedt, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 24. April 1993, S. 100-104.
Zitate
(entnommen http://www.akens.org/akens/texte/info/24/100.html)
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Entschädigt wurden die Zuhörer durch den zweiten Vortrag über die Herrschaftsjahre des Nationalsozialismus in Nordfriesland. Elke Imberger hielt einen kurzen aber präzisen Beitrag zur Verfolgung der "Zeugen Jehovas". Ziemlich still wurde es unter den Zuhörern, als Frau Imberger einen Abriß der Thesen dieser religiösen Minderheit vortrug. Schließlich werden auch heute noch die Anhänger dieser Sekte von vielen, gerade auf dem Lande, als fremdartig und bedrohlich angesehen.
Die Internationale Bibelforscher Vereinigung unterhielt seit den zwanziger Jahren ihre deutsche Zentrale in Magdeburg. Etwa 500 Mitglieder zählte die IBV im Jahre 1933 in Schleswig-Holstein; in Nordfriesland waren es etwa 60 Personen. Überwiegend stammten sie aus der sozialen Schicht der Handwerker und "kleinen Beamten" und gehörten den Jahrgängen 1880 bis 1890 an, also der Weltkriegsgeneration.
Die sehr hierarchische Organisation [S. 103] wurde am 24.06.1933 in Preußen aufgrund der "Reichstagsbrandverordnung" vom 28.02.1933 als staatsfeindliche Vereinigung verboten. Elke Imberger: Die IBV kollidierte mit dem totalitären Anspruch des Nationalsozialismus. Die "Zeugen Jehovas" beteiligten sich in keiner Partei und an keinen Wahlen. Politik war für sie tabu. Sie verweigerten den "Deutschen Gruß" und den Eid auf Hitler; und sie verweigerten den Wehrdienst aus religiösen Gründen. Gründe genug, um im nationalsozialistischen Staat verfolgt zu werden. Einige wurden aus dem Staatsdienst entlassen. Es fanden Hausdurchsuchungen statt. In Friedrichstadt wurde die Post überwacht und die religiösen Schriften vernichtet. Von den ersten Verurteilungen (meistens zu Geldstrafen) durch das Schleswig-Holsteinische Sondergericht in Altona ab 1935/36, berichtete Elke Imberger. Als sich die IBV danach neu organisierte, und auch in Nordfriesland Flugblatt-Aktionen durchführte, kam es zu Verhaftungen. Deren Folge war die Zerschlagung der Gruppen durch die Gestapo im Jahre 1937. Das Sondergericht Kiel sprach Gefängnisstrafen aus. Der Bezirksdiener der IBV aus Husum wurde in die Heil- und Pflegeanstalt Neustadt eingewiesen, und ein weiterer "Zeuge Jehovas" kam im Konzentrationslager um. Die religiöse Tätigkeit, in die Nähe einer "Geisteskrankheit" gerückt, war defensiver Widerstand, war Opposition gegen den Nationalsozialismus, so Elke Imberger.