Gerhard Besier / Renate-Marie Besier: Kritik der ZJ an den Zentrallehren der Kirchen der Christenheit und Gegenkritik, in: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft: Eine 'vormoderne' religiöse Gemeinschaft in der 'modernen' Gesellschaft? Gutachterliche Stellungnahme, in: Gerhard Besier / Erwin K. Scheuch (Hs.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid, Teil II, Zürich / Osnabrück 1999, S. 114-123
ZITATE
(Quellenangaben sind den
Anmerkungen im Original zu entnehmen)
[Seite 118]
"Eine dritte Front gegen die ZJ [Zeugen Jehovas] ist inzwischen Geschichte geworden. Die DDR sah in der WTG [Wachtturm-Gesellschaft, Watch Tower Society] eine vom Großkapital gekaufte und vom State Department der Vereinigten Staaten gelenkte Organisation. [S. 119] Die WTG habe - mit antisemitischen Tendenzen - um die Gunst der Nazis gebuhlt und erst seit der zweiten Jahreshälfte 1938 ihren Kurs geändert. In der früheren DDR und anderen Ostblockstaaten habe sie sich als Untergrundorganisation betätigt und 'antikommunistische Hetze' betrieben, um die 'entwickelte sozialistische Menschengemeinschaft' zu zerstören. Die ZJ [Zeugen Jehovas] waren in der DDR Gegenstand geheimdienstlicher Bearbeitung und hatten Entsprechendes zu erleiden. Über ihre Haltung im 'Dritten Reich' gibt es nicht nur jüngste Veröffentlichungen, welche die Zeugen Jehovas 'zu den vergessenen Opfern' zählen, sondern auch historisch-kritische Darstellungen aus früheren Jahren. Wie immer man diese Geschichte beurteilt zu einer pejorativen Beurteilung durch die Großkirchen oder ihnen nahestehenden Wissenschaftler besteht jedenfalls kein Anlaß. Der im Zusammenhang mit dem Berliner ZJ-Kongreß vom 25. Juni 1933 immer wieder erhobene Vorwurf der 'Anbiederung' an das NS-Regime kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Was hier, in der Petition und im Begleitschreiben an den Reichskanzler mehrfach zum Ausdruck kommt, ist der unpolitische Charakter der ZJ, ihre Bitte um ungestörte Religionsausübung und ihre Versicherung, 'die öffentliche Ordnung und Sicherheit des Staates' nicht gefährden oder gar bedrohen zu wollen. Schließlich steht immer wieder die mißverständliche Formulierung zur Debatte, wonach die 'hohen Ideale, die sich die nationale Regierung zum Ziel gesetzt hat und die sie propagiert', mit denen der ZJ übereinstimmten. Da gleichzeitig erklärt wurde, [Seite 120] Jehova Gott werde dafür sorgen, 'daß alle, die Gerechtigkeit lieben und dem Allerhöchsten gehorchen, zur bestimmten Zeit diese Ziele erreichen werden', erfuhren die nicht näher genannten Ideale und Ziele eine deutliche Eingrenzung. Wenn solche angepaßten Erklärungen und Tributleistungen einer religiösen Gemeinschaft schon als 'Anbiederung' gelten sollen, dann gibt es zur Charakterisierung von Erklärungen deutsch-christlicher (DC) Bischöfe und Theologen in diesem Kategoriensystem keine sprachlich angemessenen Bezeichnungen mehr. Vor allem wird man die Schwäche-Erscheinungen der ZJ am Anfang des Dritten Reiches in Relation zu dem entschiedenen Widerstand setzen müssen, den sie in den folgenden Jahren leisteten. In dieser Zeit riefen die DC-Kirchenleitungen ihrer Pfarrer und Pastoren dazu auf, für die Gestapo Spitzeldienste zu leisten, 'um den Zeugen Jehovas "das Handwerk zu legen"'. Zu Beginn des 'Dritten Reiches' stellte die Apologetische Centrale, eine Abteilung des Central-Ausschusses der Inneren Mission, dem Reichsinnen- und -propagandaministerium sowie der Gestapo Hintergrundmaterial über die 'Sekten' zur Verfügung. Bei gemeinsamen Besprechungen im Berliner Geheimen Staatspolizeiamt bzw. im Kultusministerium Ende Mai/Anfang Juni 1933 erklären Mitarbeiter der Apologetischen Centrale und des Evangelischen Oberkirchenrats, sie begrüßten ein Verbot der ZJ. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche auf dem Felde der 'Sektenbekämpfung' hatte Tradition." (Hervorhebung hinzugefügt.)
Zitat in der englischen Edition
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