Einführung
zur Kurzfassung (20 Min.) der Videodokumentation
Standhaft trotz Verfolgung -- Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime
anläßlich der Pressekonferenz im Kurhaus Wiesbaden, 27. Januar 1997

Die "Weltpremiere" und Uraufführung des Videofilms fand am 6. November 1996 an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück statt, wurde durch die Anwesenheit von Fachleuten und Zeitzeugen sowie Vertretern von Ministerien des Landes Brandenburg beehrt und fand auch beachtliches öffentliches Interesse.

Der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg schrieb vor der Premiere: "Ich bin sicher, daß der Film wichtige Tatsachen herausarbeitet, die auch von der historisch-politischen Bildung zur Kenntnis genommen werden sollten."

Und so ist es. Die Bedeutung der Thematik wird an einer statistischen Größe deutlich: Ungefähr fünf bis zehn Prozent aller KZ-Häftlinge in der Vorkriegszeit waren Zeugen Jehovas oder Bibelforscher, wie sie auch genannt wurden. Heute scheint die KZ- Häftlingsgruppe mit dem lila Winkel nur unter Fachleuten bekannt zu sein, aber ansonsten zu den "vergessenen Opfern" des NS-Regimes zu gehören!

Unsere Videodokumentation schließt somit eine Wissenslücke, ein Informationsdefizit zur Zeitgeschichte in diesem Land!

Nach der Premiere bemerkte der Geschäftsführer des Bundesverbands Information & Beratung für NS-Verfolgte (Köln): "Auch für mich, der sich seit über 10 Jahren mit Fragen nationalsozialistischer Verfolgung beschäftigt, stellte das Verfolgungsschicksal der Zeugen Jehovas ein recht unbekanntes Kapitel dar. Diese Wissenslücke schließen Ihr Film und Ihre Veranstaltung am vergangenen Mittwoch sehr eindrucksvoll."

Und der Ministerpräsidient des Landes Brandenburg schrieb: "Ihre Filmveranstaltung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Öffentlichkeit über die Rolle Ihrer Religionsgemeinschaft unter dem NS-Regime zu informieren."

Zu Recht überschreibt die Berliner Zeitung Der Tagesspiegel einen Artikel über die Weltpremiere dieser Videodokumentation mit den Worten: "Ein neues Kapitel über ’vergessene Opfer des NS-Regimes’."

Schon einmal -- 1938 -- veröffentlichte die Wachtturm- Gesellschaft (und zwar von der Schweiz aus), umfangreiche Augenzeugenberichte über die grausame Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland. Dies geschah durch das Buch Kreuzzug gegen das Christentum.

Der Theologe Bruppacher rezensiert dieses Buch in der sozialistische Wochenzeitung Der Aufbau, die am 19. August 1938 in Zürich erschien, und er bemerkt: "Ehre, wem Ehre gebührt! Der künftige Kirchenhistoriker wird einmal anerkennen müssen, daß nicht die großen Kirchen, sondern einige von den verschrienen, belächelten Sektenleuten es gewesen sind, welche als erste das Rasen des Nazidämons aufgefangen und den glaubensmäßigen Widerstand gewagt haben. Sie leiden und bluten, weil sie als Zeugen Jehovas und Anwärter des Königreiches Christi die Hitlerverehrung, das Hakenkreuz, den deutschen Gruß und den erzwungenen Gang zur Urne ablehnen".

Und Bruppacher schließt mit den Worten: "Wer diese Schriftstücke", -- er meint die zahllosen Augenzeugenberichte der Verfolgung, Folter und Ermordung von Zeugen Jehovas aus dem 30er Jahren, die in dem Buch Kreuzzug gegen das Christentum, veröffentlicht worden waren -- "wer diese Schriftstücke ehrlich auf sich wirken läßt, der wird nun die verfemten Ernsten Bibelforscher in einem etwas neuen Licht sehen. Er wird den Stab nicht mehr schnell und selbstbewußt über ihnen brechen und wird der eigenen Kirche ein Glütlein von ihrer Überwindereinfalt wünschen."

Wir glauben, daß viele Anwesende auch nach der Vorführung unserer Videodokumentation Jehovas Zeugen "in einem etwas neuen Licht sehen" werden!

Aus Zeitgründen können wir Ihnen jetzt nur Ausschnitte aus der Videodokumentation zeigen. Es werden drei vollständig in sich geschlossene Teile sein. Die Videodokumentation besteht aus insgesamt acht Teilen. (Siehe Pressemappe.)

Lassen Sie mich bitte kurz skizzieren, was Sie erwartet und welche Teile Sie versäumen und damit die herzliche Einladung an Sie verknüpfen, doch heute Abend bei der ungekürzten Vorführung anwesend zu sein!

Wir zeigen Ihnen die Einführung, die von einem britischen Mitglied der Watch Tower Society gesprochen wird. (Überhaupt ist dieses Video ein europäisches, kein amerikanisches Video.)

Herr Barr bemerkt gleich zu Beginn, daß Tausende Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime verfolgt wurden. Das ist natürlich nur eine kleine Zahl im Vergleich zu Millionen, die Opfer wurden. Jehovas Zeugen möchten sich nicht ungebührlich hervorheben, doch ist es an der Zeit, ihre Geschichte zu erzählen. Herr Barr sagt: "It is a story that must be told." Und wir haben es in Deutsch nicht besser übersetzen können als, "Ihre Geschichte darf nicht verschwiegen werden."

Und ihre Geschichte weist große Besonderheiten auf: Sie wurden von den Nationalsozialisten von Anfang an als ein Hauptfeind betrachtet, den es auszurotten galt. Und Jehovas Zeugen wurden von 1933 bis 1945 niemals zum Schweigen gebracht: Sie traten mutig für ihren Glauben ein und erhoben ihre Stimme gegen die Schandtaten des Nationalsozialismus!

Nach der Einführung sehen Sie eine Zusammenfassung eines internationalen Seminars zu dieser Thematik, das am 29. September 1994 in Washington (D.C.) am United States Holocaust Memorial Museum stattfand. Dieses Seminar gab den Anstoß auch für diese Videodokumentation, denn es zeigte sich, daß bei Historikern, Pädagogen usw. ein Informationsbedarf zu diesem Thema bestand.

Wir überspringen TEIL 2, "Deutschland vor 1933". Dieser Teil zeigt, daß Jehovas Zeugen 1933 keine kleine, unbedeutende Sekte waren. Nein, sie waren eine Religionsgemeinschaft, die allgemein bekannt war, und sie verbreiteten Millionen ihrer Schriften, die in ihrer modernen Druckerei in Magdeburg hergestellt wurden. Die Ideologen der Nationalsozialisten erklärten diese Christen zu Feinden, zu Staatsfeinden, was nach der "Machtergreifung" die Verfolgung der Zeugen Jehovas durch den Unrechtsstaat bewirkte.

Wir überspringen auch TEIL 4, "Das NS-Regime greift an -- Klare Fronten". Hier wird gezeigt, wie die Verfolgung schrittweise zunahm. Ein einfacher Gruß, "Heil Hitler!", wird zum Stein des Anstoßes, wirtschaftliche und soziale Sanktionen sowie Verhaftung folgen. Kinder von Zeugen Jehovas werden ihren Eltern weggenommen. Die Gestapo bildet ein Sonderkommando, um Zeugen Jehovas zu jagen. Die Zeugen gehören zu den ersten KZ-Häftlingen in Sachsenburg, Moringen, auf der Lichtenburg, schließlich in Ravensbrück und in vielen anderen Lagern.

TEIL 5, "Jehovas Zeugen erheben die Stimme" überspringen wir ebenso. Veröffentlichungen der Wachtturm-Gesellschaft haben in den 30er und 40er Jahren auf die Verfolgung und die Schandtaten des Nationalsozialismus aufmerksam gemacht. Es gab sogar spektakuläre landesweite Aktionen: 1934 eine Telegrammaktion an Hitler; 1936 und 1937 jeweils eine landesweite Verteilung eines Flugblatts, was noch heute von Historikern gewürdigt wird. Professor Dr. Wolfgang Benz (Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin) schrieb zum Beispiel, daß diese Glaubensgemeinschaft damit "die Bevölkerung über den verbrecherischen Charakter des NS-Staates aufzuklären suchte und sich dadurch über die Verteidigung ihrer Interessen hinaus gegen das Unrechtsregime engagierte" (Informationen zur politischen Bildung, Nr. 243, 1994, S. 21).

Nun kommen wir zu Teil 6 -- das ist ein Teil, den wir Ihnen zeigen werden, der Höhepunkt --, TEIL 6, "NS-Verfolgung eskaliert -- Todesurteile". Nach Kriegsausbruch wurde es besonders gefährlich, Zeuge Jehovas zu sein, und Frau John und andere Historiker sowie Zeitzeugen werden auf die dramatische Situation in der Videodokumentation noch eingehen.

Leider versäumen Sie noch den letzten Teil, TEIL 7, (den Schluß) "1945 -- Jehovas Zeugen bleiben standhaft". Dazu gehören die Zwangsevakuierungen der Konzentrationslager, die sogenannten Todesmärsche; die Tragödie in der Lübecker Bucht (in der das Luxusschiff Cap Arcona mit Häftlingen unterging). Hermine Schmidt schildert die dramatische Fahrt der Häftlinge aus Stutthof bei Danzig über die Ostsee. Max Hollweg beschreibt, wie das Restkommando der Zeugen Jehovas in Wewelsburg von der SS umgebracht werden sollte, doch alle Mordversuche fehlschlugen. Franz Wohlfahrt beschließt die Videodokumentation mit einem Abschiedsgedicht, das er als Häftling schrieb.

Mit diesem Abschiedsgedicht schließen auch die drei Ausschnite, die wir Ihnen heute zeugen möchten. Wir können dann mit der Vorführung beginnen.

Johannes S. Wrobel, Selters/Taunus