KÖLN, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (EL-DE-Haus, Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln)
FREITAG, 13.11.1998, 14 Uhr. Thema: "Neue Forschungen zur NS-Zeit in Köln."
Johannes Wrobel
Zeugen Jehovas in Köln: Quellen zur Verfolgung im Nationalsozialismus
(Manuskript ohne Anmerkungen; korrigiert 12/1998)
Einleitung
Die christliche Religionsgemeinschaft "Jehovas Zeugen", bis 1931 "Bibelforscher" genannt, ist in Köln bereits vor dem ersten Weltkrieg nachgewiesen. Als die Internationale Bibelforscher-Vereinigung im Jahre 1930 in der Kölner Messe mit großem Erfolg ihr berühmtes "Schöpfungsdrama" (ursprüngl. "Photodrama der Schöpfung", Film- und Lichtbildervorträge mit Sprachplatten und musikalischer Begleitung) vorführte, waren rund 130 Personen mit ihrer Gemeinde in dieser Stadt verbunden. Im Nationalsozialismus war die Religionsgemeinschaft aufgrund ihrer Nichtanpassung an die "Volksgemeinschaft" einer rigorosen Verfolgung durch Behörden und Sicherheitspolizei ausgesetzt. Da Köln Sitz eines Sondergerichts war, wurden in dieser Stadt außer einheimischen Zeugen Jehovas auch zahlreiche auswärtige Angehörige der Glaubensgemeinschaft als "staatsfeindliche Elemente" zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Der deutschen Presse waren die Verurteilungen von Bibelforschern nicht selten eine Meldung wert. Über weitere Spuren, die die Verfolgung dieser religiösen Minderheit bis heute hinterlassen hat, soll dieses Referat Aufschluß geben und den gegenwärtigen Materialstand skizzieren.
Die Quellen zum Verfolgungsschicksal der Zeugen Jehovas in Köln lassen sich wie folgt gliedern:
1. Aktenbestände in öffentlichen Archiven.
2. Unterlagen im Geschichtsarchiv der Wachtturm-Gesellschaft, Selters/Taunus.
3. Spurensuche vor Ort durch die Befragung von Zeitzeugen oder Angehörige.
Aktenbestände in öffentlichen Archiven
Soweit bekannt, liegen im Historischen Archiv der Stadt Köln keine Akten zu Bibelforscherprozessen vor.
Da der Bestand des Sondergerichts Köln allesamt im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf liegt, waren die Nachforschungen von den ehrenamtlichen Mitarbeitern des regionalen Informationsdienstes der Zeugen Jehovas hier erfolgreich. Von den rund 2.000 Verfahren des Sondergerichts Köln richteten sich 264 Verfahren gegen Zeugen Jehovas aus dem Großraum Köln und anderen Orten Deutschlands (insgesamt sind 233 Zeugen Jehovas betroffen).
Diese Sondergerichtsakten von Bibelforschern warten noch auf eine umfassende Auswertung. Aufgrund der Eintragungen in den Findbüchern (siehe Anlage) läßt sich bereits folgendes feststellen: Von den 35 verurteilten Zeugen Jehovas aus der Stadt Köln sind nur 10 Frauen. Unter den männlichen Zeugen Jehovas sind ein Arzt, ein Postbeamter im Ruhestand, außerdem Schlosser, Maurer, Vertreter, Arbeiter, Kaufleute und auffallend viele Schuhmacher zu finden. Acht Männer sind als arbeitslos gemeldet, und die Vermutung liegt nahe, daß sie ihren Arbeitsplatz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas verloren haben. (Zum Beispiel wird bei Richard Blume 1935 als Beruf "Kaufmann" angeführt, dagegen 1937 "arbeitslos".)
Im EL-DE-Haus Köln sind in der Ausstellung (Zelle 6) zwei Zeugen Jehovas durch Dokumente und erklärende Texte vertreten. Dazu gehört Anton P., geb. 19.8.1905 zu Hessel, der in das KZ Buchenwald überführt werden soll (Gestapo Köln, 17. Oktober 1938). Ein Verhörprotokoll vom April 1943 enthält Informationen über das Ehepaar St. aus Oberhausen, die 1943 festgenommen wurden. Friedrich St., geb. 1898, war in den 30er Jahren in Köln als Zeuge Jehovas tätig gewesen und auf Grund dessen 1939 zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Außerdem zeigt das EL-DE-Haus einen Zeitungsausschnitt aus dem "Westdeutschen Beobachter" vom 13. September 1939, der meldet, daß die Zeugen Jehovas "immer wieder zu ihren 'Gebetsübungen' zusammen[kommen]". Es geht um ein Ehepaar und eine Frau, die sich in der Wohnung getroffen hatten. Der Ehemann erhält 6 Monate Gefängnis, beide Frauen erhalten jeweils 150 Mark Geldstrafe. Als die Frauen statt der Geldstrafe die Ersatzstrafe von 1 Monat Gefängnis absitzen wollen, bemerkt die Zeitung sarkastisch: "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich."
Unterlagen im Geschichtsarchiv der Wachtturm-Gesellschaft, Selters/Taunus.
Vor über zwei Jahren ist das Geschichtsarchiv der Wachtturm-Gesellschaft aus der Taufe gehoben worden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Erforschung der Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem NS- und dem SED-Regime. Der Materialstand zur Situation in Köln war bislang wie folgt:
Bevor das Archiv die Aufzeichnungen aus den Findbüchern des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf erhielt, kannten wir nur die Namen von rund 90 verfolgten Zeugen Jehovas, die während der NS-Zeit in Köln entweder geboren oder wohnhaft waren (16 Namen), oder von Zeugen, die hier abgeurteilt oder inhaftiert waren. Darunter sind zwei Sorgerechtsfälle: Einem Elternpaar, das damals in Köln wohnte, wurde der Sohn entzogen, und Astrid S., ein Mädchen aus der Nähe von Aachen, wurde ihren Eltern weggenommen und in Köln bei einem Landwirt untergebracht. Die meisten Namen und Angaben, die unser Geschichtsarchiv bis dahin hatte, entstammen den sogenannten "Verfolgungszetteln", die 1945 von der Wachtturm-Gesellschaft an die Ortsgemeinden der Zeugen Jehovas in Deutschland versandt worden waren, um eine Verfolgungsstatistik zu erstellen. Rund 4.000 Überlebende oder Familienmitglieder von Opfern sandten damals die Fragebögen ausgefüllt zurück. Die Zettel enthalten in der Regel nur Rumpfbiographien und sehr kurz gehaltene Auskünfte der Betroffenen. Sie können daher nur als Ausgangspunkt für weitere Recherchen dienen. Als Beispiel dafür, was die Angaben auf einem "Verfolgungszettel" für eine Kurzbiographie hergeben können, diene der Zeuge Jehovas Otto Kabot, der (mit acht weiteren Zeugen und zwei Zeuginnen Jehovas) im Gefängnis Köln-Klingelpütz inhaftiert war:
Otto Kabot (geb. 28. Juli 1916) aus Köln-Mülheim verbrachte insgesamt 11 Monate und vier Tage in Haft. Er war 18 Jahre alt, als er das erstemal verhaftet wurde. Das war 1934. Das Amtsgericht Köln-Mülheim verurteilte ihn, 'weil er kein Gewerbeschein für die Verbreitung der Bibel' besaß. Die zweite Verhaftung erfolgte 1935, und das Sondergericht Köln begründete dies, wie er selbst angibt, wie folgt: "Verbreitung des Königreiches Gottes". Sechs Monate, von Mai bis Oktober 1935, muß er im berüchtigten Konzentrationslager Esterwegen leiden. Die dritte Verhaftung und Verurteilung erfolgte 1938, diesmal aufgrund des 'Verdachts illegale Schriften zu verbreiten'. In diesem Jahr, oder nach seiner ersten Verurteilung, sitzt er im Gefängnis Köln-Klingelpütz ein. Seine knappen Angaben, die er am 1. November 1945 machte, erlauben keine genaue Zuordnung. Auf die Frage "Erduldete Mißhandlungen?" trug er ein: "Folterung und Sterilisation". Auf die Frage "Auf Mißhandlung zurückgebliebene dauernde Körperschäden?" schrieb er: "Störungen im ganzen Organismus und zeitweise nicht arbeitsfähig." Der Gequälte tippte mit Schreibmaschine auf den unteren Rand des Formulars unter "Bemerkungen" ungelenk und in einfachem Deutsch: "Trotz meiner erduldeten Leiden freute ich mich in der ganzen Zeit, [daß] Jehova und seine Theokratie [den] Sieg davon getragen hat."
Nachdem wir nun die Namen aus den Findbüchern des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf in unsere zentrale Kartei eingaben, hatten wir auf einmal 244 Namen, ein Zuwachs von 270 Prozent. Wie erwähnt, sind das Namen von Personen, die entweder in Köln wohnhaft waren oder die in Köln abgeurteilt oder inhaftiert wurden. Insgesamt waren in Köln 236 Zeugen Jehovas in Haft (von 4 Personen ist uns das genaue Schicksale unbekannt, und 4 weitere Zeugen waren nicht in Köln, sondern an anderen Orten inhaftiert). Von auswärts, also Zeugen Jehovas ohne Kölner Wohnsitz, waren 203 Zeugen Jehovas in Haft.
Soweit uns bekannt ist, waren insgesamt 41 Zeugen Jehovas aus dem Großraum Köln durch die NS-Behörden verfolgt und an verschiedenen Orten in Deutschland inhaftiert. Von dieser Gruppe waren 33 Personen in ihrer Heimatstadt Köln eingesperrt (4 außerhalb Kölns; von 4 Personen ist der Haftort unbekannt).
Um die Verfolgungsschicksale dieser Menschen der Vergessenheit zu entreißen und transparenter zu machen, sind mehr Nachforschungsarbeiten notwendig. Wenngleich die Auswertung von Aufzeichnungen der NS-Justiz und der beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß als verbrecherisch eingestuften Gestapo und SD quellenkritisch sehr sorgfältig vorgenommen werden muß, sind sicherlich detaillierte Beschreibungen des aktiven, religiösen und widerständigen Tuns der angeklagten Menschen zu erwarten, die ihre Zivilcourage bezeugen.
Zeitgenössische Zeitungsartikel haben uns ebenfalls Hinweise auf Verfolgte gegeben. Mindestens neun Zeitungsartikel (Originale oder Abschriften) aus den Jahren 1934 bis 1937, 1938 und 1939 sind in unserem Besitz, die sich auf die Verurteilung von Zeugen Jehovas durch das Sondergericht Köln beziehen. (Eine Anzahl Zeitungsausschnitte enthalten keine Namen.) Die "Kölnische Zeitung, Stadtanzeiger" (Nr. 462) meldete am 12. September 1935 unter der Überschrift "Das Gedächtnismahl zu dritt", daß ein 38jährigen Bibelforscher, seine Frau und deren Freundin jeweil sechs Wochen Gefängnis erhielten, weil sie am 17. April des Jahres zusammengekommen waren, um Brot und Wein, also das Abendmahl des Herrn, zu nehmen und aus der Bibel vorlasen. Und das "St. Galler Tagblatt" (Schweiz) berichtet am 20. Juli 1937, daß sich "22 männliche und weibliche Mitglieder der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung" vor dem in Aachen tagenden Kölner Sondergericht verantworten mußten und daß einige Angeklagten mehrjährige und andere mehrmonatige Gefängnisstrafen erhielten.
Spurensuche vor Ort durch Befragung
Es leben heute zwei Zeitzeugen, die in der NS-Zeit als Zeugen Jehovas Betroffene waren, in der Stadt, allerdings wurden sie damals nicht in Köln Opfer des Nationalsozialismus.
Die Spurensuche vor Ort durch eine Mitarbeiterin des Informationsdienstes der Zeugen Jehovas, zum Beispiel durch Gespräche mit Verwandten und Nachkommen von verfolgten Zeugen Jehovas sowie mit noch lebenden Zeitgenossen aus den alten Ortsgemeinden, hat sich als schwierig und mühsam herausgestellt. Viele Verfolgte wollten nach 1945 nicht mehr an ihre leidvolle Vergangenheit erinnert werden, sie konzentrierten sich auf den Wiederaufbau, und ihre Gespräche drehten sich nur selten um das Erlebte. Dennoch konnten die befragten Personen aus der Erinnerung heraus so manchen Mosaikstein beitragen, die die Verfolgungsschicksale einiger Zeugen Jehovas etwas aufgehellt haben.
Schluß
Die Materialsituation zur Verfolgung der Zeugen Jehovas in Köln ist im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland zwar nicht überaus vielseitig, dennoch sind lohnende Informationen vorhanden, die darauf warten, publiziert und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Dies lohnt sich um so mehr, da das Verhalten der Zeugen Jehovas, wie es ein Fachhistoriker ausdrückte, ein "Lichtblick in dunkler Zeit" war.
24/12/98
ANLAGE
Die
im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv
Düsseldorf liegenden Bibelforscher-Akten
(Sondergericht Köln)
Stand 08.02.1998, zusammengestellt von Lutz und Margrit Rohde (Regionaler Informationsdienst der Zeugen Jehovas).
Die Findbücher, aus denen die nachfolgenden Angaben stammen, liegen im Zweigarchiv Schloß Kalkum.
Verfahrensakten mit Todesurteilen liegen im Bestand NW 174/Dienststelle Mauerstraße, Abteilung 3 (Hinweis in Findbuch 223.26.1).
Kopiererlaubnis wird nach Beantragung (Formulare) erteilt.
Findbuch 223.26.1, Nr. 1-2448, S. 1-249:
[Namen auf Anfrage]
Findbuch 223.26.2, Nr. 2449-4902, S. 250-499:
keine Namen von Bibelforschern.
Findbuch 223.26.3, Nr. 4903-7377, S. 500-749,
Rep. 112: [Namen auf Anfrage]
Findbuch 223.26.4, Nr. 7378-9823, S. 750-999,
Rep. 112 [Namen auf Anfrage]
Findbuch 223.26.5, Nr. 9824-12297, S. 1000-1249
, Rep. 112 [Namen auf Anfrage]
Findbuch 223.26.6, Nr. 12298-14736, S.
1250-1501, Rep. 112 [Namen auf Anfrage]
Findbuch 223.26.7, Nr. 14737-16964, S.
1502-1749, Rep. 112 [Namen auf Anfrage]
Findbuch 223.26.8, Nr. 16965-19056, S. 1750-2006, Rep. 112 [Namen auf Anfrage]
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