Beitrag von Johannes Stephan Wrobel (J. Wrobel) im
Herausgegeben im Auftrag des Institutum
Marianum Regensburg e. V.
von Professor Dr. Remigius Bäumer und Professor Dr. Dr. h.c. Leo
Scheffczyk.
Sechster Band: "Scherer - Zypresse" und Nachträge.
EOS Verlag Erzabtei St. Ottilien 1994, S. 789-790.
Zeugen Jehovas (bis 1931 "Bibelforscher") sind eine Religionsgemeinschaft, die sich bemüht, urchristl. [urchristliche] Lehren und Tugenden zu bewahren (Liebe untereinander, politische Neutralität, reiner Lebenswandel, Naherwartung des Millenniums, Haus-zu-Haus-Missionierung u.a.). Die Bibelforscher um Charles Taze Russell (16.2.1852-31.10.1916) in Allegheny (USA) begannen 1870 nach dem Christentum der Bibel zu suchen, das sie von den Dogmen und Traditionen der Christenheit verschüttet sahen. Zahlreiche dt. [deutsche] Veröffentlichungen durch die Wachtturm Bibel- und Traktat- Gesellschaft, Magdeburg und Wiesbaden (seit 1984 Sitz in Selters/Taunus) herausgegeben. Das NS- Regime verfolgte die rund 25 000 Gläubigen rigoros. 1993 gab es 166 505 aktive Z. [Zeugen Jehovas] in Deutschland, 4,7 Millionen weltweit (Österreich: 20 494; Schweiz: 17 908; Luxemburg: 1733).
Die Rechtfertigung der Souveränität Gottes und die Heiligung seines Namens "Jehova" (Jahwe) durch den gekrönten Christus wird von den Z. [Zeugen Jehovas] als die zentrale Lehre der Hl. Schrift verstanden. Maria ist "die von Gott erwählte, hochbegünstigte Frau, von der Jesus geboren wurde" (Unterredungen 294). Jesus ist nicht Gott, der Allmächtige, sondern Gottes Sohn, der gemäß Johannes 1,1 artikellose theós, was im Urtext ein Prädikatsnomen ist und daher mit "ein Gott" (oder "ein Göttlicher") übersetzt werden kann. Da Jesus nicht der "wahrhaftige Gott" oder "Gott Sohn" ist, ist Maria für die Z. [Zeugen Jehovas] weder Theotokos noch GM [Gottes Mutter].
Die Z. [Zeugen Jehovas] heben hervor, daß die Hl. [Heilige] Schrift keinen Hinweis darauf enthält, daß Maria von ihrer Mutter ohne Erbsünde empfangen wurde. Vielmehr hat Maria wie alle Menschen von Adam die Sünde ererbt (Römer 5,12). Somit unterwirft sie sich nach der Geburt Jesu den mosaischen Reinigungsvorschriften (Lk 2,22-24). Sie war jedoch wirklich Jungfrau, als sie den sündenlosen Sohn Gottes gebar. Dieses Wunder wurde durch Gottes Macht möglich, der eine Eizelle Marias auf übernatürliche Weise befruchtete, indem er "die Lebenskraft und das Persönlichkeitsmuster seines erstgeborenen himmlischen Sohnes in den Leib Marias" übertrug. "Gottes wirksame Kraft, sein heiliger Geist, überwachte die Entwicklung des Kindes im Mutterleib Marias, so daß ein vollkommener Mensch geboren wurde (Lk 1,35; Joh. 17,5)" (Unterredungen 295f.).
Jesus hat gemäß Mt [Matthäus] 13,55-56 adelphói (Brüder) und adelphái (Schwestern), und somit bleibt Maria nicht immerwährend jungfräulich und führt keine platonische Ehe mit Joseph. Bei diesen Brüdern und Schwestern Jesu handelt es sich nicht um geistige Geschwister oder Cousins: Mk [Markus] 3,31-35 unterscheidet zwischen Jesu leiblichen und seinen geistigen Brüdern. Wenn im NT [Neuen Testament] zum Ausdruck gebracht werden soll, daß es sich um Verwandte und nicht um leibliche Brüder handelt, so wird, wie in Lk [Lukas] 21,16, ein anderes griechisches Wort syggenón verwendet.
Maria erhielt später himmlisches Leben, fuhr aber nicht leiblich in den Himmel auf, da 'Fleisch und Blut das Gottesreich nicht erben', und auch Jesus war als "Geist", nicht als Mensch, in den Himmel aufgefahren (1 Kor [Korinther] 15,45-50 gemäß Jerusalemer Bibel). Weder Maria noch "Heilige" werden als Fürsprecher angesehen, da alle Gebete nur an Gott, den Allmächtigen, gerichtet werden sollten (Ps [Psalm] 65,2; Mt [Matthäus] 6,9). Die durch Christus an den Vater gerichteten Gebete werden jedoch mit ebensoviel Verständnis und Erbarmen aufgenommen, wie wenn sie durch Maria an Gott gerichtet werden würden, die die Leiden der Frauen versteht (Ps [Psalm] 103,13-14; Hebr [Hebräer] 4,15-16).
Die Z. [Zeugen Jehovas] kennen keine MV [Marien Verehrung], was sie wie folgt begründen: Maria ist auch im apost. [apostolischen] Zeitalter nicht verehrt worden; Petrus erwähnt sie in seinen Briefen nicht ein einziges Mal, und Paulus spricht von ihr lediglich als von "einer Frau" (Gal [Galater] 4,4). Vor allem aber hat Jesus seiner Mutter keine besondere Ehre erwiesen (Lk [Lukas] 11,27-28). Seine abweisende Frage, "Was haben ich und du gemein, Weib?" (Joh [Johannes] 2,4), ist ein sanfter Verweis, den Maria demütig annimmt. Maria wird von den Z. [Zeugen Jehovas] als treue Christin der Urgemeinde geachtet: "Die ganze Menschheit ist Maria zu Dank verpflichtet, weil sie bereit war, Jesus Christus, den Sohn Gottes, zu gebären, damit er uns von Sünde und Tod loskaufen konnte. Ferner gab Maria durch ihre Keuschheit, ihre Demut, ihren Glauben und ihren Gehorsam allen Christinnen ein gutes Beispiel" (Erwachet! 22.1.1981).
Lit.: "Maria - gesegnet unter den Frauen", In: Der Wachtturm, 15.8.1975, S. 487 f. - "Kann Maria helfen?", In: Erwachet!, 22.1.1981, S. 17 ff. - "Maria - die Rettung aus der Weltkrise?", In: Erwachet!, 8.11.1988. - "Maria (Mutter Jesu)", In: Unterredungen anhand der Schriften, 1990. - "Maria", In: Einsichten über die Hl. Schrift II, 1992.
J. Wrobel